Nach Auszählung der ersten Wahlkreise zeichnet sich eine klare Annahme der Gegenvorschläge zu den Umverkehr-Initiativen ab.
Der Verein Umverkehr will den motorisierten Individualverkehr seit Jahren bekämpfen. In elf Schweizer Städten von Aarau bis Zürich hat Umverkehr Stadtklima-Initiativen eingereicht, die alle nach demselben Prinzip aufgebaut sind: Die Städte sollen verpflichtet werden, jährlichen ein Prozent Strasse abzubauen.
In der politisch ebenfalls links geprägten Stadt Basel ist der Verein damit noch aufgelaufen. Nun feiert er in der Stadt Zürich seinen ersten grossen Erfolg. Die ausgezählten Wahlkreise deuten auf deutliche Zustimmung von über 60 Prozent Ja-Stimmen hin. Am Trend wird sich nichts mehr ändern.
Der Verein Umverkehr feiert – und fordert. «Was für ein Erfolg – jetzt muss die Stadt die Verkehrswende rasch vorantreiben.»
Umverkehr-Geschäftsleiter Silas Hobi sagt auf Anfrage der NZZ, insbesondere die Quartierblöcke müssten nun schnell kommen. Denn dafür brauche es keine grossen Bauprojekte, sondern nur «temporäre Möblierungen» sowie Signalisierungen. Die Idee der Quartierblöcke ist es, mit Blumentrögen oder Sitzbänken den Autoverkehr komplett aus Quartieren fernzuhalten.
Der Verein hatte zwei Initiativen eingereicht. Einerseits sollte der Strassenraum zugunsten des Langsamverkehrs und des öV verschwinden (Zukunfts-Initiative), andererseits zugunsten von Grünflächen und Flächen für Bäume (Gute-Luft-Initiative). Für beide Initiativen hat das Stadtparlament Gegenvorschläge ausgearbeitet, die Initiativen wurden zurückgezogen
Für Umverkehr ist die Annahme ein grosser Erfolg. Der Verein war mit einem gesamtschweizerischen Ansatz im Jahr 2000 gescheitert, als eine nationale Verkehrshalbierungs-Initiative vom Schweizer Stimmvolk klar verworfen wurde. Der neue, lokale Ansatz hat sich in der Stadt Zürich nun erstmals richtig ausbezahlt.
Davor war der Verein in einigen Städten insofern erfolgreich, als die lokalen Parlamente mit Gegenvorschlägen auf die Initiativen reagierten, worauf Umverkehr die Initiativen zurückzog und die Gegenvorschläge in Kraft traten. Aber so weit wie Zürich ging keines der lokalen Parlamente.
Mit dem Ja verpflichtet sich die Stadt, innert zehn Jahren 607 000 Quadratmeter Strassenfläche umzuwandeln – 462 000 für Langsamverkehr und öV, 145 000 für Grünflächen.
Die grosse Frage wird die Umsetzung sein. Zu einem guten Teil rechnet der Gegenvorschlag Flächen mit ein, welche die Stadt ohnehin umgestalten will. Die 462 000 Quadratmeter für den umweltfreundlichen Verkehr setzen sich wie folgt zusammen: 250 000 Quadratmeter Velovorzugsrouten, die sich bereits in der Umsetzung befinden, sowie weitere 100 000 Quadratmeter im Rahmen von anstehenden Strassenerneuerungen.
Interessant wird es bei den übrigen 112 000 Quadratmeter. Hier sollen Parkplätze zu Velostreifen – zusätzlich zu den Velorouten – umgewandelt werden oder «Massnahmen zur Verkehrsberuhigung» zur Anwendung kommen.
Bei den Grünanlagen sollen von den anvisierten 145 000 Quadratmetern rund ein Drittel durch Strassenbauprojekte verwirklicht werden.
Auch hier ist die Frage, wie der Rest, also gut 100 000 Quadratmeter, realisiert werden soll. Gemäss Stadtparlament soll dies durch das Pflanzen neuer Bäume geschehen. Aber dies dürfte einfacher gesagt als getan sein. Die Anzahl Bäume in der Stadt Zürich sinkt seit Jahren. Der – rot-grün dominierte – Stadtrat tut sich schwer damit, Bäume zu pflanzen.
