Unter Mark Schneider wurde Nestlé zeitweise zum wertvollsten Unternehmen Europas. Doch seit einigen Quartalen schwächelt der Aktienkurs. Was sind die Gründe?
Nestlé ist nicht nur der grösste Nahrungsmittelkonzern der Welt, sondern auch die wichtigste Aktie der Schweiz. Das Unternehmen ist an der Börse rund 255 Milliarden Franken wert und macht damit allein rund ein Fünftel des Swiss-Market-Indexes (SMI) aus.
Lange Zeit schien es für die Nestlé-Investoren nur nach oben zu gehen. Unter dem Konzernchef Mark Schneider stieg der Aktienkurs bis Ende 2021 auf einen Höchststand von knapp 130 Franken. Nestlé wurde zeitweise zum wertvollsten Unternehmen Europas. Schneider erwarb sich den Ruf eines Managers, der den «Supertanker» Nestlé ab 2017 mit einem beherzten Umbau schneller und wendiger machte. Mehr Wachstum und mehr Gewinn – das erfreute die Investoren.
Doch nun steht der erfolgsverwöhnte Nestlé-Chef unter Druck. Der Aktienkurs schwächelt. Seit vergangenem Oktober klebt er unter der psychologisch wichtigen Marke von 100 Franken fest. Die Investoren fragen sich: Was sind die Gründe – und wird die Publikation des Jahresergebnisses am Donnerstag eine Trendwende einleiten?
Belastende Zinswende
Für eine erste Ursache der Kursschwäche kann man nicht dem Management die Schuld geben: Die Zinswende ab 2022 hat die Nestlé-Aktien belastet. Das liegt daran, dass Nestlé ein klassischer Dividendentitel ist. Das Geschäft des Nahrungsmittelkonzerns ist relativ stabil und erzeugt keine grossen Wachstumsphantasien. Dafür winkt eine verlässliche Dividende, die in den vergangenen drei Jahrzehnten zudem kontinuierlich erhöht worden ist.
Doch die steigenden Zinsen haben die Nestlé-Dividendenrendite von jüngst 2,5 bis 3 Prozent weniger attraktiv gemacht. Die Investoren können solche Erträge nun fast auch mit risikolosen Anlagen erzielen.
Inflation nagt am Geschäft
Ein zweiter Grund für die Kursschwäche ist, dass sich Nestlé auch geschäftlich verhalten entwickelt hat. «Die Geschäftszahlen waren in den letzten Quartalen nicht berauschend», sagt der Branchenanalytiker Andreas von Arx von der Bank Baader Helvea. Zwar kam Nestlé gut durch die Corona-Pandemie. Aber die ab 2022 einsetzende Inflation ging nicht spurlos am Konzern vorbei.
Das Umsatzwachstum von Nestlé war in den vergangenen Quartalen ausschliesslich von Preiserhöhungen getrieben. Hingegen schrumpften die Verkaufsvolumen, und die Profitabilität geriet unter Druck. Beides ist ungewohnt für die Nestlé-Aktionäre. «Die Investoren erwarten bei einem Konsumgüterkonzern wie Nestlé normalerweise ein organisches Umsatzwachstum von mehr als 4 Prozent pro Jahr mitsamt einer stetigen Verbesserung der Gewinnmarge», sagt von Arx.
Für die Inflation kann das Nestlé-Management nichts. Schneider und seinem Team ist es im schwierigen Umfeld immerhin gelungen, Preiserhöhungen bei den Kunden durchzusetzen und den Rückgang der Gewinnmarge in Grenzen zu halten. Doch laut von Arx kommt die Bewährungsprobe jetzt mit dem Rückgang der Inflation und der Normalisierung der Lage. Er sieht auch Hausaufgaben, die zu erledigen sind. So müsse das Gesundheitsgeschäft (Health Science) mit Vitaminprodukten, das bisher die hohen Erwartungen enttäuscht habe, seine Performance verbessern.
Hype um Spritzen gegen Fettleibigkeit
Ungelegen kam Nestlé jüngst, als dritter Punkt, der Hype um Abnehmspritzen wie Ozempic und Wegovy. Seit vergangenem Herbst debattieren Analytiker über die Frage, ob die neuartigen Präparate gegen Fettleibigkeit längerfristig die Umsätze von grossen Nahrungsmittelkonzernen schmälern könnten.
Der Nestlé-Chef Schneider erklärte als Reaktion darauf in einem Fernsehinterview ungewöhnlich klar, dass die Abnehmspritzen «keinen Einfluss» auf das Nestlé-Geschäft hätten. Vielmehr sei der Konzern gut aufgestellt für eine «Zukunft mit weniger Kalorien». Nestlé mache mittlerweile mehr als 50 Prozent seines Umsatzes mit Kaffee, Tierfutter und Gesundheitsprodukten – und diese Kategorien seien nicht oder sogar positiv betroffen. 2016 habe der entsprechende Umsatzanteil erst 30 Prozent betragen.
Trotz Schneiders Aussagen hat sich der Aktienkurs nicht erholt. Der Branchenanalytiker von Arx verweist darauf, dass weiterhin rund 15 Prozent des Portfolios von Nestlé aus Süssigkeiten wie Kitkat-Riegeln, Tiefkühlprodukten und Getränken mit einem hohen Zuckergehalt wie Nesquik oder Milo bestünden. «Ich frage mich, ob solche Produkte längerfristig von der Gesellschaft akzeptiert werden oder ob es nicht besser für Nestlé wäre, die Geschäftsbereiche zu verkaufen, bevor es zu spät ist.»
Spannung vor der Jahrespressekonferenz
Mit Argusaugen werden die Branchenbeobachter auf die Präsentation des Jahresergebnisses am Donnerstag schauen. Interessieren wird vor allem, ob der Konzern gegen Ende 2023 zu einem Volumenwachstum zurückgekehrt ist und welche Margenverbesserungen das Management für die Jahre 2024 und 2025 in Aussicht stellen wird. Es geht auch für den Konzernchef Schneider um einiges. «Wenn die Zahlen überraschend positiv ausfallen, könnte dies auch eine Trendwende bei den Nestlé-Aktien einläuten», sagt der Analytiker von Arx.