Das Gebot von KKR für Encavis zeigt die Unterbewertung der deutschen Wettbewerber auf. Verkaufskandidat PNE hat am KKR-Deal gemessen 40% Kurspotenzial. Bei PNE steht zudem die Rückkehr des früheren Interimschefs an.
Mitte März gab die US-Beteiligungsgesellschaft KKR ein Übernahmeangebot ab für den deutschen Solar- und Windparkentwickler Encavis. Der Private-Equity-Fondsanbieter und die deutsche Unternehmerfamilie Viessmann offerieren 17.50 € je Aktie. Das ist ein Aufschlag von 54% zum Schlusskurs vom 5. März, bevor die Nachrichtenagentur Bloomberg über das bevorstehende Gebot berichtete.
Damit hat Encavis die Hälfte des Kurseinbruchs der vergangenen gut drei Jahre wettgemacht. Seit dem Hoch von gut 24 € im Januar 2021 war der Kurs der Hamburger zeitweise bis auf 11 € abgestürzt. Andere Erneuerbare-Energie-Entwickler wie PNE, Energiekontor und Abo Wind hatten ihre Höchstkurse erst 2023 erreicht, sind seitdem aber auch ein gutes Stück zurückgefallen.
Das könnte sich nun ändern. «Die Encavis-Übernahme durch KKR ist nur der Auftakt für vieles andere in der Branche», sagt ein Investor, der im Sektor stark engagiert ist.
Die Geschäftsmodelle sind allerdings im Detail sehr unterschiedlich. Der Graben verläuft zwischen Unternehmen, die Wind- und Solarparks nur entwickeln, und denen, die sie auch betreiben.
Ebenso unterschiedlich sind die Eigentümerstrukturen. Bei einigen Unternehmen sind die Gründer immer noch Mehrheitseigentümer. Anderswo haben bereits Infrastrukturfonds oder Private-Equity-Gesellschaften die Macht zumindest teilweise übernommen.
Wer den Wind erntet
Abo Wind aus Wiesbaden gehört zu je 26% den Familien der Gründer Matthias Bockholt und Jochen Ahn. Die Sippen denken nicht einmal an einen Verkauf – und wenn doch, dann mit Grausen. Sie haben in den vergangenen Monaten den Rechtsformwechsel von der AG in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) gegen den Widerstand von Minderheitsaktionären durchgesetzt, um ihren Einfluss zu zementieren. Nun würden sie auch dann noch bestimmen, falls Kapitalerhöhungen zur Wachstumsfinanzierung ihre Anteile weit unter 50% drücken sollten. Abo Wind entwickelt Wind- und Solarparks, um sie nach Fertigstellung zu verkaufen.
Für den Kauf mancher Solar- und Windparks war in der Abo-Gruppe einst Abo Invest zuständig. Das Unternehmen wurde verkauft und firmiert heute als Clearvise. Die Private-Equity-Gesellschaft EQT hat mehr als 25% der Anteile erworben.
Energiekontor aus Bremen entwickelt Parks und betreibt rund vierzig davon auch selbst. Den Familien der Gründer Bodo Wilkens und Günter Lammers gehören je 25,5% der Anteile. Beide gelten nicht als verkaufswillig.
PNE aus Cuxhaven kam im Dotcom-Boom unter dem Namen Plambeck Neue Energie an die Börse. Lange Zeit haben die Cuxhavener nur für den Verkauf entwickelt. Seit einigen Jahren jedoch bauen sie ein eigenes Portfolio auf. Grossaktionär ist der Fonds Morgan Stanley Infrastructure Partners (44%). Erhebliche Anteile halten die aktivistischen Investoren Active Ownership Capital (AOC) von Florian Schuhbauer (12%) und Enkraft von Benedikt Kormaier (5%).
Encavis aus Hamburg hatte vor dem Kaufangebot durch KKR und die Familie Viessmann bereits einen grossen Aktionär: Dem Hamburger Immobilienmilliardär Albert Büll und seiner Familie gehören 25% der Anteile. Er und andere bestehende Aktionäre, die zusammen 31% halten, wollen auch nach dem Deal an Bord bleiben. Encavis hat keine eigene Projektpipeline.
Die Bewertung anhand des Kurs-Buchwert-Verhältnisses der Unternehmen fällt recht unterschiedlich aus. Doch ein Trend ist klar erkennbar: Nach den Höchstständen des Jahres 2022 sind die Bewertungen merklich zurückgegangen. Die Unternehmenswerte im Vergleich zum geschätzten Ebitda-Gewinn sind ebenfalls gesunken.
Die Projektentwicklung ist riskanter als das Betreiben der Solar- und Windkraftwerke. Als Ausgleich für das grössere Risiko bietet das Entwicklungsgeschäft folgerichtig eine höhere Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital. Das Risiko spürten Ende März die Anleger von Energiekontor: Das Unternehmen enttäuschte mit seinem Ausblick für 2024. Wegen des kürzlich veröffentlichten, staatlichen Netzentwicklungsplans könnten einige Projekte erst zwölf bis 24 Monate später als erhofft ans Stromnetz angeschlossen werden. Die mittelfristigen Gewinnziele des Unternehmens seien dadurch aber nicht in Gefahr, urteilt Aktienanalyst Jan Bauer von Warburg Research: «Die auf später verschobenen Projekte haben weiterhin eine hohe Gewinnmarge und werden durch den nun später erfolgenden Verkauf die Profitabilität in den betreffenden Geschäftsjahren steigern.»
