Der Chef der Grossbank ist die Börsenbetreiberin in der Vergangenheit hart angegangen. Hohe Bewertungsverluste an zwei wichtigen Beteiligungen wecken Zweifel an der Strategie. Die SIX Group zeigt sich aber optimistisch und prüft weitere Übernahmen.
Als Sergio Ermotti im März 2023 nach der Notübernahme der Credit Suisse erneut an die Spitze der UBS berufen wurde, war langjährigen Beobachtern schnell klar: Für die Börsenbetreiberin SIX brechen unbequeme Zeiten an. Erinnerungen an die erste Amtszeit des Tessiners wurden wach, als dieser die SIX 2017 in aller Öffentlichkeit frontal angegangen war.
Das Interview, das Ermotti damals dem «Blick» gegeben hat, löst bei der SIX heute noch Unbehagen aus. Im Gespräch äusserte er seinen Frust über ein geplatztes Gemeinschaftsprojekt und warf die fundamentale Frage auf, ob das Geschäftsmodell der Schweizer Börsenbetreiberin langfristig tragbar sei: «Ich denke, die SIX muss über die Bücher gehen und sich Gedanken machen, wie sie sich aufstellen kann.» Als grösste Aktionärin werde sich die UBS natürlich aktiv an der Diskussion beteiligen, meinte er vielsagend.
Sieben Jahre später dürfte die Stimmungslage am UBS-Hauptsitz in Zürich in Bezug auf die SIX kaum viel besser sein als damals. Bei der Bekanntgabe ihrer Ergebnisse für das vierte Quartal Anfang Februar musste die UBS nämlich zusätzlich zu den hohen Kosten für die CS-Integration auch einen Abschreiber in der Höhe von 508 Millionen Dollar bekanntgeben. Der Grund war – die SIX.
Ohne dass es in der Öffentlichkeit einen grösseren Aufschrei gegeben hätte, hat die SIX im Dezember nämlich eine Wertberichtigung bekanntgegeben, die 20 Prozent ihres Eigenkapitals entspricht. Das Unternehmen muss für das Geschäftsjahr 2023 auf zwei seiner Beteiligungen gesamthaft 1,2 Milliarden Franken abschreiben. Der Wert der Beteiligung am französischen Zahlungsdienstleister Worldline schrumpft um 860 Millionen Franken, bei der spanischen Börse sind es 340 Millionen.
Bei der Präsentation der Jahresergebnisse am Mittwoch wird unter dem Strich eine Milliarde Verlust resultieren. Jos Dijsselhof, Chef der SIX Group, sagt: «Natürlich sind wir nicht glücklich über die Wertberichtigungen.» Aber man müsse auch berücksichtigen, dass das operative Geschäft höchst erfolgreich sei. «Die SIX ist kerngesund», sagt er und verweist auf die hohe Eigenkapitalquote sowie die Gewinnmarge auf Stufe Ebitda, die seit Bestehen der SIX noch nie so hoch gewesen sei. Das Unternehmen zahlt seinen Aktionären, den Banken, sogar eine höhere Dividende aus als im Vorjahr.
Dennoch sind die Herausforderungen zahlreich. Die Börsenbetreiberin steht nach dem Riesenabschreiber unter erhöhter Beobachtung ihrer Grossaktionärin UBS, die 34,5 Prozent ihrer Aktien besitzt. Das weiss auch Dijsselhof, der betont: «Wir stehen in sehr engem und gutem Kontakt zur UBS.»
Herausforderung 1: Wo bleiben die Skaleneffekte in Spanien?
Die SIX ist ein Exot in der Welt der Börsenbetreiber. Obwohl sie als Kern ihres Geschäfts anderen Unternehmen den Zugang zum Kapital von Investoren aus aller Welt verschafft, ist sie nicht an der Börse kotiert. Ihr Aktionariat ist beschränkt auf 120 Schweizer und internationale Finanzinstitute. Daher läuft die SIX auch nicht Gefahr, zum Ziel einer feindlichen Übernahme zu werden. Die Schweiz hat im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern weiterhin eine eigene, unabhängige Börse.
Das heisst im Umkehrschluss aber auch, dass die SIX allein überlebensfähig sein muss. Und wer im internationalen Wettbewerb bestehen will, braucht Grössenvorteile, sogenannte Skaleneffekte, um in die technische Infrastruktur, Cybersicherheit und neue Produkte zu investieren. Aus dieser Logik heraus erwarb die SIX im Jahr 2020 die spanische Börse BME für 2,7 Milliarden Franken und zahlte einen hohen Aufpreis von 34 Prozent auf den Aktienkurs vor der Offerte. Dafür stieg das Schweizer Unternehmen damit in den Olymp der drei grössten Finanzmarktinfrastruktur-Betreiber Europas auf.
