Montag, September 30

Jugendliche tragen auch in Zürich vermehrt Messer. Es gibt doppelt so viele Messerangriffe wie vor fünf Jahren.

Seit in Solingen ein syrischer Terrorist mit einem Messer drei Personen getötet hat, erreicht in Deutschland die Angst vor Messerstechern einen neuen Höhepunkt.

Im Nachbarland wird über Messerverbotszonen debattiert und darüber, ob Messer bereits ab einer Klingenlänge von sechs Zentimetern unter das Waffengesetz fallen sollen, wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser dies vorsieht. Auch dreht sich die Diskussion darum, ob Männer mit Migrationshintergrund tatsächlich öfter zustechen.

Nun erreicht die Debatte auch Zürich. Die SVP will im Stadtparlament vom Stadtrat wissen, ob auch hierzulande entsprechende Messerverbotszonen denkbar wären.

Als mögliche Verbotszonen nennen die Initianten unter anderem das Seebecken, Bahnhöfe, Tramhaltestellen, Quartierfeste, Volksfeste, Schulen oder Asylunterkünfte. Auch fragen die SVP-Politiker, ob diese Zonen zeitlich und örtlich beschränkt werden könnten.

Die SVP ist eigentlich nicht bekannt dafür, eine Verfechterin von Verboten zu sein. Yves Peier will seinen Vorstoss denn auch nicht als eine solche Forderung verstanden wissen. Vielmehr gehe es darum, zu erfahren, wie Zürich mit dem Messerproblem umgehe. Auch sei es für ihn «nebulös», ob die Stadt Zürich überhaupt eine entsprechende Strategie habe.

Peier sagt: «Es interessiert mich nicht, ob nun ein Schweizer oder ein Asylbewerber zum Messer greift.» Für ihn sei jedes Messer im öffentlichen Raum eines zu viel.

Mit einer Verbotszone erhofft er sich für die Polizei eine mögliche Handhabe, um aggressiv auftretende Gruppen auf Messer zu kontrollieren und ihnen diese abzunehmen. So könnten weitere Straftaten verhindert werden, erklärt Peier.

Als einen Konfliktbereich und damit eine potenzielle Verbotszone sieht er das Zürcher Seebecken. Gemäss der Kriminalitätsstatistik hätten hier die Delikte stetig zugenommen.

Tatsächlich gibt es das Bestreben, das Zürcher Seebecken sicherer zu machen, nicht erst seit Solingen. Nachdem es 2019 vermehrt zu Messerstechereien gekommen war, lancierte der damalige städtische Polizeikommandant Daniel Blumer die Idee einer Alkohol- und Waffenverbotszone.

Dadurch, so Blumer, würden die Leute ihr Verhalten ändern, und die Polizeiarbeit würde einfacher. Er begründete seinen Vorschlag mit positiven Erfahrungen aus Deutschland. Dort kennen mehrere Orte solche Verbotszonen.

Weder die Stadt- noch die Kantonspolizei will sich auf Anfrage zur Idee eines Verbots äussern. Der Zürcher Stadtrat hat nun drei Monate Zeit, um die Anfrage der SVP zu beantworten.

Doppelt so viele Messerattacken innert fünf Jahren

Stichwaffen sind auch im Kanton Zürich zum Symbol einer besorgniserregenden Entwicklung geworden. Jüngst sorgte der Angriff eines jugendlichen IS-Anhängers für Entsetzen. Dieser stach im März in Zürich auf einen orthodoxen Juden ein und verletzte ihn lebensgefährlich.

Auch die Statistik spricht eine deutliche Sprache: So hat sich die Zahl der Messerattacken in Zürich innert fünf Jahren verdoppelt, wie die Kriminalstatistik für das Jahr 2023 zeigt.

Von 50 Fällen im Jahr 2019 stieg die Anzahl Messerattacken jüngst auf 105. Erfasst sind dabei Tötungsdelikte, versuchte Tötungen sowie einfache und schwere Körperverletzungen. Etwas weniger als die Hälfte der Delikte wurden in der Stadt Zürich registriert.

