Nun ist der Uber-Fahrer vom Vorwurf der Schändung der alkoholisierten Frau freigesprochen worden.
Es geschah in einer Sonntagnacht im Juli 2023 zwischen 3 Uhr und 4 Uhr morgens: Vor dem Zürcher «Kaufleuten» lag eine heute 24-jährige Schweizerin auf dem Boden, nicht mehr ansprechbar. Sie hatte zuvor mit Kolleginnen und Kollegen im Klub gefeiert. Diese verständigten eine Cousine der jungen Frau. Die Cousine bestellte ein Uber-Taxi vom «Kaufleuten» an ihren eigenen Wohnort in Wetzikon.
Laut Anklage musste die junge Frau von vier Personen ins Taxi getragen werden. Der Fahrer verweigerte den Auftrag zunächst, nahm ihn dann aber doch an. Bei ihrer Befragung vor Bezirksgericht Hinwil erklärt die junge Frau, sie habe an jenem Abend Weisswein, Tequila-Shots und Whiskey-Cola getrunken. Ihr sei schlecht geworden. Wie sie in das Uber gelangt sei, wisse sie nicht.
Plötzlich sei sie aufgewacht. Sie sei auf dem Rücksitz in einem Auto gelegen, und ein unbekannter, fremder Mann habe ihre Brüste befasst. Das Auto sei an einem Strassenrand zwischen einem Wald und einer Autobahn gestanden. Dann habe ihr der Mann auch noch mit seiner Hand in den Slip gegriffen. Er habe aber aufgehört, als er gemerkt habe, dass sie wach sei. Sie sei in Panik geraten und aufgestanden. Gesagt habe sie nichts. «Ich hatte keine Kraft zum Reden.» Der Mann sei dann weitergefahren, und sie sei wieder eingeschlafen.
Erst als sie bei der Cousine in Wetzikon angekommen seien, sei sie wieder zu sich gekommen. Sie habe zur Cousine gesagt: «Er hat mich angefasst!» Dann sei sie erst am Mittag wieder aufgewacht. Sie habe geduscht und ihre Kleider – ausser den BH – gewaschen. Es gehe ihr auch heute psychisch noch sehr schlecht. Ihren Eltern könne sie es nicht erzählen. Sie habe bisher auch nicht die Kraft gehabt, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Falsche Anschuldigung, um Fahrt nicht bezahlen zu müssen?
Die Frau und der Uber-Fahrer treffen sich vor Gericht nicht. Ihre Befragungen werden mit Video in andere Säle übertragen. Der 28-jährige Uber-Fahrer ist ein Rumäne, der seit 2021 in der Schweiz lebt. Er sass aufgrund der Anschuldigungen zwei Tage in Haft und wurde von Uber gesperrt; «für immer», sagt er. Nun liefere er nur noch Essen aus und verdiene wesentlich weniger. Er lebe in einer Partnerschaft. Seine Freundin halte zu ihm.
Zu seinen Zukunftsplänen befragt, sagt er, bei einem Landesverweis würde er nach Frankreich gehen, wo er schon einmal gelebt habe. Er sei schockiert und könne nicht glauben, «dass so eine Sache das ganze Leben umdrehen kann».
Er erzählt, er habe vor dem «Kaufleuten» den Auftrag drei bis vier Mal abgelehnt. Die Kollegen der Frau hätten aber insistiert. Kein anderer Uber- oder Taxifahrer habe sich zur Fahrt bereit erklärt. Er habe zuerst verlangt, dass jemand mitfahre. Die Kollegen der Frau hätten aber gesagt, sie wollten noch im Klub weiterfeiern. Die Cousine habe ihm dann am Telefon versichert, sie werde einen allfälligen Schaden bezahlen. Sie habe in der App eine Cash- oder Twint-Bezahlung bei Ankunft gewählt.
Er habe Angst gehabt, dass die Frau in seinem Mercedes, der weisse Sitze habe, erbrechen werde. Auf halber Fahrt habe die Frau dann gestöhnt und gemurmelt. Er habe sie gefragt, ob sie erbrechen müsse, und auf dem Pannenstreifen angehalten. Er habe sie unter den Armen angefasst, um ihr aus dem Auto zu helfen. Irgendwelche intimen Körperteile habe er nicht berührt. Sie habe versucht, zu erbrechen. Nach maximal fünf Minuten hätten sie die Fahrt fortgesetzt.
Am Zielort habe die Cousine die junge Frau in Empfang genommen und gesagt, sie komme zurück, um zu bezahlen. Bei ihrer Rückkehr habe sie die Bezahlung dann jedoch verweigert, weil ihre Cousine gesagt habe, von ihm angefasst worden zu sein. Er glaube aber, dass sie eine Geschichte erfunden habe, um nicht bezahlen zu müssen. Es sei um 70 Franken gegangen.
Sie hätten dann diskutiert. Die Frau habe der Polizei telefoniert, womit er einverstanden gewesen sei. Er habe 15 Minuten auf die Polizei gewartet, sei dann aber weggefahren, weil ihm in der Samstagnacht sonst viele Aufträge entgangen wären. Von Uber hätte er das Geld für die Fahrt sowieso bekommen.
