Samstag, November 23

Seit Jahrzehnten gehen die staatlichen Wettbewerbshüter gegen dominante Tech-Firmen vor – und regeln so meist nur die Probleme der Vergangenheit.

Amerika geht mit Problemfirmen anders um als Europa. Während Brüssel Unternehmen am liebsten im Voraus mit komplizierten Regeln einhegt, lassen die Amerikaner sie erst einmal machen – und zerren sie vor Gericht, wenn sie sich zu weit vorwagen.

Nun trifft der Bannstrahl den Suchmaschinenriesen Google. Im August hat ein Gericht festgehalten, dass er ein Monopol in der Onlinesuche mit illegalen Mitteln aufrechterhalte. Die Klägerin, das amerikanische Justizdepartement (DoJ), hat diese Woche eine lange Liste an Forderungen vorgestellt, wie Google das Problem beheben soll.

Google würde zerstückelt

Der Suchmaschinenanbieter soll seinen Webbrowser Chrome verkaufen und aufhören, anderen Browser-Anbietern Milliarden zu bezahlen, damit diese Google als Standardsuchmaschine vorinstallieren. Auf Smartphones mit dem Betriebssystem Android müssen andere Suchmaschinen gleichwertigen Zugang erhalten, sonst soll Google auch Android verkaufen. Das Unternehmen soll zudem sein 2-Milliarden-Investment in das KI-Startup Anthropic zurückzunehmen; und anderen Firmen günstigen Zugang zu seinem riesigen Schatz an Nutzerdaten gewähren.

All diese Forderungen würden Googles Geschäftsmodell im Mark treffen, das auf der Dominanz seiner Suchmaschine beruht. Der Konzern warnt davor, dass die Vorschläge Amerikaner schädigen und die technologische und wirtschaftliche Führungsrolle der USA gefährden würden. Die Wortwahl zeigt: Google ist bereit für einen Kampf.

Und der Tech-Konzern hat trotz dem Urteil vom August gute Chancen, zu gewinnen. Drei Möglichkeiten stehen Google dafür offen.

Der Machtwechsel

Erstens hofft der Internetkonzern, dass Donald Trump bald mildere Wettbewerbshüter ernennt, die eine Vereinbarung mit Google treffen und nicht auf dem Zwangsverkauf von Chrome beharren.

In den USA sollen zwei Behörden für fairen Wettbewerb sorgen: die Federal Trade Commission (FTC) und das DoJ. Unter Joe Bidens Regierung gehen beide sehr aggressiv gegen Firmen vor. Verantwortlich dafür sind die FTC-Chefin Lina Khan und der stellvertretende Bundesstaatsanwalt Jonathan Kanter, der beim DoJ für die Wettbewerbspolitik zuständig ist.

Beide Behörden dehnen die Interpretation, wie Monopolisten und Kartelle Schaden anrichten, weit aus. Der Gipfel des neuen Interventionismus war der Versuch der FTC, den Zusammenschluss von zwei Luxusmodeunternehmen zu blockieren, weil dadurch der Markt für «erschwinglichen Luxus» weniger kompetitiv würde. Ein Bundesgericht in New York folgte der FTC-Interpretation vor einem Monat tatsächlich.

Es gilt als sicher, dass Trump Kanter und Khan durch Wettbewerbshüter ersetzt, die mehr Unternehmensfusionen zulassen. Das freut Investmentbanken und Private-Equity-Firmen, die an diesen Geschäften mitverdienen. Viele Rechtsexperten glauben aber, dass FTC und DoJ auch unter Trump eine harte Linie gegen die Tech-Firmen fahren werden.

Das Verfahren gegen das Suchmaschinenmonopol von Google wurde noch in der ersten Amtszeit von Trump lanciert, nicht unter Biden. Zudem stehen viele Republikaner, allen voran der designierte Vizepräsident J. D. Vance, den Tech-Giganten sehr kritisch gegenüber. Vance lobte das Vorgehen der FTC-Chefin Khan und hat sich selbst schon dafür ausgesprochen, dass Google aufgespaltet wird. Viele Trump-Anhänger sehen Google als Helfershelfer der Demokraten und werfen dem Unternehmen vor, konservative Stimmen zu unterdrücken. Der neue Chef der Kommunikationsaufsicht, den Trump soeben ernannt hat, ist einer davon.

Zeitfenster für ein Abkommen

Ein wichtiger Teil der Republikaner vertritt aber noch immer eine unternehmensfreundliche Wettbewerbspolitik. Manche Rechts- und Technologieexperten gehen deshalb davon aus, dass den Grossunternehmen, die im Visier der FTC und des DoJ stehen, nun ein Zeitfenster von ein bis zwei Jahren offen steht, um eine aussergerichtliche Vereinbarung mit den Behörden zu treffen.

Dafür spricht, dass Donald Trump viele Konflikte als Mittel zum Zweck sieht. Er will aus einer starken Position vorteilhafte Deals abschliessen. Er bemisst den Erfolg seiner Politik zudem daran, wie gut sich der Aktienmarkt entwickelt. Die sieben grössten Technologieunternehmen, zu denen der Google-Mutterkonzern Alphabet zählt, machen fast einen Drittel des US-Leitindexes S&P 500 aus. Falls die Zerschlagung Googles die Anleger verängstigen würde, wäre dies nicht im Sinne Trumps.

Doch bleiben solche Argumente spekulativ, solange Trump nicht zumindest die Chefs der FTC und der DoJ-Kartellabteilung bestimmt hat. Diese Ernennungen werden starke Hinweise liefern, ob er auf Härte oder auf Deals setzen will.

