Die Aktien von Straumann sind beliebt, während die von Sonova seit einigen Monaten verschmäht werden. Für die Diskrepanz gibt es gute Gründe. Doch der Kontrast in der Bewertung scheint mittlerweile übertrieben gross zu sein.
Schöne Zähne sind sexy, Hörgeräte eher nicht.
Dieser Meinung sind auch die Investoren: Die Aktien des Basler Dentalimplantateherstellers Straumann stehen bei ihnen hoch im Kurs. In Anspielung auf eine extrem hoch bewertete französische Luxusgüter-Manufacture nennt der Stifel-Analyst sie in seiner jüngsten Studie die «Hermès der Dentalimplantate». Im Gegensatz dazu werden die Valoren des Stäfner Hörsystemeherstellers Sonova vom Markt seit einiger Zeit verschmäht. Dementsprechend gedämpft ist zurzeit seine Bewertung an der Börse.
Seit Anfang Jahr haben die Titel von Straumann 8,5% zugelegt, die von Sonova jedoch nur 3,5%. Auch über einen Zeitraum von drei Jahren hat Straumann (+27%) die Nase klar vor Sonova (+18%).
Eindeutige Präferenzen
Richtig günstig sind beide Werte nicht, was bei Medtech-Valoren aber auch selten der Fall ist. Während die Anleger bereit sind, für die Aktien von Straumann 46-mal den für dieses Jahr prognostizierten Gewinn zu bezahlen, werden Sonova mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (2024) von lediglich 25 gehandelt.
In allen Disziplinen ist eindeutig, wo die Präferenzen der Investoren derzeit liegen.
Doch ist die extrem unterschiedliche Einstufung berechtigt? Gibt es operativ derart grosse Unterschiede zwischen den beiden Medtech-Unternehmen, die die Diskrepanz rechtfertigen?
Straumann auf der Erfolgsstrasse
Dass es Straumann derzeit rund läuft, bestätigten die Ende Februar von den Baslern präsentierten Zahlen zum Geschäftsjahr 2023. Vor allem der zuversichtliche Ausblick für die laufende Periode hat den Aktien Auftrieb gegeben. Zahlreiche Wertschriftenhäuser haben ihre Kaufempfehlungen bestätigt und die Kursziele nach oben angepasst.
Operativ geht es dem Unternehmen prächtig. Der um knapp 4% höhere Umsatz von 2,4 Mrd. Fr. sowie die auf 17% (i. V. 23,1) gefallene Gewinnmarge auf Stufe Ebit verschleiern dies allerdings etwas. Das um Wechselkursveränderungen bereinigte, organische Umsatzwachstum erreichte in der Berichtsperiode gute 9,8% und entsprach gut dem zweifachen Marktwachstum. Im Schlussquartal wuchs der Umsatz organisch sogar 13,2%. Straumann hat also auch 2023 – wie in den Jahren zuvor – Marktanteile errungen.
In einer bereinigten Betrachtungsweise, die das Management jeweils bevorzugt anwendet, hat sich die Gewinnmarge im vergangenen Jahr um 1,1 Prozentpunkte auf 25,1% verbessert. Dabei nicht berücksichtigt sind einige als ausserordentlich eingestufte Positionen. Kumuliert machen sie rund ein Drittel des bereinigten Betriebsgewinns (Ebit) aus. So werden die im Zusammenhang mit Akquisitionen erforderlichen Abschreibungen (PPA-Amortisationen, 14 Mio. Fr.), die Restrukturierungsaufwendungen (31 Mio. Fr.) sowie die vor allem im Zusammenhang mit Dr Smile anfallenden Wertberichtigungen (153 Mio. Fr.) als Einmalkosten weggelassen.
Ob diese Faktoren wirklich nicht zur üblichen Geschäftstätigkeit eines Unternehmens gehören, kann mit guten Gründen infrage gestellt werden. Zumindest in der IFRS-Rechnung müssen sie vollständig berücksichtigt werden.
Das vom Franzosen Guillaume Daniellot geführte Management erwartet, dass es auch im laufenden Jahr Marktanteile erobern wird. Auf der bereinigten (beschönigten) Basis wird eine Ebit-Marge von 24 bis 25% in Aussicht gestellt. Wenn auch noch der Effekt des starken Frankens herausgerechnet wird, sollen es sogar 26% werden, was einer weiteren Verbesserung entspräche.
