Sonntag, September 29

Am Mittwoch entscheidet der Ständerat über einen Vorstoss, der die Berücksichtigung der Krankenkassenprämien im Konsumentenpreisindex verlangt. Doch die Praxis der Statistiker hat einen guten Grund.

Die Krankenkassenprämien sind diese Woche ein besonders prominentes Thema: Der Bund wird am Donnerstag voraussichtlich eine weitere deutliche Erhöhung der Prämien auf Anfang 2025 verkünden. Schon am Mittwoch kommt zudem im Ständerat eine alte Forderung neu aufs Tapet: Die Prämienerhöhungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) sollen neu direkt im Konsumentenpreisindex und damit in den offiziellen Teuerungszahlen gespiegelt sein. Dies fordert eine Standesinitiative des Kantons Jura. Die Kernbegründung: Die Prämien stiegen stark, und dieser Anstieg schmälere die Kaufkraft der Privathaushalte.

Durchlauferhitzer

Die Preisentwicklung im Gesundheitswesen ist im Prinzip bereits in den Teuerungszahlen gespiegelt. Der Posten «Gesundheitspflege», hat zurzeit im Konsumentenpreisindex ein Gewicht von gut 15 Prozent, mehr als doppelt so viel ist wie vor 50 Jahren. Zu den Untergruppen zählen zum Beispiel ambulante ärztliche Leistungen, stationäre Spitalleistungen und Medikamente.

Der Konsumentenpreisindex dient laut Bundesamt für Statistik (BFS) als Massstab für die Teuerung des Privatkonsums. Nicht zum privaten Konsum gehören gemäss BFS zum Beispiel direkte Steuern, Kranken- und Sozialversicherungsbeiträge. Denn solche Beiträge dienten «lediglich der Finanzierung eines bestimmten Konsums».

Versicherungsprämien zählt das BFS zu den Transferzahlungen: Diese flössen via Versicherungsleistung im Schadensfall wieder an die Haushalte zurück. Ähnliches gilt bei Lohnabzügen für die AHV und die Pensionskasse: Diese Abzüge belasten auch das Budget der Privathaushalte, doch die Gegenleistung in Form von Renten fliesst wieder an die Haushalte zurück. Steigen die Lohnabzüge oder die Krankenkassenprämien, steigen entsprechend auch die Rentenleistungen beziehungsweise die Leistungen der Krankenkassen. Die Sozialversicherungen dürfen zudem keine Gewinne machen.

Bei privaten Versicherungen wie der Krankenzusatzversicherung, der Motorfahrzeugversicherung und der Hausratsversicherung wird laut dem BFS der Dienstleistungsanteil der Anbieter – die Differenz zwischen Prämieneinnahmen und Auszahlungen im Schadensfall – direkt im Posten Versicherungen abgebildet. Der Einfluss dieses Elements auf die Gesamtteuerung ist gering.

Die grosse Kluft

Seit 1996, dem Startjahr des Krankenversicherungsgesetzes, ist in der OKP bis 2024 die mittlere Jahresprämie pro Versicherten von 1539 Franken auf knapp 4300 Franken gestiegen. Das entspricht fast einer Verdreifachung, mit einem durchschnittlichen Anstieg von 3,7 Prozent pro Jahr. Gemäss dem Konsumentenpreisindex sind dagegen die Gesundheitsleistungen im gleichen Zeitraum per saldo nicht teurer geworden, sondern sogar etwa 2 Prozent billiger.

Was erklärt diese Diskrepanz? Zum einen sind die gesamten Gesundheitskosten weniger stark gestiegen als die Kosten der ausgebauten OKP. Aber auch die gesamten Gesundheitskosten pro Einwohner haben sich seit 1996 immerhin etwa verdoppelt, was im Mittel einem jährlichen Anstieg von 2,6 Prozent entspricht.

Die Haupterklärung für die Diskrepanz zum Konsumentenpreisindex: Der Anstieg der Krankenkassenprämien ist grösstenteils nicht durch Preiserhöhungen für unveränderte Leistungen begründet, sondern durch eine starke Ausweitung der bezogenen Leistungen. Wir beziehen mehr und auch aufwendigere Leistungen, etwa via verstärkten Einsatz von teuren Geräten und Medikamenten. Die zentralen Treiber dieses Trends sind die Alterung der Gesellschaft, der steigende Wohlstand und die medizinisch-technische Entwicklung.

