Heinrich Fischer und Urs Wietlisbach sind erfolgreiche Schweizer Unternehmer. Beide lehnen ein institutionelles Abkommen mit der EU ab. Mit einer Initiative wollen sie sicherstellen, dass Volk und Stände Ja zu völkerrechtlichen Verträgen sagen müssten. Im Gespräch mit der NZZ erklären sie, weshalb sie sich wehren.
Am Montag haben die EU-Kritiker um Kompass Europa in Bern eine Volksinitiative lanciert. Ziel: Nur Stimmbürger und das Parlament sollen über die Gesetze in der Schweiz bestimmen. Das obligatorische Referendum soll ausgeweitet werden. Die Initiative trägt den Namen «Für eine direktdemokratische und wettbewerbsfähige Schweiz» und hat das Ziel, ein institutionelles Abkommen mit der EU zu verhindern. Man wolle keine «EU-Passivmitgliedschaft», hiess es.
Herr Wietlisbach, Herr Fischer, weshalb engagieren Sie sich gegen ein institutionelles Abkommen mit der EU? Was wollen Sie mit Ihrer Initiative erreichen?
Heinrich Fischer: Wenn man, wie ich, viel in der Welt herumkommt, sieht man die Stärken der Schweiz klar: die im Verhältnis zur EU wenigen Gesetze, die starken Institutionen, die Nähe der Regierung zur Bevölkerung und das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat. Ein institutionelles Abkommen mit der EU stellt viele dieser Vorteile infrage.
Urs Wietlisbach: 2015 untersuchten zwei unabhängige Forschungsinstitute, BAK Basel und Ecoplan, im Auftrag des Bundes den potenziellen gesamtwirtschaftlichen Schaden bei einem Wegfall der Bilateralen I. Resultat: Das Lohnwachstum würde laut Ecoplan-Studie um 0,04 Prozent gebremst. Auf Kopf und Jahr umgerechnet, entspricht das etwa 35 Franken.
Fischer: Die gleichen Kreise, die jetzt für den neuen Vertrag sind, waren vor drei Jahren auch Feuer und Flamme für das Rahmenabkommen. Sie haben den Bundesrat damals kritisiert, dass er die Übung beendet hat. Wenn es tatsächlich so wäre, dass die Schweiz mit dem neuen Vertrag so viel mehr für sich herausholen würde, dann hätte der Bundesrat ja 2021 eine sehr gute Entscheidung getroffen.
Wietlisbach: Die EU kennt über 20 000 Gesetze, die Schweiz etwa 5000. Allein letztes Jahr hat die EU 322 neue Gesetze verabschiedet – eines pro Arbeitstag.
Ihre Sorge gilt also primär der EU-Bürokratie?
Fischer: Ja, ich denke, das kann man so sagen. Der Bürokratie und dem Unwissen darüber, was die EU künftig alles als binnenmarktrelevant ansehen könnte – was der Europäische Gerichtshof plötzlich als binnenmarktrelevant erklären könnte. Man sieht es auch in anderen Bereichen.
Was meinen Sie damit konkret?
Fischer: Ich denke zum Beispiel an die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Bezug auf den Klimaschutz oder die Achtung des Familienlebens. Internationale Gerichte sind starke Treiber für expansive gesetzliche Anpassungen, die man nicht vorausgesehen hat.
Wovor haben Sie konkret Angst? Dass vertiefte Marktabkommen mit der EU früher oder später steuerliche Konsequenzen für Ihr Unternehmen nach sich ziehen könnten?
Wietlisbach: Das höre ich oft, aber das ist Unsinn. Die Partners Group würde von einer möglichst grossen Nähe zur EU profitieren. Deshalb reden Alfred Gantner, Marcel Erni und ich auch nie im Namen des Unternehmens, sondern immer nur in unserem eigenen.