Fehler der Polizei am frühen Morgen
Die Staatsanwältin erklärt in ihrem Plädoyer, beide geschilderten Abläufe seien möglich und nachvollziehbar. Die Entscheidung liege beim Gericht. Sie beantragt eine bedingte Freiheitsstrafe von 14 Monaten für Schändung, eventualiter sexuelle Nötigung, bei einer Probezeit von 4 Jahren sowie den Widerruf von zwei nicht einschlägigen bedingt ausgesprochenen Vorstrafen wegen Verkehrsdelikten, Diebstahls und Vergehen gegen das Waffengesetz. Ein Landesverweis sei obligatorisch. Sie verlangt das Minimum von 5 Jahren.
Es sei keine DNA des Beschuldigten am BH gefunden worden. Dass die Frau am nächsten Tag habe duschen und die Wäsche waschen können, sei ein Fehler der Polizei. Die ausgerückten Beamten hätten die Situation falsch eingeschätzt. Die Cousine habe den Polizisten gesagt, dass die Frau nicht befragt werden könne. Da seien sie wieder weggefahren. Deshalb weiss man auch nicht, was das angebliche Opfer eigentlich intus hatte. Erst am Montag habe die junge Frau dann Anzeige erstattet.
Die Anwältin der Privatklägerin beantragt eine Genugtuung von 6000 Franken. Ihre Mandantin habe erleben müssen, was dem schlimmsten Albtraum jeder Frau nahe komme. Die Rechtsvertreterin will zusätzlich ein Tätigkeitsverbot für Personentransporte für den Beschuldigten für die Dauer von 5 Jahren.
Dazu, einen solchen Antrag zu stellen, sei die Anwältin laut Gesetz gar nicht berechtigt, erklärt der Verteidiger und plädiert auf einen vollumfänglichen Freispruch. Unglaubwürdig sei die Frau schon deshalb, weil zwischen ihren eigenen Angaben über ihre angebliche Trinkmenge und ihrem Zustand eine hohe Diskrepanz bestehe. Ihr Zustand könne nur mit wesentlich höheren Mengen Alkohol oder dem Konsum anderer Substanzen erklärt werden. Der Frau sei es nicht mehr möglich gewesen, echte von eingebildeten Erinnerungen zu unterscheiden.
Die Polizisten seien am frühen Morgen von der Cousine nicht zu ihr gelassen worden, um mit ihr zu reden. Der einzig nachvollziehbare Grund dafür sei, dass die junge Frau gar nie gesagt habe, angefasst worden zu sein. Die Cousine habe das wohl erfunden, um die Fahrt nicht bezahlen zu müssen. Andernfalls hätte man DNA des Uber-Fahrers am BH finden müssen. Es sei zudem unglaubwürdig, dass ein angebliches Schändungsopfer nach einem solchen Vorfall keine professionelle Hilfe suche.
«Klassischer ‹In dubio pro reo›-Freispruch»
Das Bezirksgericht Hinwil hat in Absprache mit den Parteien auf eine mündliche Urteilseröffnung verzichtet. Nun liegt das Urteil schriftlich unbegründet im Dispositiv vor. Der 28-jährige Rumäne ist freigesprochen worden. Er erhält eine Genugtuung von 400 Franken für zwei Tage Haft. Die Zivilforderungen gehen auf den Zivilweg und sämtliche Kosten auf die Staatskasse.
Gemäss Auskunft des Gerichtsvorsitzenden Adrian Wolfensperger geht das Gericht davon aus, dass die Privatklägerin davon überzeugt ist, das Geschilderte erlebt zu haben und die Wahrheit zu sagen. Gestützt auf ihren Bewusstseinszustand sei sich das Gericht allerdings nicht sicher, ob das, was sie subjektiv erlebt habe, auch objektiv passiert sei. Die Frau habe zwar zum Kerngeschehen konstant ausgesagt, bei allem, was darum herum geschah, habe sie aber «einen Filmriss» gehabt.
Objektive Beweismittel gebe es nicht. DNA des Uber-Fahrers sei ja keine gefunden worden. Es sei eine Aussage-gegen-Aussage-Situation, und die Ausführungen des Uber-Fahrers seien durchaus glaubhaft. Das Gericht könne sich vorstellen, dass sein Alternativszenario zutreffe. Es sei glaubhaft, dass er Angst gehabt habe, die Frau könnte im Mercedes erbrechen, und deshalb angehalten, ihr aus dem Taxi geholfen habe. Somit müsse ein «klassischer ‹In dubio pro reo›-Freispruch» erfolgen.
Schon am nächsten Dienstag, dem 17. September, steht erneut ein Uber-Fahrer wegen Schändung vor einem Gericht im Kanton Zürich, diesmal vor Bezirksgericht Bülach: Dem 44-jährigen Eritreer wird vorgeworfen, im Juni 2023 in Glattbrugg sexuelle Handlungen an einer Frau begangen zu haben, die nach einem Apéro bei ihrem Arbeitgeber betrunken und im Halbschlaf bei ihm im Uber mitfuhr. In diesem Fall sind eine bedingte Freiheitsstrafe von 16 Monaten wegen Schändung und 8 Monate Landesverweis beantragt.
Urteil DG240007 vom 3. 9. 2024, noch nicht rechtskräftig.