Über die Sinnhaftigkeit einer Kombination von Entwicklung und Betrieb herrscht Uneinigkeit. Abo-Wind-Gründer Jochen Ahn sagte Mitte Februar bei einer Konferenz der Analystenboutique Montega in Hamburg, er wolle sein Kapital lieber vollständig in die Projektentwicklung stecken, da dort die Renditen höher seien und nur so die Energiewende vorangebracht werde.
Encavis hat keine solche Pipeline eigener Projekte, sondern arbeitet dafür mit vielen kleineren Entwicklern zusammen. Grossaktionär Büll soll den Aufbau einer eigenen Entwicklungspipeline ablehnen. Mehrere Grossinvestoren der genannten Unternehmen halten dagegen, dass eine eigene Projektpipeline wichtig sei, um auch künftig unabhängig von der Marktentwicklung und zu auskömmlichen Kaufpreisen in neue Projekte investieren zu können. «Die Flächen für Solar- und Windparks sind rar», mahnte PNE-Chef Markus Lesser Ende März bei der Vorstellung des Geschäftsberichts für 2023.
Finanzierung der neuen Projekte ist die Herausforderung
Einnahmen aus dem Verkauf von Strom, den selbst betriebene Projekte erzeugen, können auch dabei helfen, den Bau neuer Wind- und Solarparks zu finanzieren. Das ist die Strategie von PNE.
Wer wie PNE das Abarbeiten der Projektpipeline durch Kapitalflüsse aus den eigenen Kraftwerken finanziert, ist unabhängiger vom Kapitalmarkt. Der Cashflow fliesst stetig, reicht allerdings nur für ein eher langsames Abarbeiten der Projektliste. Frisches Kapital würde dagegen helfen, schneller voranzukommen. Und früher weitere Parks in Betrieb zu haben, die Einnahmen liefern.
Für Anleger ist PNE besonders interessant. Hier ist die Chance auf ein Übernahmeangebot besonders gross. Neue Eigentümerverhältnisse könnten helfen, frisches Kapital in die Gesellschaft zu bringen. So könnte sie ihr Wachstum beschleunigen.
Zank und Streit statt Geld und Wachstum
Die PNE-Geschäftsführung strebt seit langem eine Kapitalerhöhung an. Zerstrittene Anteilseigner haben jedoch bereits bei zwei Aktionärsversammlungen Anträge dazu abgelehnt. Der Grund dafür ist das Misstrauen gegenüber 44%-Eigentümer Morgan Stanley Infrastructure Partners. Insbesondere die Aktivisten von AOC und Enkraft fürchten, bei einer Kapitalerhöhung verwässert und somit entmachtet zu werden, falls die Nordamerikaner ihren Anteil auf mehr als 50% erhöhen sollten.
Morgan Stanley Infrastructure Partners gilt durchaus als verkaufswillig. Der Fonds war bereits 2019 eingestiegen. Üblicherweise sind solche Fonds bestrebt, nach fünf bis sieben Jahren zu verkaufen, um ihre Fondsanleger auszahlen zu können. Ein Verkaufsversuch scheiterte 2022 jedoch nicht zuletzt daran, dass der Fonds vorab nicht auf AOC-Manager Florian Schuhbauer zugegangen war. Ohne eine Einigung mit dem 12%-Aktionär hätte ein neuer Eigentümer ebenso wenig durchregieren können wie der US-Fonds.
PNE-Langzeitchef Markus Lesser hat Mitte März sein Amt per Ende Juli gekündigt. Offiziell aus persönlichen Gründen, dem Vernehmen nach aufgrund seiner Frustration über die zögerliche Haltung von Morgan Stanley Infrastructure Partners zur Weiterentwicklung des Geschäfts. Ein Nachfolger werde noch gesucht, teilte PNE mit. Aufsichtsratschef Per Hornung Pedersen wurde von Lesser offenbar derart überrascht, dass er im Ende März veröffentlichten Geschäftsbericht noch die Vertragsverlängerung mit dem CEO um vier Jahre von Mitte 2023 lobt, durch die «Kontinuität im Vorstand» erreicht worden sei.
Erst Anfang April trat ein neuer Finanzchef an: Neuzugang Harald Wilbert ersetzte den seit 2011 amtierenden Vorgänger Jörg Klowat.
Kein Chef ab August und nur ein neuer, noch nicht sehr mit dem Unternehmen vertrauter Finanzchef an Bord: Da könnten bei Investoren durchaus Sorgen um ein Führungsvakuum aufkommen.
