Klimaschützer begehrten am Gardasee gegen das Fällen einer 29 Meter hohen Fichte für den Petersplatz auf. Ein Startup aus Trento begegnet dem Baumsterben in den Alpen lieber mit einer konkreten Initiative.
Im Hintergrund heulen die Kettensägen, als sich Renato Girardi noch vor Morgengrauen im Scheinwerferlicht vor den Videokameras in Pose wirft. Hinter dem Bürgermeister des Bergdorfs Ledro am Gardasee liegt eine 29 Meter hohe Rotfichte am Boden. Erleichtert meldet er den Vollzug der ersehnten Fällung: «Nach neun Jahren ist der Moment gekommen, und wir haben den Baum gefällt», sagt Girardi zufrieden. Der Gemeindechef schickt die majestätische Tanne umgehend auf die Reise nach Rom, wo sie in der Adventszeit als Christbaum den Petersplatz schmücken soll. Daheim im Trentino jedoch stiftete er mit der Spende an den Papst viel Unfrieden.
Appell an Franziskus
Es ist der Kampf um ein Symbol, der die Gemüter in norditalienischen Alpentälern seit Wochen erhitzt. Klimaschützer hatten mit einer Internetpetition 52 000 Unterschriften für die Rettung des 70 Jahre alten Baums gesammelt. Ihr Aufruf lautete: «Unterschreiben Sie gegen den konsumistischen Brauch, lebende Bäume für flüchtige Zwecke und für ein paar Selfies zu opfern.»
In einem grossen Karton waren die ausgedruckten Unterschriften direkt an den Heiligen Vater nach Hause in die Casa San Marta im Vatikan geschickt worden. Die Aktivisten appellierten an Franziskus, die geplante Fällung zu stoppen. Sie wiesen ihn dabei auf seine Enzykliken hin, in denen er den Erhalt der Schöpfung anmahnt und eindringlich vor den Auswirkungen der Erderwärmung warnt. «Die Klimakrise verlangt danach, Zeichen für eine entschlossene Wende zu setzen», erklärte Marco Ianes von der Aktivistengruppe Bearsandothers.
Klar ist: Es ging am Gardasee nicht um das Schicksal eines Baumes, sondern um die Signalwirkung eines Traditionsbruchs. Seit 40 Jahren wird zu Weihnachten neben der monumentalen Krippe auch ein grosser Nadelbaum auf dem Petersplatz aufgestellt. Jedes Jahr schenkt nun eine andere Gemeinde in Norditalien dem Vatikan ein Prachtexemplar aus ihren Wäldern.
Die Aktion ist eine logistische und auch eine finanzielle Herausforderung. Im Haushalt von Ledro liess der Rat in diesem Jahr für das Fällen und den Transport der Fichte 60 000 Euro bereitstellen. Die 5000-Einwohner-Gemeinde solle das Geld besser für umweltfreundliche Infrastrukturprojekte oder soziale Zwecke ausgeben, rügten die Kritiker. Girardi will davon nichts wissen. «Das ist eine kulturelle Investition für Ledro, die den Ort in aller Welt bekannt macht», sagte er. Das Bergdorf hatte sich bereits 2015 beim Vatikan für die Gabe beworben. Die einen wollen Geld für Klimaschutz, die anderen setzen auf Tourismus-Marketing.
Für die Baumspende wurde jedenfalls ein beträchtlicher Aufwand getrieben: Schon in der Nacht vor dem Fällen wurde die Fichte von Sicherheitskräften bewacht. Um 4 Uhr morgens rückten am Passo Nota in 1200 Meter Höhe Forstdienst, Carabinieri und Feuerwehr an. Noch im Dunkeln kam um 5 Uhr 50 die Motorsäge zum Einsatz. An einem Drahtseil wurde der Riese von einem Kran behutsam auf den Boden gelegt. «Eine perfekte Aktion», frohlockte Girardi. Vier Stunden später war der Christbaum in spe, 5,5 Tonnen schwer und knapp 30 Meter lang, bereits auf einen offenen Sattelzug verladen.
