In der Forschungsgruppe von Aguzzi sollen gefälschte Bilder in wissenschaftlichen Veröffentlichungen verwendet worden sein. Aguzzi hat in den letzten Monaten mehrere Publikationen korrigiert oder zurückgezogen. An manchen der Arbeiten gab es schon vor Jahren Kritik.
In der Forschung gilt die Regel, so wenig Tierversuche wie möglich durchzuführen. Doch Versuche vorzutäuschen, die man nie durchgeführt hat: Das ist Schwindel.
Genau das wird einem ehemaligen Mitarbeiter des Unispitals Zürich vorgeworfen. Er soll für Publikationen in Fachzeitschriften Bilder gefälscht haben. Statt ein neues Experiment durchzuführen, habe der Forscher Mikroskopaufnahmen von Mäusegehirnen aus früheren Experimenten wiederverwendet. Der Mitarbeiter habe seine Manipulationen zugegeben. Das berichtet der «Sonntags-Blick». Ein Vorabdruck einer Publikation, die auf den gefälschten Versuchen basieren soll, wurde bereits im Februar aufgrund von «Unregelmässigkeiten» zurückgezogen.
Im Zentrum der Anschuldigungen steht ein gefeierter Forscher
Die Identität des fälschenden Mitarbeiters ist noch nicht gelüftet. Klar ist: Die fragwürdige Forschung fand im Labor von Adriano Aguzzi statt. Der renommierte Pathologe leitet das Institut für Neuropathologie am Unispital Zürich und ist ausserdem als Professor an der Universität Zürich tätig.
Aguzzi ist für seine Forschung weltbekannt. Viele hochdotierte Preise und Auszeichnungen zieren seinen Lebenslauf, er gilt als Koryphäe in seinem Gebiet, einige seiner ehemaligen Studenten haben in der Wissenschaft Karriere gemacht.
Dass Aguzzi jetzt mit Fälschungsvorwürfen konfrontiert ist, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn er stellte sich noch vor wenigen Jahren auf Twitter als besonders passioniert dar, was wissenschaftliche Korrektheit angeht. Damals schrieb er: «Ich versuche, mich als sanfter, unterstützender und einfühlsamer Betreuer zu verhalten. Das tue ich wirklich. Es sei denn, jemand weigert sich, ein wichtiges Kontrollexperiment durchzuführen, weil er Angst hat, dass das Ergebnis nicht seinen Erwartungen entspricht. Dann werde ich zu einer Bestie. Einer feurigen, gefährlichen Bestie.»
Als Leiter des fraglichen Projekts und als Ansprechperson für die Publikation liegt die Verantwortung für die Richtigkeit der Ergebnisse letztlich bei Aguzzi. Nachdem im Februar Hinweise auf eine Fälschung eingegangen waren, hat Aguzzi die Universität Zürich informiert. Diese hat eine Untersuchung eingeleitet, um die Vorwürfe gegen ihn und weitere Mitarbeitende des Instituts zu prüfen. Ob dabei noch weitere Publikationen im Verdacht stehen und geprüft werden, ist unbekannt. In den letzten drei Monaten hat Aguzzi eine weitere Publikation zurückgezogen und zwei weitere korrigiert.
Aus rechtlichen Gründen und aus Fürsorge für ihre Mitarbeiter teilt die Universität keine weiteren Details zu den Untersuchungen mit. Adriano Aguzzi hat auf Anfrage keine Stellung genommen.
Schon vor Jahren gab es Hinweise auf Probleme in Veröffentlichungen
Es ist jedenfalls nicht das erste Mal, dass Forschung unter der Leitung von Aguzzi wegen Unregelmässigkeiten auffällt. Schon 2013 geriet eine Publikation aus seiner Arbeitsgruppe in die Kritik. Auf der Plattform «Pubpeer» machte ein anonymer User darauf aufmerksam, dass in einer Studie im Fachjournal «Plos Pathology» mehrfach das gleiche Bild gezeigt wurde. Dabei handelte es sich laut Bildbeschreibung um Mikroskopaufnahmen von zwei verschiedenen Mäusen. Im direkten Vergleich sieht man, dass das Bild lediglich leicht gedreht und ein anderer Bildausschnitt gewählt wurde.
Ein anderer anonymer Account identifizierte sich daraufhin als Adriano Aguzzi und versprach, sich der Kritik anzunehmen. Doch später ändert sich der Tonfall der Konversation. Zwei Jahre später schreibt der gleiche Account: «Ich sehe keine Notwendigkeit, meine Arbeit gegen eine Gruppe anonymer Kritiker zu verteidigen, die von vornherein meine Integrität anzweifeln, aber nicht einmal bereit sind, sich zu erkennen zu geben.» 2016, drei Jahre nach der aufkeimenden Kritik, korrigiert Aguzzi die Publikation.
Im Juli 2024, noch einmal acht Jahre später, wurde die Publikation schliesslich ganz zurückgezogen. Laut Johannes Haybäck, dem Erstautor der Studie, sind weitere Fehler in den Bildern der Studie aufgefallen. Da man keine zweite Korrektur machen wollte, habe man zusammen mit dem Fachjournal entschieden, die Publikation ganz zurückzunehmen.
Wissenschaftliches Fehlverhalten weist Haybäck von sich. Die falschen Bilder seien aus Versehen verwendet worden, es handle sich um Schlampereien und Schnelligkeitsfehler, nicht um Schwindelei. Das habe man gegenüber dem Journal darlegen können. «Man ist nicht stolz darauf, wenn einem Fehler unterlaufen, aber das war keine böse Absicht», sagt Haybäck. Ausserdem stehe man weiterhin zu der wissenschaftlichen Aussage der Studie.
Fälschungen werden oft von Freiwilligen aufgedeckt
Auf den ersten Blick scheint es erstaunlich, dass solche Fehler es überhaupt in wissenschaftliche Publikationen schaffen. Doch weil ein Mäusehirn dem anderen gleicht, fallen doppelte Bilder im Peer-Review-Prozess nicht unbedingt auf. Schliesslich suchen die Wissenschafter, die eine Publikation vor der Veröffentlichung beurteilen, nicht gezielt nach Fälschungen. Sie beschäftigen sich vielmehr mit der Frage nach der Sinnhaftigkeit und Qualität der durchgeführten Experimente und deren Interpretation. Deshalb sind es häufig Freiwillige, die nach der Veröffentlichung auf anonymen Plattformen Fehler oder Betrügereien aufdecken.
Für Forscher wiederum ist die Verlockung, eine Abkürzung zu nehmen, durchaus vorhanden. In einem hochkompetitiven Umfeld ist der Druck gross, viele Resultate zu veröffentlichen. Geht ein Experiment schief, kann es lange dauern, es zu wiederholen. Dann kommt es vor, dass jemand lieber auf Manipulation setzt und hofft, dass es nie jemandem auffällt. Es liegt an den Leitern der Forschungsgruppen, ein Umfeld zu schaffen, in dem Integrität höher gewertet wird als die Zahl der Publikationen.