Wer heute einen Liter Milch kauft und morgen zwei Liter, hat bei gleichen Preisen plötzlich doppelt so hohe Milchkosten. Das belastet das Haushaltsbudget, doch im Konsumentenpreisindex sollte dies nicht gespiegelt sein. Das Gleiche gilt, wenn zum Beispiel Autofahrer von einem Kleinwagen auf eine Luxuskarosse umsteigen – denn das teurere Produkt liefert in den Augen der Käufer einen entsprechenden Mehrwert.

Probleme beim Messen

Das trifft im Prinzip auch für das Gesundheitswesen zu. Allerdings gibt es methodische Probleme bei der Preiserfassung. So kann es bei Systemwechseln von Arzt- und Spitaltarifen im Übergangsjahr zu nicht korrekt erfassten Preiserhöhungen kommen. Und bei den Medikamenten messen die Statistiker die Preisentwicklung anhand der Wirkstoffe. Kommt ein neues Medikament mit neuen Wirkstoffen auf den Markt, wird dessen Anfangspreis mangels Vergleichsmöglichkeit nicht berücksichtigt; erst spätere Preisänderungen fliessen in den Index ein.

Da neue Medikamente oft teuer sind, die Preise aber später fallen, zeigt der Preisindex für Medikamente tendenziell nach unten. So sind die Medikamentenpreise laut dem Index heuer im Mittel etwa 45 Prozent günstiger als theoretisch vergleichbare Medikamente 1996.

Sind die neuen Medikamente im Mittel ihren Mehrpreis wert? Die Kurzantwort: Man weiss es nicht genau. Die etwas längere Antwort: Theoretisch müssten die neuen Medikamente ihren Preis wert sein, denn die Behörden können laut Gesetz Medikamente für die OKP nur zulassen, wenn diese Heilmittel wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind. In der Praxis lässt sich im voraus der Kosten-Nutzen-Vergleich trotz klinischer Studien der Anbieter oft nicht schlüssig beurteilen.

Teuerung eher überschätzt?

So ist es möglich, dass die Bundesstatistiker gewisse Preisänderungen im Gesundheitswesen eher unterschätzen. Doch im gesamten Konsumentenpreisindex gibt es auch gegenläufige Effekte, weil die Statistiker Qualitätsverbesserungen etwa in der Telekommunikation nicht immer richtig abbilden können. Illustrationen dazu liefert ein Gedankenspiel: Wie viel schlechter würden wir dastehen, wenn wir nur Produkte brauchen dürften, die schon vor zwanzig Jahren existierten? Laut einer vom Länderverein OECD publizierte Analyse von 2019 könnten Konsumentenpreisindizes die Teuerung wegen Mängeln in der Erfassung von Qualitätsverbesserungen um bis 0,6 Prozentpunkte pro Jahr zu hoch ausweisen.

Den Einfluss der Krankenkassenprämien auf die Privathaushalte spiegeln die Bundesstatistiker durch einen separaten Krankenversicherungsprämienindex. Dieser Index ist seit dem Start 1999 von 100 auf 202 Punkten (2023) gestiegen. Die Prämienerhöhungen haben in dieser Periode das Wachstum der verfügbaren Einkommen der Versicherten um durchschnittlich 5,4 Prozentpunkte reduziert, was einem Mittel von 0,2 Prozentpunkten pro Jahr entspricht.

Trotzdem sind die verfügbaren Einkommen noch gestiegen. Diese waren 2021 gemessen am Median nach Abzug von Zwangsabgaben einschliesslich OKP-Prämien teuerungsbereinigt gut 14 Prozent höher als 1998. Zum Ausblick: Bei einer Erhöhung der Krankenkassenprämien um 5 Prozent auf 2025 müssten im Mittel die Bruttoeinkommen im nächsten Jahr um real etwa 0,3 Prozent steigen, um bei sonst gleichen Verhältnissen einen Rückgang der verfügbaren Einkommen zu vermeiden.

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