Samstag, November 23

Die Wettbewerbskommission (Weko) hatte sich in der Energiekrise 2022 geweigert, den Gasversorgern einen Freipass bei der Gasbeschaffung zu geben. Nun will die Gasbranche dafür sorgen, dass die Weko im Gasmarkt künftig nichts mehr zu sagen hat.

Mitten in der grössten Energiekrise der letzten Jahrzehnte lagen die Nerven blank. Die Schweizer Gasversorger sollten nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 möglichst zügig Erdgas beschaffen, um Engpässe zu vermeiden. Der Bund entschied am 7. März, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Vertreter der Gaswirtschaft den Einkauf für den kommenden Winter gemeinsam angehen konnten. Doch die Wettbewerbskommission (Weko) hob den Warnfinger. Sie beharrte darauf, dass die Energiekrise nicht ausgenützt werden dürfe, um den Wettbewerb zu behindern.

Wochenlang ging es hin und her, sogar der Bundesrat versuchte zu schlichten. «Ich habe mich damals furchtbar aufgeregt», sagt Martin Schmid, FDP-Ständerat und Präsident des Verbandes der Schweizerischen Gasindustrie: Die Gasbranche hatte notfallmässig eine gemeinsame Gasbeschaffung aufgegleist. Doch die Weko habe ihr damals nicht garantieren wollen, dass das keine kartellrechtlichen Folgen haben werde.

Die Versorger mussten monatelang zuwarten und das Gas schliesslich zum teuersten Zeitpunkt überhaupt einkaufen, wie Schmid erzählt. «Wegen dieser Verzögerung bezahlten wir am Schluss Hunderte Millionen Franken zu viel für das Gas.»

Retourkutsche der Gasbranche

Jetzt, über zweieinhalb Jahre später, folgt die Retourkutsche. Derzeit steckt das Parlament mitten in den Beratungen über ein Gas-Solidaritätsabkommen für Krisenzeiten, das im März mit Deutschland und Italien aufgegleist worden ist. Die zuständige Ständeratskommission, in der auch Gasverbands-Präsident Schmid sitzt, hat nun eine brisante Gesetzesänderung vorgeschlagen. Neu soll «ausschliesslich» das Bundesamt für Energie (BfE) zuständig sein, wenn es zu Streitigkeiten kommt.

Gemäss der geltenden Gesetzesgrundlage sind heute mehrere Stellen für die Regulierung verantwortlich: neben dem BfE auch die Weko sowie der Preisüberwacher. Eine solche parallele Zuständigkeit ist nicht ungewöhnlich. Sie existiert zum Beispiel auch im Telekom-Markt. Dort nehmen sowohl die unabhängige Regulierungsbehörde ComCom als auch die Weko die Marktaufsicht wahr.

Kommt die vorgeschlagene Änderung in der parlamentarischen Beratung tatsächlich durch, würde sich die Situation im Gasmarkt grundlegend ändern. Die in der Kommission vorgeschlagene Formulierung hätte zur Folge, dass die Weko bei wichtigen Fragen im Gasmarkt nicht mehr zuständig wäre, wie Weko-Vizedirektorin Carole Söhner-Bührer bestätigt.

Folgen für den Preisüberwacher

Die Gesetzesanpassung hätte wohl auch Folgen für den Preisüberwacher. Er hat sich erst im August mit der Gasbranche über die Tarife geeinigt, welche die Besitzer der Hochdrucknetze von ihren Kunden verlangen dürfen. Der Preisüberwacher prüft zurzeit, inwiefern seine Tätigkeit «durch die Änderung der gesetzlichen Grundlagen betroffen wäre», bestätigt Simon Pfister, Leiter des Fachbereichs Energie.

Für Gasverbands-Präsident Schmid ist klar: Ein Zuständigkeitschaos wie in der letzten Gaskrise darf sich nicht wiederholen. Die Rollen müssten geklärt werden, bevor es zur nächsten Krise komme, sagt er. Wenn nicht, sei das Solidaritätsabkommen mit Italien und Deutschland wenig sinnvoll.

In Bundesbern wird allerdings noch ein anderes Motiv hinter der vorgeschlagenen Gesetzesänderung vermutet. Denn die Weko ist nicht erst seit der Energiekrise in der Gasbranche unbeliebt.