Pedersen springt ein
Das Unternehmen PNE wird jedoch in erfahrenen Händen bleiben. Nach Informationen von The Market dürfte Pedersen ab August erneut als Interimschef einspringen, bis ein dauerhafter Nachfolger für Lesser im Amt ist. Der Siebzigjährige habe die Bereitschaft dazu erkennen lassen, sagen mit den Überlegungen vertraute Personen. Im Unternehmen gilt er als gesetzt für die Übergangsleitung, falls bis August kein neuer CEO bereitsteht. Davon wiederum ist stark auszugehen: Die Suche nach einem neuen Chef dürfte sich einige Monate über August hinaus hinziehen, die Gespräche mit Headhuntern haben gerade erst begonnen.
Der in Hamburg lebende Däne leitete das Unternehmen schon in den Jahren 2015 und 2016 interimistisch. Ausserdem hatte er ab 2000 Führungspositionen bei Herstellern von Windkraftanlagen wie Suzlon und Repower inne.
Pedersen muss sich an ambitionierten Zielen messen lassen, denn das Unternehmen soll stark wachsen. Im Jahr 2023 erzielte es bei 122 Mio. € Umsatz einen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von 40 Mio. €. Unter Einbeziehung stiller Reserven aus dem Ausbau des Windparkportfolios betrug der Ebitda 71 Mio. €. Der Portfolioaufbau führte zu einem Verlust von 10 Mio. €.
Dem seit Herbst deutlich gefallenen Strompreis ist PNE nur teilweise ausgesetzt, denn für die eigenen Windparks hat sie Fixpreisvereinbarungen abgeschlossen, «die auch teilweise in den Folgejahren noch höhere Vergütungen sichern», wie es im Geschäftsbericht heisst.
Für 2024 hat PNE einen Ebitda von 40 bis 50 Mio. € in Aussicht gestellt. Im Vorjahr hat sie das obere Ende der genannten Prognosespanne erreicht. Die mittelfristigen Ziele gehen weit darüber hinaus: Bis 2027 will PNE einen Ebitda von 150 Mio. € erreichen.
Übernahmefantasie wächst
Der Druck auf die Investoren wächst, sich zu einigen, um PNE eine bessere Kapitalausstattung zu ermöglichen und die ehrgeizigen Ziele zu verwirklichen. Allen voran gefordert ist 44%-Eigner Morgan Stanley Infrastructure Partners. Unter Beobachtern gilt es als wahrscheinlich, dass der US-Fonds in nicht allzu ferner Zukunft einen neuen Verkaufsversuch für seine Anteile startet oder zumindest auf Gesprächsangebote von Private-Equity-Fonds eingehen würde.
«Ich glaube, dass noch dieses Jahr etwas passiert», sagt ein Unternehmenskenner, der investiert ist. «Der Encavis-Deal von KKR hat einen Preispunkt markiert.» Die Vergleichsbewertung ergebe einen Preis von 18 € pro PNE-Aktie. Zuletzt wurde sie für rund 13 € gehandelt.
Eine solche Kalkulation hat auch Christian Krahe angestellt, Fondsmanager bei GS&P. Der Vermögensverwalter gehört zu den zehn grössten Aktionären bei PNE und hält fast 3% der Anteile. «Wenn ich das Multiple von Encavis zugrunde lege, komme ich auf einen fairen Preis von 18 € pro PNE-Aktie, ohne das Wachstumspotenzial der folgenden Jahre einzuberechnen», sagt Krahe.
KKR zahlt für Encavis das 13-Fache des für 2024 erwarteten Ebitda, auf Basis des für 2025 erwarteten Gewinns liegt der Faktor bei 12.
«Anhand des für 2027 und 2028 erwarteten Gewinns steigt der faire Preis auf 30 €», fügt der erstgenannte PNE-Investor hinzu. Dank dieser aufgrund des Wachstums realistischen Wertsteigerung sei PNE für Private-Equity-Fonds sehr attraktiv.
Die Nachricht über Verkaufsgespräche würde den PNE-Kurs beflügeln. So wie schon 2022, als das Bekanntwerden von Verkaufsgesprächen des Grossaktionärs Morgan Stanley Infrastructure Partners den Kurs auf ein Hoch von mehr als 23 € katapultierte.
Das Unternehmen ist ein attraktives Investment in ein wachsendes Geschäft und bietet zusätzlich die beschriebene Übernahmefantasie.
Kurspotenzial auch bei Abo Wind und Energiekontor
Energiekontor und Abo Wind sind für langfristig orientierte Anleger ebenfalls einen Blick wert. Denn die Energiewende bleibt aufgrund des Klimawandels notwendig. Und die Entwicklung von Solar- und Windkraftwerken ist durchaus profitabel, wie das Wachstum der Unternehmen in den vergangenen Jahren gezeigt hat.
«Wir erwarten dreistellige Kurse bei Abo Wind», sagt Christian Krahe von GS&P, der auch bei Abo Wind zu den zehn grössten Aktionären zählt. Die jüngste Entwicklung gibt ihm Grund zur Hoffnung: Seit Jahresanfang ist der Kurs ja bereits von 40 auf fast 60 € gestiegen.