Wird es jetzt anders?
Markus Knauss, Stadtparlamentarier für die Grünen und Co-Geschäftsführer des VCS Zürich, sagt: «Ich erwarte, dass die Stadtverwaltung sich nun wirklich konkrete Gedanken macht.» Zum wiederholten Mal sei es zuletzt vorgekommen, dass Strasse erneuert worden seien – und komplett gleich ausgesehen hätten wie zuvor. «Das ist ärgerlich und darf nicht mehr passieren», sagt Knauss.
Zudem sei es gerade die Stärke der Gegenvorschläge, dass auch kleine Projekte angegangen werden sollen. Dass man zwei, drei Bäume pflanze, wenn es an einem Ort 50 Quadratmeter freien Raum habe.
Die Mitte-Rechts-Parteien hatten vor dem Urnengang vor massivem Parkplatzabbau und einer überbordenden Strassenbautätigkeit in der Stadt gewarnt. Es würden rund 1000 Strassenparkplätze verschwinden, ein Viertel der Strassenparkplätze in den Quartieren, mit negativen Folgen für Besucher, Anwohner und das Gewerbe.
FDP-Stadtparlamentarier Andreas Egli sagt nun: «Es ist das erwartbare Resultat.» Die Bürgerlichen hätten angesichts der vielen Vorlagen nur wenig Mittel in den Abstimmungskampf investiert. Schwierig wäre es aber auch bei voller Kriegskasse geworden, vermutet Egli. «Wenn der Stadtrat und der Gemeinderat ein Ja empfehlen und mehr Bäume versprochen werden, ist in der Stadt Zürich eine Annahme wahrscheinlich.»
Eine andere Frage ist auch für Egli, wie gross der Effekt der Gegenvorschläge effektiv sein wird. Sehe man sich die aktuellen, konkreten Pläne von Tiefbauvorsteherin Simone Brander (SP) an, zielten diese ohnehin auf radikalen Parkplatzabbau.
Mit dem Ja zu den Gegenvorschlägen hat sich die Stadtzürcher Stimmbevölkerung nun zum wiederholten Mal innert kurzer Zeit für mehr Bäume und Velowege ausgesprochen. Unter anderem hat sie Ja zur Stadtgrün-Initiative, zu den Richtplänen und zur Velorouten-Initiative gesagt.
Und dennoch: Bereits zeichnet sich die nächste grosse Abstimmung in Verkehrsfragen ab. Für einmal ist sie nicht von links, sondern von rechts provoziert.
FDP und SVP planen gemeinsam mit dem Zürcher Gewerbeverband und dem TCS ein Volksbegehren , das gegensteuern soll: Die so genannte Parkplatzkompromiss-Initiative hat zum Ziel, die Zahl der Parkplätze in der Stadt Zürich auf dem Stand vom 1. Januar 2025 einzufrieren. Derzeit läuft die Unterschriftensammlung.
In der Gemeindeordnung soll neu stehen, dass die Stadt die Parkierung auf öffentlichen Grun für den Velo- und den motorisierten Individualverkehr sicherstellt. Ein Abbau ist gemäss Initiativtext nur zulässig, wenn andernorts aufgestockt wird – und zwar im gleichen Quartier. Zudem muss die Stadt für das Gewerbe genügend Umschlagplätze sichern.
Dies liefe den Zielen den aktuellen Vorlagen zuwider. Und da es sich um ein konkretes Anliegen handelt, das viele umtreibt, dürfte es nicht chancenlos sein.
Grüne-Gemeinderat Knauss gibt sich mit Blick auf die Initiative aber entspannt. Er weist daraufhin, dass die Zustimmung aktuell höher sei als noch bei der Richtplan-Abstimmung vor drei Jahren. «Und niemand kann behaupten, die Bevölkerung wisse nicht, worüber sie abgestimmt hat.» Sie wolle die Umverteilung des öffentlichen Raums. Velowege und Bäume seien ihr wichtiger als Parkplätze.