Bei den Tatverdächtigen handelt es sich häufig um ausländische Männer. 71 der 105 registrierten Gewalttaten mit Stichwaffen gehen auf ihr Konto, ein Fünftel der Beschuldigten sind ausländische Jugendliche.

Es werden auch mehr minderjährige Schweizer verzeichnet, die zur Stichwaffe greifen. Eine Umfrage der Stiftung für Kinder- und Jugendförderung (Mojuga) unter 170 Jugendlichen ergab beispielsweise, dass 65 Prozent der männlichen Teenager im Alltag regelmässig ein Messer auf sich tragen.

Inwieweit Verbotszonen einen Einfluss haben, ist allerdings umstritten. In deutschen Grossstädten wie Köln und Hamburg gibt es diese. Die Polizei kontrolliert dort und verhängt bei Zuwiderhandlungen mitunter eine Busse – von 250 Euro. Trotzdem zählte die deutsche Polizei im vergangenen Jahr 9000 Messerangriffe.

Wenig Unterstützung von anderen Parteien

In Zürich reagiert die Politik skeptisch auf mögliche Verbotszonen. Der FDP-Gemeinderat Andreas Egli bezeichnet die Idee als eine «Alibi-Übung». Niemand, der ein Attentat mit einem Messer plane oder der sowieso kriminell und gewaltbereit sei, lasse sich wegen eines Verbots davon abhalten.

Mit einem Verbot würden dagegen alle anderen kriminalisiert, sagt Egli. Man sei schnell an dem Punkt, wo sogar Sackmesser verboten werden könnten. Auch findet er es einen «Unsinn», bürokratisch über Klingenlängen zu diskutieren. Verletzungen am Hals könnten schon mit einem kleinen Messer tödlich enden.

Egli, der in der Sicherheitskommission sitzt, findet, das Risiko von Messern für Polizistinnen und Polizisten werde von der Bevölkerung unterschätzt. «Es ist aber ein Problem, ein solches Verbot durchzusetzen. Die Polizei muss sich dann wieder rechtfertigen, warum sie manche Personen kontrolliert und andere nicht.»

Egli plädiert dafür, dass die Polizei gegenüber aggressiv auftretenden Personen schneller Wegweisungen vornehmen sollte. Ein Mittel, das bereits heute zur Verfügung stehe.

Die SP-Gemeinderätin Anna Graff, ebenfalls in der Sicherheitskommission, findet es «durchaus prüfenswert», zusätzliche Messerarten grundsätzlich zu verbieten. Aber auch heute schon würden verbotene Messer in der Öffentlichkeit getragen. Es sei kaum möglich, das bestehende Verbot durchzusetzen. Das gleiche Problem dürfte es mit allfälligen Verbotszonen geben.

Diese binden laut Graff zwar Ressourcen, «erzielen aber nicht die gewünschte Wirkung, da es nicht möglich ist, alle Menschen zu kontrollieren». Erfahrungen von Waffenverbotszonen in Deutschland zeigten zudem, dass «Racial Profiling aufgrund vermehrter vermeintlich verdachtsunabhängiger Personenkontrollen» begünstigt werde.

Um das Messerproblem zu lösen, sind laut Graff andere Massnahmen notwendig. Hebel dazu sieht sie in der Früherkennung sowie bei der sozialen Integration.

Auch die GLP-Gemeinderätin Carla Reinhard schätzt den Personaleinsatz für die Kontrolle einer Messerverbotszone als «extrem hoch und damit unrealistisch» ein. Sie plädiert für mehr Prävention und Aufklärung, «gerade was die Online-Radikalisierung und Gewaltverherrlichung von jungen Männern betrifft».

Reinhard befürwortet die breitere Ausstattung mit Tasern. Damit könne die Polizei «Messer-Gefährder aus einer sicheren Distanz überwältigen, ohne zur Schusswaffe greifen zu müssen und ohne sich dabei in noch grössere Gefahr zu bringen».

Jugendliche tragen vermehrt Messer auf sich. Die Debatte darüber wird auch in Zürich ihre Fortsetzung finden.

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