Adressierbarer Markt verfünffacht
Die vor zehn Jahren noch weitgehend als Hersteller von Zahnimplantaten tätige Gruppe hat ihr Sortiment stark erweitert und zusätzliche Märkte erschlossen. Mit einem weltweiten Anteil von über 50% im Premiumgeschäft, sprich: bei den unter der Marke Straumann verkauften Implantaten, stiess das Unternehmen an Wachstumsgrenzen. Mit günstigeren Produktlinien (Neodent, Medentika und Anthogyr) hat es sich auch in diesem, ähnlich grossen Segment etabliert (Marktanteil über 15%).
Durch den vergleichsweise späten Einstieg ins lukrative Geschäft mit transparenten Zahnspangen (Clear Aligners) wurde der potenziell adressierbare Markt für Straumann verdoppelt. Mittlerweile steuert das traditionelle Geschäft mit Premiumimplantaten weniger als zwei Drittel des Umsatzes bei – Tendenz sinkend. Innerhalb einer Dekade hat das Unternehmen die Grösse seines Jagdgebiets fast verfünffacht, Raum für weiteres Wachstum ist also vorhanden.
Das akquisitorisch erschlossene Zahnspangengeschäft (Clear Correct/Dr Smile) ist vorderhand noch eine finanzielle Belastung. Mit einem Marktanteil von rund 5% ist Straumann in diesem Bereich ein Winzling. Doch das Potenzial scheint riesig. Es wird indes stark von der allgemeinen Konsumstimmung beeinflusst. Zudem spielen in der Orthodontie, der Behandlung von Zahnfehlstellungen, ästhetische Gründe die wichtigere Rolle als bei den Implantaten. Aus Konsumentensicht sind sie eher ein «Nice to Have» statt ein «Must Have». Das macht das Geschäft prinzipiell konjunkturanfälliger.
Damit das Unternehmen bis 2030 sein Umsatzziel von 5 Mrd. Fr. erreicht, werden die Clear Aligners eine wichtige Rolle spielen müssen. Vor allem aus China erwarten die Analysten einen grossen Wachstumsbeitrag. Schon im Schlussquartal 2023 war dort das gute Abschneiden (geschätzter Umsatzanteil gut 10%) dafür verantwortlich, dass der Umsatz in der Region Asien-Pazifik gegenüber dem Vorjahr um 41% zunahm. Stifel-Analyst Daniel Jelovcan geht davon aus, dass der Umsatz in China in den kommenden Jahren durchschnittlich um 15 bis 20% wachsen wird.
Sonova in einer temporären Schwächephase
Auch Sonova stellt Implantate her. Die Cochleaimplantate zur Behandlung von Schwerhörigkeit sind jedoch nur ein kleiner Teil des Geschäfts. Das Stäfner Unternehmen ist vor fünfzehn Jahren durch den kostspieligen Erwerb von Advanced Bionics in diesen stark regulierten Bereich eingestiegen, aber damit nie glücklich geworden. Lediglich 7,6% des Umsatzes und 3,6% des Gewinns auf Stufe Ebita hat er zuletzt zum Gruppenergebnis beigetragen.
Sonovas Hauptgeschäft bleiben Hörgeräte, die entweder über den Grosshandel oder zunehmend in eigenen Läden (Audionova) über Hörakustiker, die die Beratung und die wichtige Adjustierung der Geräte vornehmen, vertrieben werden. Teure Spitzenprodukte werden unter dem Markennamen Phonak, günstigere über die Zweitlinien Unitron und Hansaton verkauft. Mit dem Erwerb von Sennheiser vor drei Jahren ist Sonova auch ins Geschäft mit hochwertigen Kopfhörern eingestiegen.
Während das Einzelhandelsgeschäft erfolgreich ausgebaut wird, musste im Grosshandel ein empfindlicher Rückschlag verkraftet werden. Im Mai 2023 kündigte der US-Einzelhandelsriese Costco seinen Vertrag. In der Regel erwirtschaftete Sonova mehr als 4% des Umsatzes mit diesem Grosskunden.
Für die Hersteller ist Costco in den USA der wichtigste Verkaufskanal, über den 15% der Hörgeräte abgesetzt werden. Schon ein Jahr zuvor hatte Costco die Markenstrategie angepasst und ihre Eigenmarke Kirkland eingestellt. Bisher holte sich Costco alle zwölf bis achtzehn Monate bei den Herstellern für diese Billiglinie Angebote ein. Die immer günstiger gewordenen Geräte – zuletzt gingen sie zu 1400 $ über den Ladentisch – waren kein gutes Geschäft mehr. Einst war Sonova mit ihrem Modell Phonak Brio, das noch auf der alten Technologieplattform Marvel basierte, mit von der Partie. Die über unabhängige Hörakustiker verkauften Sonova-Geräte kosten in den USA rund 5000 $.
