Es geht um alles. Trumpismus, ethische Fragen zum Tierwohl, Sexualität, KI, Postkolonialismus, Migrationspolitik . . . Bong Joon Ho hat die wichtigsten Schlagworte der letzten Jahre in einen Film gepresst. Leider in einen ungemein nervigen.
Leser von Filmkritiken sind es gewohnt, dass ihnen in mehr oder weniger knappen Worten die Handlung eines Filmes wiedergegeben wird. Im Fall von Bong Joon Hos neuem Kinofilm «Mickey 17» würde eine solche Plotzusammenfassung allerdings den Rahmen sprengen, denn in der Sci-Fi-Parabel geht es schlicht um alles und nichts. Eher um nichts.
Im Zentrum der Adaption von Edward Ashtons «Mickey7» steht ein von Robert Pattinson gespielter Klon, der für gefährliche Missionen eingesetzt wird. Sollte er sterben, wird er so oft wieder aus dem Digitaldrucker gelassen, bis die Wissenschafts- und Weltherrschaftsphantasien einer auf einem fremden Planeten landenden, von faschistischen Clowns geführten Gesellschaft erfüllt werden. Dabei greift der Film ein Potpourri zeitgeistiger Themen und Stimmungen auf.
Es geht unter anderem um Trumpismus, ethische Fragen zum Tierwohl, Sexualität, künstliche Intelligenz, Postkolonialismus oder Migrationspolitik. Ein Film, als hätte jemand die wichtigsten Schlagworte des gesellschaftlichen Diskurses der letzten zwei Jahre genommen und in gut zwei Stunden gepresst. Fast möchte man meinen: Ein Film wie aus dem Digitaldrucker.
Sprunghafter als «Parasite»
Es handelt sich um einen Liebesfilm, nein, einen Actionfilm, nein, ein philosophisches Drama, nein, eine Satire, nein, eine bizarre Sexkomödie, nein Hollywood-Kitsch im Weltall. Selten hat ein Film so sehr getroffen, was das deutsche Jugendwort des Jahres 2023 «goofy» wohl meint: eine seltsame Tollpatschigkeit, die nie so richtig passend scheint. Das ist nicht unbedingt unfreiwillig, wirft aber Fragen auf.
Nach seinem Welterfolg mit «Parasite» hat Bong Joon Ho endgültig den letzten Zügel losgelassen, der sein immer schon sprunghaftes Kino in emotional nachvollziehbaren Bahnen gehalten hat. Das Sehen dieses Films erinnert an ein frustrierendes Erlebnis mit einem Videospiel. Während man spielt, erklärt jemand ständig neue Regeln, und immer wenn man glaubt, zu wissen, was vor sich geht, muss man sich wieder neu orientieren.
Das nervt ungemein, aber vielleicht ging es dem südkoreanischen Regisseur genau darum? Immerhin passt dieses Prinzip zum wiederkehrenden Tod seiner Hauptfigur. Womöglich braucht es einfach siebzehn Leben und siebzehn verschiedene Filme in einem, bis ein Mensch lernt, sich gegen Unterdrückung zu wehren?
«Mickey 17» ist ein Film, bei dem man das Gefühl hat, die Schauspieler hätten mehr Freude als die Zuschauer. Ein aus den Fugen geratendes Dinner in der Suite des Diktators ist dafür ein gutes Beispiel. Alle sind ganz aufgeregt in ihrem Overacting, aber wirklicher Slapstick stellt sich nie ein, weil der Film so berechenbar ist in seinen nur behaupteten Normbrüchen.
Sexszene mit zwei Robert Pattinsons
Eigentlich verspricht dieses narrative Chaos grosse Kinofreude, aber weil das alles in einer aalglatten Ästhetik gefilmt wird, die Figuren einfallslos überzeichnet wirken und die Konflikte von einem Hollywood-Klischee (Eifersucht, Betrug, Bekehrung zum Guten et cetera) ins nächste tappen, stellt sich schnell eine Langeweile ein, die auch von einer ungewöhnlichen Sexszene mit zwei Robert Pattinsons nicht aufgefangen werden kann.
Dem Film fehlt letztlich jegliche moralische Grenzbewegung, die wirkliche B-Movies gegen das Diktat bürgerlicher Unterhaltungsformen ins Felde führen. Stattdessen sind die Guten und die Bösen hier so überdeutlich benannt, dass es fast egal ist. Unter dem narrativen Chaos spürt man eine betuliche Harmlosigkeit.
Man mag dem Film zugutehalten, dass er in einem Jahrzehnt der bierernsten und aufgeblasenen Science-Fiction-Blockbuster von Kollegen wie Denis Villeneuve («Dune») wagt, den Spass in den Vordergrund zu stellen, aber so richtig finden die im Hintergrund mitschwingenden, ernsten Themen und der alberne Ton des Films nie zusammen.
Wenn der etwas penetrant an Donald Trump erinnernde Diktator Kenneth Marshall (gespielt von einem angestrengten Mark Ruffalo) und seine irre First Lady Ylfa (Toni Collette) ihren egozentrischen Geltungsdrang am Aliennachwuchs auslassen oder die rücksichtslose Kolonisierung eines fremden Planeten gezeigt wird, dann will das nicht so recht zum Herumgeblödel der Protagonisten passen. Denn die Albernheit betrifft in diesem Film die ganze Menschheit und auch den zynischen Blick auf diese, nicht nur die Regierenden, wie man das aus Satiren kennt.
Drucker zerstören, das hilft
Bong Joon Ho orientiert sich an den Stimmungsschwankungen von Figuren in Animes, und in einer Sequenz erinnert sein Film an Stevensons «Dr Jekyll and Mr Hyde», aber insgesamt bleibt unklar, auf was er eigentlich hinauswill. Seine Welt ist so sehr Parabel, dass man sich einfach wundern muss: Parabel auf was? Die für Bong Joon Ho übliche Dialektik und Kapitalismuskritik offenbart sich weder so reissbretthaft nachvollziehbar wie in «Snowpiercer», noch ist sein ökologisches Anliegen so greifbar wie in «Okja».
Man soll nicht klonen, okay, man soll sich nicht von Faschisten beherrschen lassen, okay. Die Checkliste ist lang, und am Ende wird alles gut, wenn nur der Digitaldrucker zerstört ist und keine weiteren Trumps mehr ausspuckt. Wenn das alles ist, was ein Film von der Welt zu berichten weiss, sollte er wenigstens Spass machen.