Doch Beobachter und Angestellte zweifeln, ob es der SIX in den vier Jahren seither gelungen ist, die angestrebten Skaleneffekte zu realisieren. Die Börsenbetreiberin musste vor einem Jahr ein wichtiges Projekt zur Zusammenlegung der spanischen mit der schweizerischen Handelsplattform auf Eis legen, wie Dijsselhof bestätigt. Die dafür erforderlichen Investitionen in die spanische IT-Infrastruktur wären zu hoch gewesen, sagt er.
Nun fasst die SIX einen neuen Anlauf ins Auge. Der neue Chef des Börsengeschäfts, Björn Sibbern, sei daran, einen neuen Plan zu erstellen. «Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um die Systemintegration erneut zu prüfen», sagt Djisselhof.
Die nun erfolgte Abschreibung an BME ist laut der SIX ausserdem das Resultat von äusseren Umständen: Höhere Zinsen und die tieferen Handelsvolumen in ganz Europa hätten den Wert der Bilanzposition gedrückt.
Herausforderung 2: Wie weiter mit Worldline?
Als Teil der strategischen Neuausrichtung verkaufte die SIX im Jahr 2018 ihr Kreditkartengeschäft an den französischen Zahlungsdienstleister Worldline. Statt in Form von Cash liess sie sich zu einem grossen Teil mit Worldline-Aktien bezahlen. Das rächt sich nun.
In der Zwischenzeit hat die SIX zwar einen Teil der Minderheitsbeteiligung verkauft, unter anderem, um den Kauf der spanischen Börse zu finanzieren. Der Wert des verbleibenden Worldline-Aktienpakets ist an der Börse aber arg unter Druck geraten. Der Kurs ist seit Anfang 2023 um rund 70 Prozent auf gut 10 Euro gefallen.
Auslöser des Rückgangs war eine Ankündigung aus der französischen Konzernzentrale im vergangenen Oktober, wonach das Umsatzwachstum im Jahr 2023 deutlich tiefer ausfallen wird als erwartet. Ein Analytiker sprach gegenüber der «Financial Times» von einem «Schock». Auch Djisselhof sagt: «Damit überraschten sie den ganzen Markt und auch uns.»
Beobachter stellen den strategischen Sinn der Worldline-Beteiligung mittlerweile deutlich infrage. Dijsselhof sagt: «Sollte die SIX in der Zukunft eine grössere Gelegenheit im Stil von BME erhalten, könnten wir uns die Worldline-Beteiligung noch einmal ansehen. Im Moment betrachten wir sie als strategische Beteiligung.»
Herausforderung 3: Wann wird das Krypto-Labor SDX profitabel?
Kein Unternehmen will von einer neuen Technologie überflüssig gemacht werden. Die SIX hat deshalb 2021 eine Börse mit dem Namen SIX Digital Exchange (SDX) lanciert, die den Handel mit digitalen Vermögenswerten ermöglicht. Besonders prestigeträchtig ist die Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Nationalbank, die ihr Pilotprojekt Helvetia für einen digitalen Franken über SDX durchführt. Auch die Kantone Basel-Stadt und Zürich, die UBS und die Stadt Lugano haben über SDX eigene digitale Anleihen ausgegeben.
Was sich innovativ anhört, hat bis jetzt aber keinen einzigen Franken Gewinn abgeworfen. Dijsselhof sagt, das Ziel von SDX laute, die «Finanz- und Kapitalmarktinfrastruktur der Zukunft» aufzubauen. «Wir tun das nicht, um schnelles Geld zu verdienen. Sonst wären wir in Kryptowährungen und andere Dinge eingestiegen.»
Herausforderung 4: Wer ersetzt die Credit Suisse als Kundin?
Der UBS-Chef Ermotti steht unter grossem Druck, die Kosten der kombinierten Bank UBS-CS zu reduzieren. Dienstleistungen, etwa der Bezug von Finanzinformationen, die früher sowohl die CS als auch die UBS bei der SIX bezogen haben, braucht die Bank in Zukunft nicht mehr doppelt. Dijsselhof sagt: «Wir gehen mit der UBS derzeit Geschäft für Geschäft durch, um zu sehen, wo sie künftig welche Angebote nutzen wird.» Es handle sich um eine sehr koordinierte Diskussion.
Klar ist aber auch: Wenn der grösste und wichtigste Kunde weniger Geld ausgeben will, muss die Börsenbetreiberin die wegfallenden Einnahmen künftig bei anderen Kunden suchen.
Die Zeichen stehen weiter auf Expansion
Trotz allen Herausforderungen will die SIX weiter wachsen – und das nicht nur organisch. «Wir sind dauernd am Prüfen möglicher Akquisitionen», sagt Dijsselhof, wobei nach den Wertberichtigungen im letzten Quartal wohl nicht der beste Zeitpunkt für eine weitere grosse Transaktion sei. Ein mögliches Feld für Akquisitionen sei Asien, wo viele Aktionäre und Kunden der SIX ihr Geschäft ausbauen. Auch das Datengeschäft gewinne immer mehr an Bedeutung. «Es geht also nicht nur darum, eine weitere grosse Börse zu kaufen.»