Sonntag, September 29

Das Gewerbe fürchtet, während der Rad-WM durch Strassensperrungen abgeschnitten zu werden. Dabei gibt es eine juristisch bindende Vereinbarung mit dem Stadtrat.

In rund zwei Wochen beginnt mit den Rad-WM ein Grossanlass, wie ihn Zürich in seiner jüngeren Geschichte nicht gesehen hat. Doch die Vorfreude ist getrübt. Nach wie vor herrscht bei Gastronomen und Gewerbetreibenden grosse Unsicherheit darüber, was es bedeutet, wenn Strassen volle neun Tage lang gesperrt sind – von 5 Uhr morgens bis 19 Uhr abends. Das Hauptproblem ist die Anlieferung der Betriebe, die motorisiert erfolgen muss – aber die Zulieferer dürfen die Rennstrecken nicht überqueren.

Oder dürfen manche doch? Von Ausnahmen ist die Rede, aber niemand weiss, was genau gilt.

Die Stadt drückt sich um klare Antworten dazu, wer die Rennstrecke unter welchen Bedingungen überqueren kann.

Das ist deshalb bemerkenswert, weil die Stadt sich gegenüber dem Gewerbe schwarz auf weiss dazu verpflichtet hat, Ausnahmen bei den Rennstreckenquerungen zuzulassen, sogar während des Rennbetriebs. Die Vereinbarung haben die Stadträte Filippo Leutenegger (FDP) und Karin Rykart (Grüne) persönlich unterschrieben. Doch die Stadt will diese Vereinbarung geheim halten.

Nun hat Marc Bourgeois, FDP-Kantonsrat und Präsident des TCS Stadt Zürich, das Schreiben auf Facebook öffentlich gemacht und einen offenen Brief an Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) geschrieben. Er schreibt: «Der Zürcher Stadtrat hat das Gewerbe über den Tisch gezogen.»

Die Vereinbarung geht zurück auf den Streit, der Monate vor den Rad-WM Wellen schlug. Das Kinderspital fürchtete um seine Erreichbarkeit. Im Herbst letzten Jahres erfuhr die Öffentlichkeit, dass man sich geeinigt habe: Für Notfälle wird das Queren der Fahrbahn ermöglicht.

Doch diese Einigung betraf nicht nur das Kinderspital, sondern viele andere Rekurrenten. Es handelte sich um ein und dieselbe Einigung für eine grosse Gruppe, die gemeinsam rekurriert hatte – Privatpersonen, aber eben auch Wirtschaftsverbände wie der Hauseigentümerverband Zürich, der TCS oder die City-Vereinigung. Diese glaubten, für das Gewerbe und die Wirtschaft eine gute Kompromisslösung erstritten zu haben.

Das vermeintliche Entgegenkommen der Stadt ist kein Wunder. Die Rekurrenten sassen gegenüber der Stadt, aber auch dem Rad-Weltverband UCI am längeren Hebel. Hätten sie den Rechtsweg bis zum Ende beschritten, wäre die Austragung der WM in der heutigen Form infrage gestellt gewesen.

Sie hätten womöglich nicht in der Innenstadt stattgefunden, sondern in der Peripherie – allenfalls auf dem stillgelegten Militärflughafen Dübendorf.

Die Rekurrenten zogen sich erst zurück, als eine Einigung vorlag, deren Stossrichtung eigentlich unmissverständlich ist.

Darin heisst es zum Beispiel: «Bis ca. eine Stunde vor Beginn des Rennens sowie nach Durchfahrt des Putzwagens bzw. dem Abbau» werde es «bis zu zwanzig geeignete Stellen mit Querungen für den motorisierten Verkehr geben». Diese könnten «von besonders Betroffenen» genutzt werden.

Eingeführt wurde mit der Einigung ein sogenanntes Ampelsystem: «Grün» bedeutet freies Queren der Rennstrecken, «orange» mit Vorbehalt, «rot» nur in Ausnahmefällen.

Gemäss der Einigung sind aber sogar während der roten, also der unmittelbaren Rennphase für «besonders Betroffene» an zwanzig Stellen Querungen möglich. Hier kämen geschulte Personen zum Einsatz, «die die Querungen je nach Rennsituation freigeben und wieder schliessen können».

Das Fazit der Vereinbarung: «So werden in einem beschränkten Mass auch während des Rennens Querungen durch Anwohner sowie durch Gewerbetreibende ermöglicht.»

Doch von alldem ist auf der Homepage der Stadt nun nichts zu lesen. Dort ist kategorisch von einer Sperrung von 5 bis 19 Uhr die Rede. An Info-Veranstaltungen der Stadt wird das Ampelsystem zwar angesprochen, aber nicht im Sinne der Vereinbarung, und es ist nur vage von Ausnahmen die Rede.

Geführt wurde der Rekurs vom Rechtsanwalt Severin Pflüger, ehemaligem Präsidenten der Stadtzürcher FDP. Er hat dem Stadtrat schon vor Wochen einen Brief geschrieben, der der NZZ vorliegt. Darin hat er sein Befremden darüber zum Ausdruck gebracht, dass der Stadtrat sich nicht an die Vereinbarung hält.

Die Rede ist im Schreiben von Rechtsbruch. Pflüger erklärt, er sei von seinen Klienten instruiert worden, «die Durchsetzung der Vereinbarung auf dem Rechtsweg zu erstreiten, sollte diese tatsächlich nicht eingehalten werden». Auf Anfrage will sich Pflüger mit Verweis auf seine Schweigepflicht als Anwalt nicht äussern.

Ignoriert hier die Stadt eine rechtlich bindende Vereinbarung? Und wenn ja, weshalb?

Eine Anfrage an das Sicherheitsdepartement von Karin Rykart ist hängig. Gemäss den bisherigen Aussagen dürfte die Stadt die Vereinbarung aber mit dem Ziel geheim halten, dass nicht zu viele von ihr Gebrauch machen können. Nur dann haben die Ausnahmen für jene, die davon profitieren, einen Wert.

Dem können die Wirtschaftsverbände aber in keiner Weise folgen. Ihr Standpunkt ist: Eine Vereinbarung, von der niemand weiss, von der insbesondere die Kunden der Gewerbebetriebe nichts wissen, ist nichts wert. Sie verlangen von der Stadt, dass sie die Abmachung umsetzt und die Kommunikation umstellt.

Dominique Zygmont, Geschäftsführer der City-Vereinigung, sagt: «Die Stadt hat die Chance, die Kommunikation anzupassen. Es ist noch nicht zu spät.» Den Rechtsweg werde man, anders als es im Brief des Anwalts Pflüger anklingt, nicht mehr beschreiten. «Das würde nur noch mehr Unsicherheit bringen.»

FDP-Kantonsrat Bourgeois schreibt in seinem Facebook-Post: «Das Verhalten des Stadtrates erfüllt die Erwartungen an eine transparente, faire und verlässliche Verwaltung in einem demokratischen Rechtsstaat in keiner Weise.» Die Worte zielen darauf, dass die Stadt eine Vereinbarung aushandelt, deren Inhalt sie geheim halten will. Für die öffentliche Hand ist dies tatsächlich eine sehr ungewöhnliche Position.

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