Obwohl Costco wertmässig nur etwa 8% des amerikanischen Hörgerätemarktes ausmacht, ist sie in diesem Massengeschäft für einen Hersteller eigentlich unerlässlich, weil er über sie auch teure Markenprodukte verkaufen kann. Als Sonova den Costco-Vertrag verlor, sprangen die dänischen Konkurrenten Demant (Markenname Philips), GN Store Nord (Jabra) sowie die vor fünf Jahren zu WS Audiology (Rexton) fusionierten Sivantos (Ex-Siemens) und Widex noch so gern in die Lücke.
Weil die Margen in diesem Verkaufskanal generell gering sind, dürfte der Verlust des Costco-Vertrags kurzfristig der Marge von Sonova sogar geholfen haben. Doch er kostete Marktanteile, was für den Schweizer Weltmarktführer bei Hörgeräten eine ungewöhnliche Erfahrung war. Die Analysten von BofA spekulieren, Sonova könnte mit ihrer Zweitmarke Unitron schon bald wieder ein Bein bei Costco drin haben.
Fast noch wichtiger für Sonova ist der Bereich Veterans Affairs (VA), die Organisation für ehemalige US-Soldaten. Mit ihnen erwirtschaftet das Unternehmen über 6% des Gesamtumsatzes (Demant: 2,3%; GN Store Nord: 1,5%). In den USA geht rund ein Fünftel aller Hörgeräte über diesen Kanal. Weil es aber eher günstigere Modelle sind, machen sie wertmässig lediglich etwa 6% aus. Seit mehr als zehn Jahren deckt Sonova gut die Hälfte dieses Marktes ab, Demant kommt auf einen Anteil von 18%, GN Store Nord auf 10%, schreiben die BofA-Analysten.
Warten auf neue Technologieplattform
Sonova hat indes auch deshalb Marktanteile eingebüsst, weil ihre im Herbst 2022 lancierte Plattform Lumity die hohen Erwartungen nicht erfüllen konnte. Laut Analysten seien nicht technische Unzulänglichkeiten schuld daran gewesen, sondern eine zu aggressive Preisstrategie.
Die Hoffnung ruht nun auf der kommenden Technologieplattform, die in diesem Herbst lanciert werden dürfte. Interessant wird sein, ob und wie sie gewisse Fähigkeiten, die die Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz (KI) ermöglichen, integrieren kann. Offenbar arbeitet Sonova bereits an der Weiterentwicklung eines Halbleiterchips, der in den neuen Geräten zum Einsatz kommen soll und entsprechend leistungsfähiger für KI sein müsste.
Straumann und Sonova im operativen Vergleich
In Sachen Tagesform geht es Straumann derzeit zweifellos besser als Sonova. Während die Basler mit kontinuierlich wachsenden Gewinnen rechnen können, muss Sonova zuerst das wohl eher magere Geschäftsjahr 2023/24 überstehen.
In einer längerfristigen Betrachtung scheint die extrem unterschiedliche Bewertung indes etwas gar gross zu sein. Bei der operativen Gewinnmarge beträgt Straumanns Vorsprung rund 3 Prozentpunkte.
Weniger klar ist die Ausgangslage bei der Kapitalrendite. Je nach Akquisitionstätigkeit unterliegt sie hohen Schwankungen. Doch generell erwirtschaften beide Unternehmen eine attraktive, Mehrwert schaffende Rendite.
Sowohl Straumann als auch Sonova gehören zu den Schweizer Qualitätswerten, die jedem Wertschriftendepot gut anstehen. Die Chancen sind intakt, dass sich Sonova von ihrer temporären Schwäche erholen wird. Damit dies gelingt, muss die neue Technologieplattform ein Volltreffer werden.
Die im Mehrjahresvergleich leicht unterdurchschnittliche Bewertung von Sonova sowie die höhere Dividendenrendite (1,6%; Straumann: 0,6%) bieten einen attraktiven Einstiegspunkt.
Die Aktien von Straumann haben ihre überdurchschnittlich sportliche Bewertung mit guten Resultaten verdient. Seit langem sind sie im The Market Best Ideas Portfolio vertreten. Weil sie jedoch derzeit die Lieblinge vieler geworden sind, braucht es neue Impulse, die das Feuer am Leben halten. Zur Perfektion eingestufte Valoren wie Straumann haben die Eigenschaft, dass kleinste Enttäuschungen empfindliche Kursrückschläge nach sich ziehen können.