Der neue Roman der jungen Schriftstellerin Lize Spit handelt von kosovarischen Albanern, denen in Belgien die Abschiebung droht.
Gleich mit ihren ersten, sehr umfangreichen Romanen «Und es schmilzt» und «Ich bin nicht da» hat die 1988 in Flandern geborene Lize Spit viel Aufmerksamkeit erfahren. Beide Bücher zeigten ihre beeindruckende Gabe, psychische Abgründe auszuleuchten und unerbittlich festzuhalten, was unter der Oberfläche scheinbar gefestigter bürgerlicher Beziehungen schlummert.
Ihr neuer – deutlich schmalerer – Roman schlägt einen anderen Ton an. «Der ehrliche Finder» basiert, wie es im Nachspann heisst, auf einer «wahren Geschichte», auf den Erlebnissen einer Familie, die nach einer abenteuerlichen Flucht unweit von Antwerpen im Dörfchen Viersel landete, dem Geburtsort der Autorin.
Die Ibrahimis sind eine vielköpfige Sippe von kosovarischen Albanern, die in Bovenmeer, so heisst das fiktive Dorf im Roman, Fuss zu fassen versuchen. Schneller als gedacht finden sie Anschluss in der Gemeinde. Vor allem der elfjährige Tristan, der sich rasch integriert, schliesst Freundschaft mit einem einheimischen Jungen, dem Aussenseiter Jimmy. Dieser ist fasziniert vom turbulenten, notdürftig eingerichteten Leben der Ibrahimis, die sich nicht unterkriegen lassen und dem staunenden Jimmy zeigen, wie familiärer Zusammenhalt aussehen kann. Als er von Tristan kurzentscmlhlossen eingeladen wird, eine Nacht auf dem Matratzenlager der Familie zu verbringen, empfindet er nichts als pures Glück. Nie zuvor hat er eine Übernachtungseinladung bekommen.
Kühnes Täuschungsmanöver
Lize Spit braucht wenige Worte, um diese Freundschaft sehr unterschiedlicher Jugendlicher zu schildern. Hier finden sich zwei, deren Leben bislang in ganz anderen Bahnen verlaufen ist und die dennoch spüren, dass sie einander viel geben können. Keine Rolle spielt dabei, dass ihre Interessen nicht immer deckungsgleich sind.
Jimmy beispielsweise ist ein leidenschaftlicher Sammler von Flippos, jenen kleinen Kunststoffscheiben mit Karikaturen, die Mitte 1990er Jahre in Belgien und den Niederlanden Chipstüten beigelegt wurden und einen regelrechten Hype auslösten. Liebevoll legt Jimmy für Tristan eine Flippo-Sammelmappe an, doch das Präsent sorgt nicht für die erhoffte Begeisterung. Die kurze Enttäuschung kann ihre Beziehung indes nicht erschüttern.
Lange währt dieses Glück nicht. Denn aus heiterem Himmel flattert ein Bescheid auf den Tisch der Ibrahimis, in dem die Ausländerbehörde die Ausweisung der Familie anordnet. Trotz der Solidarität, die sie im Dorf erfährt, macht sich Verzweiflung breit. Was tun, um die Abschiebung zu verhindern?
Tristan schmiedet mit seiner Schwester Jetmira einen kühnen Plan, der die Behörde zur Rücknahme der Massnahme bewegen soll – in Tristans Worten: «Das ist unser Plan. Eine Heldentat. Ich werde jemanden retten, so dass ich ein Nationalheld werde und vom König eine Ehrenmedaille bekomme und eine Urkunde und die Staatsbürgerschaft.»
Appell an die Menschlichkeit
Jimmy wird in diesem Täuschungsmanöver, dessen Schauplatz der nahe gelegene Albert-Kanal sein soll, für die Hauptrolle auserkoren und einem gnadenlosen Training unterzogen. Nach und nach entwickelt der Roman eine geschickt konstruierte Spannung und läuft auf seinen letzten Seiten einem Finale voller überraschender Wendungen zu.
Viel könnte in einem solchen gutgemeinten Roman schiefgehen, gross war die Gefahr, in sentimentalen Kitsch abzugleiten. Lize Spit entgeht diesen literarischen Fallstricken gekonnt. Gewiss, sie verhehlt nicht den moralischen Impetus ihrer Erzählung, den Appell an Menschlichkeit und Einfühlung.
Doch mit ihrer Fähigkeit, sich in den Kosmos der zum Widerstand angestachelten Jugendlichen hineinzudenken, umgeht sie die moralische Aufladung ihres Romans. Dass die Autorin zudem Sinn für Komik hat – etwa wenn Jetmira Jimmy auf die Kälte des Kanalwassers vorbereiten will und ihn deshalb in einer Badewanne unter einem Haufen Tiefkühlgemüse begräbt –, macht aus diesem Buch eine kleine, feine Trouvaille.
Lize Spit: Der ehrliche Finder. Roman. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2024. 127 S., Fr. 26.90.