Sonntag, September 29

Das Land hängt bei der Elektrizität stark von Erdgas ab. Mit den Klimazielen ist das unvereinbar. Die niederländische Regierung will daher die Atomkraft fördern – und stösst auf grosse Hindernisse.

Beim Atomstrom haben die Niederlande ehrgeizige Pläne. Vier neue Nuklearkraftwerke möchte die Regierung, die seit zweieinhalb Monaten im Amt ist, bauen lassen. Das steht so in der Übereinkunft, welche die rechtsextreme Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders, die liberalkonservative VVD, die neue christlichdemokratische NSC und die rechtspopulistische Bauernpartei jüngst abgeschlossen haben.

Punkto Energieversorgung wäre dies für das Land ein Riesensprung. In den Niederlanden ist nämlich nur ein einziges Atomkraftwerk in Betrieb. Es befindet sich beim kleinen Dorf Borssele und kommt bloss für 3 bis 4 Prozent der heimischen Elektrizität auf.

Aber nun hat die Vierparteien-Koalition gemerkt, wie schwierig es werden könnte, die Pläne zu verwirklichen. Alle Regierungen der vergangenen Jahre haben grossen Wert auf eine möglichst liberale Wirtschaftsordnung gelegt. Beabsichtigt war daher auch, dass in erster Linie private institutionelle Investoren das für den Bau der Kraftwerke notwendige Kapital aufbringen sollen.

Abschreckende Beispiele in Frankreich und Finnland

Doch deren Interesse ist gering. Vorsorgefonds und Energiefirmen würden eine Investition in neue Atomkraftwerke als zu riskant ansehen, schrieb die Wirtschaftszeitung NRC jüngst. Das hätten «Insider» bestätigt. Die neue niederländische Regierung ist damit von der Realität eingeholt worden, kaum hat sie sich auf den Ausbau der Atomkraft verständigt.

Wie zurückhaltend Investoren beim Thema Atomkraft sind, haben schon andere Länder Europas erfahren. In Tschechien beispielsweise ist die Rede davon, dem halbstaatlichen Energieunternehmen CEZ einen garantierten Abnahmepreis für Atomstrom zu gewähren, um es dazu zu bewegen, in Nuklearanlagen zu investieren. Auch in Polen wird die Finanzierung der geplanten Atomkraftwerke als grosse Herausforderung angesehen.

Kraftwerke sind für institutionelle Investoren eigentlich eine attraktive Anlagemöglichkeit. Sobald sie errichtet sind, erwirtschaften sie zuverlässig einen Cashflow – schliesslich brauchen die Unternehmen und die Privathaushalte konstant Strom. Auch der Anlagehorizont stimmt. Die Konzessionen laufen meist mehrere Jahrzehnte, und die Kraftwerke sind auf eine so lange Zeitdauer ausgerichtet.

Trotzdem sei es bei Atomkraft schwierig, einen attraktiven «Investment-Case» zu schaffen, sagt der Vertreter einer Zürcher Anlagefirma. Abschreckend wirkt erstens die lange Bauzeit der Anlagen, während der das Projekt keine Rendite abwirft. Wie unberechenbar diese Phase ist, haben Vorhaben in Finnland (Olkiluoto 3) und Frankreich (Flamanville) gezeigt, deren Bauzeit um Jahre länger dauerte als geplant. Damit einher gingen massiv höhere Kosten als angenommen.

Investoren fürchten zweitens die schwierig zu prognostizierenden Rahmenbedingungen. Die Einstellung von Politikern und der Bevölkerung zur Atomkraft ist schwankend. Nach dem Schock des Reaktorunglücks von Fukushima 2011 beschlossen Deutschland und die Schweiz den Atomausstieg. Der grosse Nachbar hat ihn bereits vollzogen, gerade Wirtschaftsvertreter bereuen diesen Schritt jedoch mittlerweile. Und in der Schweiz soll das Verbot für den Neubau von Kernkraftwerken wieder aus dem Gesetz gestrichen werden.

Die Zeit drängt

Die niederländische Regierung überlegt nun, ob sie die finanzielle Hauptlast beim Ausbau der Atomkraft tragen soll und das möglicherweise Investoren dazu animiert, wenigstens als Minderheitsaktionäre mitzumachen.

In der Schwebe ist auch das Schicksal des Atomkraftwerks von Borssele. Es war geplant, dieses 2033 nach 60-jähriger Laufzeit stillzulegen. Das Werk gehört zu 70 Prozent der Provinz Seeland und Gemeinden in der Region. Sie würden die Anlage am liebsten loswerden.

Dagegen möchte die Regierung die Betriebszeit über das Jahr 2033 hinaus verlängern. Eine Studie, ob dies technisch und finanziell möglich ist, wird jedoch erst 2027 vorliegen. Ein altes Atomkraftwerk zu unterhalten, sei wie einen alten VW Käfer zu pflegen, sagte der Chef der Betreibergesellschaft von Borssele gegenüber NRC.

Für die Niederlande drängt die Zeit. Das Land muss seine Energieversorgung neu ausrichten, um die von der EU gesetzten Klimaziele zu erreichen. Über ihm schwebt dabei die Altlast Erdgas, ein Energieträger, der als klimaschädigend gilt. 38 Prozent der Elektrizität, welche die Niederlande erzeugen, beruhen auf ihm. Welches Gewicht die Atomkraft bei der Energiewende einnehmen wird, ist unbestimmter denn je. Vielleicht hat das Land mittelfristig fünf Kernkraftanlagen, vielleicht auch gar keine. Von Versorgungssicherheit kann also keine Rede sein.

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