Mit einer guten Defensive werden im Sport traditionell Meisterschaften gewonnen. Auch beim Anlegen ist das Vermeiden grosser Verluste für einen guten langfristigen Track Record von höchster Wichtigkeit. Doch defensive Vermögenswerte sind unbeliebt wie schon lange nicht mehr.
Das Börsengeschehen erinnert derzeit an ein Fussballspiel von Kleinkindern: Die ganze Meute rennt wie ein Hühnerhaufen dem Ball nach – von taktischer Aufstellung und Abwehrarbeit keine Spur. Genauso wie die Kleinen auf den Ball, sind am Aktienmarkt alle nur noch auf mögliche Gewinne mit dem heissen Thema künstliche Intelligenz fokussiert.
Allenfalls interessiert noch die Frage, wann die ersehnten Zinssenkungen denn endlich kommen, welche den Aktien zusätzlichen Schub verleihen sollen. Nur das Upside zählt. Die Defensive dagegen kümmert kaum noch jemanden. Die Inflation gilt als unter Kontrolle. Die noch vor einem Jahr befürchtete Rezession gilt als abgesagt. Geopolitische Risiken? Das ist so 2022. Sorgen um die maroden Staatsfinanzen? Das war in der Eurokrise vor zwölf Jahren allenfalls ein Thema.
Die Bären sind verstummt
An die generell hohen Aktienbewertungen hat man sich ohnehin längst gewöhnt. Nicht Value, sondern gute Stories zählen, das weiss doch jedes Kind. Auch besonnene Vermögensverwalter in unserem Umfeld werden von ihren Kunden zu einer offensiveren Aufstellung mit mehr Tech-Aktien gedrängt, schliesslich spielen jetzt alle so.
An der Seitenlinie sind die Bären unter den Marktkommentatoren und Strategen inzwischen praktisch alle verstummt, nachdem ihre Rezessionsprognosen für 2023 gefloppt waren. Dafür heizen die Cheerleader mit ständig neuen fantastischen Kaufargumenten die Euphorie um die offensiven Superstars an.
Sind wir bei Quantex die letzten Pessimisten am Aktienmarkt? Tatsächlich sehen wir weiterhin verschiedene Gründe, um besorgt zu sein. Jedoch spielt unsere Meinung zum Marktgeschehen bei der effektiven taktischen Aufstellung der Portfolios möglichst keine Rolle. Wir lassen uns von einem Bottom-Up-getriebenen Selektionsprozess leiten.
Aus dieser Perspektive war es höchst interessant zu beobachten, wie die Anleger in den vergangenen zwölf Monaten im grossen Stil versucht haben, ihre defensiven Spieler loszuwerden. Aktien aus dem defensiven Gesundheitssektor sind 2023 um mehr als 20 Prozentpunkte hinter dem US-Gesamtmarkt zurückgeblieben. Eine so extreme Underperformance gab es zuletzt nur im Jahr 1999, das von der damaligen Internet-Euphorie bei Tech-Aktien geprägt war.
Eine Analyse von Empirical Research ergab Ende Oktober ein ähnliches Bild für Aktien aus dem Bereich Konsumgüter des täglichen Gebrauchs (Consumer Staples): Eine Underperformance von 21 Prozentpunkten, die ebenfalls nur im Jahr 1999 noch dramatischer gewesen war. Seither sind viele defensive Aktien nochmals gefallen, während der Gesamtmarkt weiter zulegen konnte.
Solide Unternehmen sind nicht gefragt
Auch viele qualitativ schlechte Zykliker konnten seit Oktober ein starkes Rally verbuchen, befeuert vom Ausblick auf baldige Zinssenkungen durch die Zentralbanken. Die Bewertungsprämie von rund 30%, welche die defensiven Konsumgüteraktien in Erwartung einer Rezession Anfang 2023 noch hatten, ist im Verlauf des vergangenen Jahres völlig verschwunden.
Ein solides Business und stabile Free Cashflows sind offensichtlich nicht mehr besonders gefragt am Markt. Wenn wir jedoch defensive Qualität ohne eine Bewertungsprämie kaufen können, greifen wir immer gerne zu.
Seit letztem Oktober kamen die Zukäufe in den Quantex-Fonds praktisch alle aus diesen beiden defensiven Sektoren: Der Labor-Ausstatter Mettler-Toledo, der Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb und der Krankenversicherer Cigna Health sind im Gesundheitssektor tätig. Dino Polska, Sendas Distribuidora und Ahold sind alles Detailhändler für Lebensmittel. Mit Unilever und Reckitt-Benckiser kauften wir zudem zwei klassische Konsumgütermultis. Das Aktienportfolio des Global Value Funds hat sich entsprechend deutlich in Richtung defensiv verschoben.
Anleger verschmähen Gold
Doch nicht nur innerhalb des Aktienmarkts lässt sich die breite Vernachlässigung der Defensive beobachten. Auch verschiedene andere defensive oder direkt antizyklische Investments hatten in den vergangenen zwölf Monaten einen schweren Stand. Der Volatilitätsindex Vix sank unter 13 Punkte, so niedrig lag er zuletzt nur Anfang 2020 vor dem Corona-Crash. Er zeigt damit wenig Bedarf an einer Absicherung des Portfolios mit Optionen an.
Der Goldpreis konnte zwar leicht zulegen, interessanterweise jedoch mit starken Outflows aus den Gold-ETF: Westliche Privatanleger verkauften das gelbe Edelmetall, während östliche und südliche Zentralbanken kauften. Der stark mit der Euphorie an der Nasdaq korrelierte Bitcoin stahl dem Gold einmal mehr die Show.
Bei den Unternehmensanleihen sank der Zinsaufschlag für Ramschpapiere von 5% Anfang 2023 auf derzeit nur noch 3,6%. Auch der Aufschlag für schlechtere Schuldner im Bereich Investment Grade ging deutlich zurück. Die Angst vor Zahlungsausfällen ist überraschend gering, trotz anhaltend hohen Zinsen und steigenden Konkursen in der Privatwirtschaft.
Viel Sorglosigkeit an allen Märkten also: Die Angst, die Fortsetzung des Tech-Booms zu verpassen, ist offensichtlich grösser als die Angst vor Verlusten. Angst ist jedoch immer ein schlechter Motivator beim Investieren. Aus unserer antizyklischen und Bottom-Up getriebenen Überzeugung halten wir deshalb verstärkt dagegen. Schliesslich muss in einem Portfolio auch jemand die ungeliebte Defensivarbeit übernehmen.
Peter Frech
Der studierte Psychologe Peter Frech ist Value-Investor aus Überzeugung und Leidenschaft. Seit 2007 arbeitet er als Fondsmanager beim Schweizer Vermögensverwalter Quantex in Zürich und ist für den Global Value und den Strategic Precious Metal Fund verantwortlich. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit Geschichte, Strategiespielen und dem Piano.