Nach 600 Kilometern und zwei Nächten Fahrt erreichte der von der Feuerwehr eskortierte Spezialtransport Rom. Zum Bemühen um klimagerechte Nachhaltigkeit passt das eher nicht. Im Januar geht der abgeschmückte Baum wieder zurück in die Alpen – ins Sägewerk. Dorthin, wo er auch gelandet wäre, wenn ihn der Vatikan nicht für den Petersplatz auserkoren hätte, versicherte Girardi.
Die Gegner der Fällung geisselten «das anachronistische Massaker». Ihnen geht es auch um die Abermillionen von Tannenbäumen, die jährlich zum Fest geschlagen werden. Der Bürgermeister aber nahm die Kritik persönlich. «Sie verderben uns ein Fest, und das nur wegen eines Baumes», sagte er. Schliesslich freuten sich in Ledro 600 Leute darauf, am 7. Dezember nach Rom zu reisen, um auf dem Petersplatz dabei zu sein, wenn die Lichter am Weihnachtsbaum entzündet werden.
Der Glaubenskampf um den päpstlichen Weihnachtsbaum lenkte den Blick ab von einem sehr realen Problem: dem beklemmenden Zustand der Wälder am italienischen Alpenrand. Vor sechs Jahren, am 29. Oktober 2018, hatte das Sturmtief «Vaia» in den Dolomiten in einer Nacht 42 Millionen Bäume abgeholzt. Der Orkan walzte Fichten und Lärchen wie Streichhölzer nieder. Am Boden türmten sich 8,5 Millionen Kubikmeter Holz. Mit einem Paukenschlag hatte sich die Klimakrise damals auch auf der Mittelmeerhalbinsel ins Bewusstsein gedrängt.
Dem Jahrhundertsturm folgte die nächste Plage auf dem Fusse: die Ausbreitung des Borkenkäfers. Begünstigt wurde sie an der italienischen Südflanke der Alpen massiv durch das Herumliegen des toten Sturmholzes, das die Vermehrung des Schädlings beschleunigte. «Bis heute hat der Borkenkäfer hier mehr als 40 Millionen Bäume getötet, so viel wie der Orkan 2018», sagt Federico Stefani aus Trento. Man rechnet damit, dass die Zahl in den kommenden fünf Jahren auf 100 Millionen Bäume ansteigen wird.
Design aus umgestürzten Baumstämmen
Für Stefani ist der Sturm «Vaia» ein Weckruf gewesen. Er liess vor fünf Jahren seinen Job sausen und gründete mit zwei Freunden das Startup Vaia. Sie wollten dem Holz neues Leben schenken. Zunächst brachte die Firma Vaia «Cube» auf den Markt, einen schnurlosen Lautsprecher, der den Klang des Mobiltelefons mit der natürlichen Resonanz des Holzes verstärkt.
Die Designklötze werden aus umgestürzten Baumstämmen hergestellt. Für jeden verkauften Lautsprecher pflanzt Vaia in den zerstörten Wäldern einen jungen Baum an. Es sind schon 130 000. Im Oktober nahm das Startup auch vom Borkenkäfer heimgesuchte Berghänge in das Wiederaufforstungsprogramm auf. Dazu wurden unter dem Namen Vaia People Aufladestationen für Smartphones, Kopfhörer und digitale Uhren aus Käferholz vorgestellt.
Die polarisierende Kontroverse zwischen Umweltschützern und dem Bürgermeister von Ledro um die päpstliche Fichte lässt Stefani kalt. Die Frage nach dem zeitgerechten Weihnachtsbaum beantwortet der 33-Jährige pragmatisch: «Für den Petersplatz könnte man sicher eine innovative und nachhaltigere Lösung finden», sagt er.