Die Rechtslage

Aber selbst wenn Trumps Team hart bleibt: Das DoJ hat am Mittwoch bloss eine Wunschliste mit Maximalforderungen eingereicht. Google hat, zweitens, intakte Chancen, diese auf dem weiteren Rechtsweg abzuwehren. Die Wettbewerbshüter der USA haben gegen Tech-Firmen schon oft Niederlagen einstecken müssen, unter Biden genauso wie unter Trump und früheren Präsidenten. Oder aber sie retteten sich in aussergerichtliche Einigungen und warfen ihre Maximalforderungen über Bord.

Der bekannteste Fall betraf Microsoft um die Jahrtausendwende. Der Softwaregigant dominierte mit seinem Betriebssystem Windows den PC-Markt und nutzte das, um auch den stark wachsenden Markt für Webbrowser mit seinem Internet Explorer zu beherrschen. Microsoft nötigte PC-Herstellern den Explorer auf und bremste Konkurrenten wie dem Netscape Navigator aus.

In erster Instanz wurde Microsoft verurteilt und gezwungen, sich aufzuspalten: Ein Unternehmen solle das Betriebssystem Windows weiterentwickeln, das andere sich um die übrige Software kümmern. Das Urteil wurde 2001 in zweiter Instanz aber wegen Verfahrensfehlern teilweise umgestossen. Microsoft und das Justizministerium einigten sich später auf einen Vergleich, anstatt weitere Jahre vor Gericht zu verbringen. Der Softwarehersteller nahm Beschränkungen für Konkurrenten zurück, die Aufspaltung war jedoch vom Tisch.

Auch im Google-Fall muss sich das Gericht fragen, ob das Problem nicht mit milderen Massnahmen als einer Zerschlagung des Konzerns behoben werden kann. Google könnte die Zahlungen an Apple und Mozilla aufgeben, die dafür sorgen, dass seine Suche im Safari- und im Firefox-Browser als Standard eingestellt ist. Oder es amerikanischen Nutzern mit wenigen Kniffen erleichtern, in Chrome und auf Android-Smartphones andere Suchmaschinen als Standard auszuwählen.

Die Fragen der Vergangenheit

Wenn all dies nichts hilft und die Gerichte im Sinne der Behörden entscheiden, hat Google, drittens, noch immer einen mächtigen Verbündeten auf seiner Seite: die Zeit.

Wettbewerbsfälle können sich lange hinziehen, und die Behörden rennen dem Geschehen stets hinterher: Ab 2017 bezichtigte die FTC den Chiphersteller Qualcomm, ein Monopol auf 3G- und 4G-fähige Chips für Smartphones auf illegale Weise auszunutzen. Der Prozess zog sich hin: Das erstinstanzliche Gericht entschied im Sinne der FTC, die nächste Instanz kehrte das Urteil um. Im Frühjahr 2021 streckte die Behörde die Waffen und verzichtete darauf, auch noch den Supreme Court anzurufen.

Zu diesem Zeitpunkt waren die grossen Mobilfunkanbieter längst daran, ihre 5G-Netzwerke auszurollen, ein neues Marktumfeld bildete sich heraus. Abkommen, die Qualcomm ab 2011 mit Apple eingegangen war und welche die FTC besonders kritisierte, waren zu diesem Zeitpunkt obsolet: Ab 2018 arbeitete Apple exklusiv mit dem Qualcomm-Konkurrenten Intel zusammen.

Der Oberste Gerichtshof hätte in einem Leiturteil die aggressiven Taktiken von Qualcomm zwar bewerten und Richtlinien für künftige Fälle festlegen können. Doch im Wettbewerbsrecht ist entscheidend, wie der relevante Markt definiert wird, bevor man Monopolisten ausmachen und ihr Verhalten beurteilen kann. Weil sich der Markt laufend verändert, muss diese Frage stets neu beantwortet werden.

Die Karten werden neu gemischt

Auch der 2020 lancierte Google-Fall spürt den Zahn der Zeit bereits. Der Richter der ersten Instanz dürfte erst im nächsten August entscheiden, ob Chrome abgespaltet wird. Falls Google den Rechtsweg ausreizt, liegt ein Urteil des obersten Gerichts wohl erst gegen Ende der Dekade vor.

Analysten erwarten aber, dass die Digitalwirtschaft bis dahin von neuen KI-Werkzeugen umgepflügt wird. Die Onlinesuche wird 2028 anders funktionieren als heute. Bereits jetzt bieten KI-Startups wie Perplexity oder Open AI alternative Wege, online an Informationen zu gelangen. Ab 2025 können die Tech-Riesen und Startups auf noch mächtigere Computerchips von Nvidia setzen, um die nächste Generation an KI-Modellen zu trainieren.

Weil Google eine derart starke Marktposition hat und selbst Dutzende Milliarden in KI-Projekte investiert, ist gut möglich, dass der Konzern auch im nächsten Zeitalter eine wichtige oder gar dominante Rolle spielen wird.

Das DoJ hofft, Google auf dem Weg dorthin mit dem Verbot von Investitionen in KI-Firmen zurückzubinden. Aber auch die Beamten wissen nicht, welcher Tech-Riese 2030 welchen Markt dominieren wird. FTC und DoJ ermitteln sicherheitshalber derzeit gegen alle von ihnen: Amazon, Apple, Google, Meta, Nvidia, Microsoft. Mit etwas Glück sind die Staatsanwälte dann zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

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