Sonntag, September 29

Zur Tatzeit litt die ehemalige Juristin an einer wahnhaften Störung. Sie selbst sieht das anders.

«Ist ihnen noch nicht aufgefallen, dass es nicht mehr so viele blonde Kinder gibt wie früher?», fragt die 63-jährige Beschuldigte, die selber blond ist, während ihrer Befragung den Oberrichter Christoph Spiess und liefert auch gleich eine Erklärung: Es sei nämlich so, dass blonde Menschen einen anderen Geruch verströmten als nicht blonde, und dieser Geruch sei für Wölfe besonders anziehend. Wölfe würden demnach bevorzugt blonde Kinder fressen.

Die beschuldigte Schweizerin ist der mehrfachen versuchten Tierquälerei angeklagt, weil sie im März 2020 in Dielsdorf Giftköder auslegte. Das tat sie, um Wölfe zu töten. Sie ist völlig davon überzeugt, dass Wölfe in Dielsdorf unzählige obdachlose Strassenkinder «gerissen» haben. Es habe am Abend vor ihrem Haus immer eine «wahre Völkerwanderung» von Strassenkindern in Richtung Waldrand gegeben. Und dann hätten Wölfe gebellt und geheult.

Schuldfähig trotz Wahnvorstellungen

Eine Katze namens Däbbeli brachte den Straffall im März 2020 ins Rollen: Däbbeli kam damals nämlich mit einen Giftköder nach Hause. Die Katzenbesitzerin alarmierte Tierarzt und Polizei. Zwei Tage später wurde die 63-jährige Schweizerin von einem Hündeler-Paar auf frischer Tat beim Auslegen der Giftköder erwischt und von der Polizei festgenommen.

Sie sass einen halben Tag in Haft. Gegen ein psychiatrisches Gutachten wehrte sie sich. Dieses kam zum Schluss, dass die Frau zwar unter Wahnvorstellungen leidet, aber trotzdem schuldfähig ist.

Das Bezirksgericht Dielsdorf verurteilte die 63-Jährige im September 2023 wegen mehrfacher versuchter Tierquälerei zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 140 Franken. Dagegen ging sie vor Obergericht in Berufung. Von weiteren Anklagepunkten, darunter auch Ehrverletzungsdelikten, war sie in Dielsdorf freigesprochen worden. Diese Freisprüche sind rechtskräftig.

Als sie vor Obergericht auf eine Vorstrafe aus dem Jahr 2015 angesprochen wird, sagt die Beschuldigte: «Herr Spiess, hören Sie mit dem alten Chabis auf! Es ist mir piepsegal.» Die Frau ist aus Südfrankreich angereist, wo sie als Daueraufenthalterin in einem Hotel wohnt. Sie ist nicht mehr erwerbstätig und lebt von 6700 Franken Rente monatlich und ihrem Vermögen.

Auch vor Obergericht ist sie bezüglich des äusseren Sachverhalts im Prinzip geständig: Sie bestellte das Rattengift Rodentizid bei Amazon, umwickelte 10-Gramm-Säcke mit Fleisch und band dieses mit einem Faden fest. Laut der Anklage waren die Köder, die eine Dosierung von 27 mg/kg des Giftstoffs Coumatetralyl enthielten, objektiv nicht geeignet, ein Tier von der Grösse eines Wolfs zu töten.

Es seien jedoch auch Katzen, Hunde, andere Kleintiere und Wildtiere gefährdet gewesen. Sie habe das Fleisch aber im Busch und unter Blättern versteckt, rechtfertigt sich die Beschuldigte vor den Oberrichtern. Und dass vergiftete Tiere leiden würden, sei eine böswillige Unterstellung. «In der Packungsbeilage steht, dass sie schmerzlos durch inneres Verbluten sterben.»

Die Beschuldigte betont mehrfach, die Wolfspopulation in der Schweiz explodiere exponentiell. Die Bedrohungslage habe sich massiv verschärft. Es handle sich um ein «Gewimmel». Es sei gut, dass Bundesrat Rösti etwas unternehme. Sie habe auch Angst vor Bären und Luchsen. Und ein Goldschakal habe ihr vor die Haustüre gepinkelt.

Das psychiatrische Gutachten bescheinigt der Frau, die früher als Primarlehrerin, Juristin und Schulpflegerin wirkte, zur Tatzeit eine anhaltende wahnhafte Störung oder eine paranoide Schizophrenie, die ihre Schuldfähigkeit im mittleren Grad einschränkte. Die Frau selbst hält nichts von dieser Diagnose. «Das ist mir zu blöd», sagt sie, «ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte. Das mit den Wölfen geht einfach nicht.»

«Lockspeisen, nicht «Giftköder»

Ihr Verteidiger, der konsequent von «Lockspeisen» und nicht von «Giftködern» redet, plädiert auf einen Freispruch. Es habe sich um untaugliche Versuche gehandelt, die straflos bleiben müssten. Objektiv sei der Giftgehalt in den Lockspeisen nicht gefährlich gewesen. Hunde und Katzen hätten die Hälfte ihres Körpergewichts davon fressen müssen, um mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent daran zu sterben.

Das Obergericht sieht es anders und bestätigt den Dielsdorfer Schuldspruch wegen mehrfacher versuchter Tierquälerei. Die Frau wird wieder mit einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 140 Franken bestraft, bei einer Probezeit von 2 Jahren. Das Rattengift könne Tiere gefährden und töten, dafür sei es ja gemacht, erklärt Oberrichter Spiess. Für kleinere Tiere wie Wiesel oder Mäuse sei es durchaus gefährlich gewesen.

Es handle sich bei der Verurteilung allerdings um eine «Bagatellstrafe», die auch der Tatsache Rechnung trage, dass die Beschuldigte Dinge wahrnehme, die nicht der Realität entsprächen, erklärt Spiess. Und er verabschiedet sich bei der Frau mit einem Schmunzeln: «Kommen Sie gut nach Hause, ohne Wölfe.»

Urteil SB240092 vom 30. 8. 2024, noch nicht rechtskräftig.

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