Im Jahr 2020 öffnete sie mit einem wegweisenden Entscheid den Gasmarkt vollständig. Die Folge: Plötzlich genossen nicht mehr nur ausgewählte, grosse Gasbezüger freien Marktzugang – sondern alle, die Gas benötigen. Das sorgte in der bisher eher gemütlich agierenden Branche für deutlich mehr Aufwand. Und liess die hohen Gewinne schmelzen, welche die monopolähnliche Marktsituation den Gasversorgern zuvor jahrzehntelang garantiert hatte.

Mit der nun vorgeschlagenen Gesetzesänderung könnte die Gasbranche die Weko auf einen Schlag praktisch loswerden – und mit etwas Glück gleich noch den ebenfalls nicht sonderlich beliebten Preisüberwacher.

Für Gaskunden und unabhängige Lieferanten wäre das ein Schreckensszenario. «Aus Sicht der Kunden haben die Weko und der Preisüberwacher in den letzten Jahren im Gasmarkt eine entscheidende Rolle gespielt», sagt René Baggenstos, Geschäftsführer der IG Energiegase, die sich für die Interessen von Gasverbrauchern in Industrie, Gewerbe und öffentlichen Institutionen einsetzt. Baggenstos ist zudem Chef des Beratungsunternehmens Enerprice, das auch im Gashandel tätig ist. Er sagt, dank Weko und Preisüberwacher funktioniere der Wettbewerb heute besser.

Auch Mieter profitieren

Und das spüren die Kunden im Portemonnaie. Laut Baggenstos konnten Erdgasbezüger, die in den letzten drei Jahren den Lieferanten wechselten, im Extremfall 70 Prozent einsparen. Gegenwärtig seien Einsparungen zwischen 10 und 30 Prozent realistisch. Davon profitieren längst nicht nur Grossverbraucher wie etwa Industrieunternehmen. Sondern zum Beispiel auch Mieter: Wenn der Eigentümer ihrer Liegenschaft auf dem offenen Markt das Erdgas fürs Heizen und Kochen günstiger einkaufen kann, erhalten sie eine tiefere Nebenkostenabrechnung, weil Vermieter günstigere Einkaufspreise weitergeben müssen.

Die Weko ihrerseits wehrt sich gegen die Vorwürfe des Gasverbands-Präsidenten. Die Weko habe sich in der Krise nie gegen eine rasche und gemeinsame Gasbeschaffung durch die Branche gestellt, sagt Vizedirektorin Söhner-Bührer. Es sei um etwas anderes gegangen: darum, zu verhindern, dass die Kosten für den Kauf von zusätzlichen Erdgasreserven mit unangemessenen Preisaufschlägen den Verbrauchern weiterverrechnet werden. Diese Gefahr sei im Erdgasmarkt besonders gross gewesen, sagt sie.

Die Weko-Vizedirektorin warnt vor der geplanten Gesetzesanpassung. Denn das BfE wäre nicht nur dann ausschliesslich zuständig, wenn es zur Krise kommt – sondern immer. Und das sei problematisch, weil bei den heutigen Gesetzesgrundlagen inhaltliche Vorgaben oft fehlten. «Es erscheint zweifelhaft, ob das BfE die notwendigen Instrumente hätte, um gegen ein marktabschottendes Verhalten der Gasnetzbetreiber vorgehen zu können.»

Damit bestätigt die Weko-Vizedirektorin die Befürchtung von unabhängigen Lieferanten wie Enerprice-Chef René Baggenstos. Im Gegensatz zu Weko und Preisüberwacher sei das Bundesamt für Energie keine politisch unabhängige Institution, kritisiert er. Das BfE kann zwar bei Streitigkeiten entscheiden. Doch in der Praxis habe sich gezeigt, dass die entsprechenden Fristen sehr lang seien. «Vor allem aber hat das BfE keine Möglichkeit, Sanktionen zu sprechen.»

In diesem Punkt will Gasverbands-Chef Schmid seinen Kritikern entgegenkommen. Es könne auf gesetzlichem Weg dafür gesorgt werden, dass das BfE Fehlverhalten neu ebenfalls mit Sanktionen belegen dürfe, sagt er.

Doch das beruhigt René Baggenstos nicht. Seine Befürchtung lautet, dass die Gasbranche mit der Gesetzesänderung ihre alten Monopole auf unabsehbare Zeit wiederaufleben lässt.

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