Obwohl das milliardenschwere Finanzdienstleistungsunternehmen, das Sie mit Ihren zwei Partnern aufgebaut haben, von der Nähe zur EU profitieren würde, engagieren Sie sich gegen ein institutionelles Abkommen?
Wietlisbach: Wir beschäftigen weltweit 150 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in der EU sind es 50 000. Wir sind ein global tätiges Unternehmen. Aber glauben Sie mir: Es ist ein riesiger Unterschied, ob Sie in den USA wirtschaftlich tätig sind oder in Europa. Ich bin überzeugt, dass die Schweiz nicht auf ein institutionelles Abkommen mit der EU angewiesen ist. Länder wie die USA oder China exportieren nominal mehr in die EU als die Schweiz – und diese Länder haben nicht einmal ein Freihandelsabkommen.
Fischer: Die EU-Bürokratie lässt sich gut an den ESG-Richtlinien erklären.
Die Richtlinien für Umweltschutz, Soziales und Unternehmensführung.
Fischer: Genau. Ich bin übrigens ein Befürworter solcher Richtlinien. Aber die EU hat daraus ein wahres Bürokratiemonster gemacht. Die den Richtlinien unterstellten Konzerne müssen sage und schreibe 1100 Punkte erfüllen. Das heisst, sie müssen 10, 20 oder mehr neue Mitarbeiter einstellen, die nur damit beschäftigt sind, die entsprechenden Daten zusammenzusuchen und aufzuarbeiten. Noch sind nur globale Konzerne betroffen, aber es ist wohl bloss eine Frage der Zeit, bis diese Regulierung auch auf KMU ausgeweitet wird.
Wietlisbach: Interessant ist ja, dass sich der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse bei jeder Gelegenheit über die Zunahme der Regulierung in der Schweiz beklagt, die Regulierungswut der EU aber nie erwähnt.
Bevor der Bundesrat die Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen abbrach, hiess es, die Wirtschaft brauche einen bevorzugten Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Nun gibt es auch in der Wirtschaft Gegner und Befürworter. Woher kommt diese plötzliche Skepsis?
Wietlisbach: Mittlerweile sind acht von zehn Unternehmern, die ich kenne, skeptisch. Das Hauptproblem ist die dynamische Rechtsübernahme. Welches Land vergibt seine Rechtsprechung ins Ausland, nur um einen präferenziellen Zugang zum Binnenmarkt zu bekommen? Das ergibt doch null Sinn!
Wie erklären Sie sich dann das grosse Engagement von Economiesuisse oder Swissmem?
Wietlisbach: In meinen Augen denken diese Verbände zu kurzfristig. Sie haben mittelfristige Erleichterungen für den Marktzugang im Auge, lassen aber ausser acht, was alles an Regulierung und Bürokratisierung auf die Schweiz zukommen wird.
Fischer: Ich bin Mitglied einer Vereinigung deutscher Mittelständler, also KMU. Neben den Sorgen um die Energiepolitik und die Deindustrialisierung treibt sie vor allem die hohe Regulierungsdichte um.
Wietlisbach: Die Sicht der EU kann ich sogar verstehen: Die Schweiz will einen bevorzugten Zugang zum europäischen Binnenmarkt? Dann soll sie sich an die EU-Gesetze halten. Was ich nicht verstehe, sind Schweizer Unternehmer, die das befürworten. Die Zukunft liegt in den asiatischen Märkten wie auch im US-Markt.
Wenn man Vertreter der Medizintechnikbranche und den Ypsomed-Chef Simon Michel hört, ist der Zugang zum europäischen Binnenmarkt entscheidend.
Wietlisbach: Die Branche hat sich trotz dem Lamento in den letzten paar Jahren hervorragend entwickelt, die Zahl der Mitarbeiter steigt, die Aktien sind enorm gestiegen, gerade jene von Ypsomed.
Die grösste Befürworterin eines neuen EU-Abkommens ist die Pharmaindustrie, die für die Schweiz von grosser Bedeutung ist. Was sagen Sie ihr?
