Die deutsche Energiepolitik droht zunehmend zum Standortnachteil zu werden. Laut einer Umfrage erwägen 37 Prozent der Industrieunternehmen, wegen der Energiewende die Produktion am Standort zu reduzieren oder Kapazitäten ins Ausland zu verlagern.
Hohe Energiepreise und mangelnde Planbarkeit der Energieversorgung werden für Unternehmen in Deutschland immer mehr zu einem Produktions- und Investitionshindernis. Zu diesem Schluss kommt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) in ihrer am Donnerstag veröffentlichten diesjährigen Ausgabe des seit 2012 erstellten Energiewende-Barometers. Sie beruht auf einer Online-Befragung, an der 3283 Unternehmen teilgenommen haben.
Laut der Befragung verfestigt sich vor allem der Abwanderungstrend. Zwar bejahten insgesamt «nur» 18 Prozent der Teilnehmer die Frage, ob sie als Reaktion auf die Veränderungen in der Energiewirtschaft und -politik Einschränkungen der Produktion im Inland oder die Verlagerung von Kapazitäten ins Ausland planen oder realisieren würden. Blickt man allerdings nur auf Industrieunternehmen, bei denen die Energieversorgung naturgemäss eine grössere Rolle spielt als zum Beispiel in vielen Dienstleistungsfirmen, sind es immerhin 37 Prozent, bei den grossen Industriebetrieben mit über 500 Mitarbeitern sogar 51 Prozent.
Beschädigtes Vertrauen
In allen Unternehmenskategorien hat zudem die Zahl der Teilnehmer, die solche Schritte erwägen, in den letzten drei Jahren stetig zugenommen. «Das Vertrauen der deutschen Wirtschaft in die Energiepolitik ist stark beschädigt. Der Politik ist es bisher nicht gelungen, den Unternehmen eine Perspektive für eine zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung aufzuzeigen», so fasste der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks die Ergebnisse zusammen. Hätten in den Jahren vor 2023 viele Unternehmen in der Energiewende auch Chancen für ihren eigenen Betrieb gesehen, überwögen aus ihrer Sicht inzwischen die Risiken.
Zwar seien die Beschaffungskosten für Strom und Gas wieder gesunken, doch würden die Energiepreise in Deutschland im internationalen Vergleich auf hohem Niveau bleiben, heisst es im Bericht. Mit dem Wegfall der Kernenergie, dem Ausstieg aus der Kohleverstromung, neuen Gaskraftwerken und Unsicherheiten über die künftige Sicherung der Stromversorgung bleibe die Energiefrage längerfristig eine Belastung für den Standort. Der Aufbau neuer Angebote bei den erneuerbaren Energien und Wasserstoff nehme Fahrt auf, sei aber nicht verlässlich.
Die anhaltende Skepsis zeigt sich auch in den Antworten auf die zentrale Frage im Barometer: «Wie beurteilen Sie die Auswirkungen der Energiewende auf die Wettbewerbsfähigkeit Ihres Unternehmens?» Aus allen Antworten ergibt sich hier ein Wert von –19,8 auf einer Skale von –100 (sehr negativ) bis +100 (sehr positiv). Das ist der zweitschlechteste Wert seit Beginn der Umfragen im Jahr 2012. Noch schlechter war das Ergebnis mit –27 nur letztes Jahr, als die Energiekrise im Gefolge des Ukraine-Kriegs den Unternehmen noch in den Knochen steckte. Demgegenüber gab es 2016 und 2017 sogar leicht positive Werte.
Über ein Drittel der Industriebetriebe gab ferner an, wegen der hohen Energiepreise derzeit weniger in betriebliche Kernprozesse investieren zu können. Auch Investitionen in den Klimaschutz (ein Viertel der Befragten) und in Forschung und Innovation (ein Fünftel) werden zurückgestellt.
Klage über Bürokratie
62 Prozent aller Umfrageteilnehmer zählten Bürokratie zu den drei wichtigsten Hindernissen für die Transformation des eigenen Unternehmens hin zu mehr Klimaschutz (drei Nennungen möglich). Dicht darauf folgt mit 59 Prozent die fehlende Planbarkeit. An dritter Stelle stehen langsame Planungs- und Genehmigungsverfahren beziehungsweise fehlende Infrastruktur. Hohe Energiepreise, Fachkräftemangel und Finanzierung werden etwas weniger als Hemmnis angesehen. Das beabsichtigte Gegensteuern der Politik durch Bürokratieabbau und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren schlage sich bis jetzt nicht spürbar in der betrieblichen Praxis nieder, kommentierte Dercks.
Die Unternehmen erwarteten von der Politik «ein deutliches Umdenken in der Energiepolitik, hin zu einer verlässlichen Perspektive mit weniger Detailsteuerung», gab der DIHK-Vertreter weiter zu Protokoll. Zu den konkreten Forderungen an die Politik zählen laut der Umfrage insbesondere die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Eigenversorgung mit Energie und für Direktlieferverträge. Daneben werden Wirtschaftlichkeit, Freiwilligkeit und Technologieoffenheit als Leitprinzipien bei Energieeffizienz-Massnahmen, der Abbau von Engpässen in den Netzen und die weitere Senkung der Steuern und Abgaben auf den Strompreis von einer Mehrheit befürwortet.
Emissionshandel verliert an Unterstützung
Auffallend ist, dass trotz dem in der Wirtschaft verbreiteten Ruf nach mehr marktwirtschaftlichen Instrumenten und weniger Ge- und Verboten im Klimaschutz auch die Unterstützung für den Emissionshandel, ein marktwirtschaftliches Instrument per se, wieder abgenommen hat: Nur 32 Prozent der Industriebetriebe stimmten in der Umfrage dem Ruf nach seinem Ausbau zu, «auch wenn dadurch die CO2-Preise im nationalen und europäischen Emissionshandel steigen». 2023 hatten dem noch 37 Prozent zugestimmt.
Sie können dem Berliner Wirtschaftskorrespondenten René Höltschi auf den Plattformen X und Linkedin folgen.