Wietlisbach: Ich verstehe ihre Haltung nicht, ich sehe nicht, welchen Nutzen sie hat. Die Pharmafirmen müssen ihre Produkte in jedem einzelnen Land zusätzlich anmelden, sie haben nicht einmal einen präferenzierten Zugang.
Der Roche-Manager Jörg-Michael Rupp hat in der NZZ ausgeführt, dass die Schweiz voll in das Forschungsprogramm Horizon integriert werden müsse, sonst drohten grosse Nachteile. Erste Forscher hätten die Schweiz bereits verlassen.
Fischer: Es ist tatsächlich sehr wünschenswert, dass die Schweizer Forscher bei Horizon mitmachen können, sie betrachten das als wichtig für ihre Karriere. Doch die ETH ist auch stark ohne Horizon, die Forscher geniessen dort ausgezeichnete Bedingungen, die sie kaum an einer anderen Universität so vorfinden. Deshalb kommen viele Forscher gerne zu uns. Seit sich die Schweiz vor drei Jahren aus Horizon verabschieden musste, haben zehn Forscher die ETH Richtung EU verlassen. Gleichzeitig sind 30 aus der EU zu uns gekommen. Auch die Zahl der Studenten aus der EU hat stark zugenommen. Grossbritannien übrigens ist vier Jahre nach dem Brexit bereits heute wieder voll assoziiertes Mitglied bei Horizon.
Was ist Ihr Plan, falls das Abkommen mit der EU scheitert?
Wietlisbach: Wir sind für die EU relevant, etwa beim Landverkehr und beim Strom. Wenn die Schweiz das Abkommen ablehnt, wird es kurzfristig eine Eiszeit geben. Aber nachher wird sich die Beziehung wieder normalisieren, wir werden sektoriell über neue bilaterale Verträge diskutieren. Die EU ist ebenso an einem Stromabkommen interessiert wie die Schweiz. Doch sie wäre ja dumm, wenn sie während der laufenden Verhandlungen signalisieren würde, dass sie später zu sektoriellen Diskussionen bereit wäre.
Fischer: Viele der Verträge sind in beiderseitigem Interesse, am Freizügigkeitsabkommen etwa hat die EU ein grösseres Interesse als die Schweiz.
Ihre Initiative sieht eine Rückwirkungsklausel vor: Wenn das EU-Abkommen nur mit dem Volksmehr und nicht auch mit dem Ständemehr angenommen würde, hätte es keinen Bestand. Müsste demnach ein zweites Mal abgestimmt werden?
Wietlisbach: Genau. Die Idee dahinter ist folgende: Wenn wir unsere Initiative einreichen, können Bundesrat und Parlament gar nicht mehr anders, als das EU-Abkommen dem obligatorischen Referendum von Volk und Ständen zu unterstellen. Es ist schlicht nicht denkbar, dass der Bundesrat die Abstimmung ansetzt und der EU gleichzeitig mitteilen muss, dass da noch eine Volksinitiative hängig sei, die eine zweite Abstimmung mit Ständemehr verlange. Das doppelte Mehr ist auch richtig, es geht um die Einschränkung der direkten Demokratie. Wenn Volk und Stände einverstanden sind, einen Teil ihrer Rechte abzugeben, dann ist das zu akzeptieren
Urs Wietlisbach
Mitgründer der Partners Group
Urs Wietlisbach gründete zusammen mit Alfred Gantner und Marcel Erni die international tätige Partners Group, die Privatmarktanlagen vermarktet. Neben Wietlisbach gehören auch Gantner und Erni dem Initiativkomitee an.
Heinrich Fischer
Kenner der Schweizer Industrie
Heinrich Fischer war Präsident des Verwaltungsrats des Bautechnologieunternehmens Hilti und Verwaltungsrat verschiedener Schweizer Technologiefirmen. Er war während Jahrzehnten in Führungspositionen der Schweizer Industrie tätig.