Günstige chinesische Windturbinen drängen ins Ausland. Europäische Produzenten von Siemens bis Vestas geraten unter Druck.
90 Kilometer vor der deutschen Nordseeinsel Borkum gibt es nicht nur viel Wasser, sondern auch viel Wind. Deshalb stehen dort einige Offshore-Windparks. In vier Jahren soll einer dazukommen, der sie alle überragt: 16 Windräder mit einem Durchmesser von jeweils 260 Metern sind geplant, die grössten derzeit verfügbaren Modelle. Geliefert werden sie von jemandem, der in der europäischen Windenergie-Branche für rote Köpfe sorgt: Mingyang, einem der wichtigsten Windradhersteller aus China.
Es ist das erste Mal, dass ein chinesischer Produzent in diesem Ausmass in Deutschland zum Zuge kommt. Die Begründung ist wenig schmeichlerisch für die westliche Konkurrenz: «Indem wir uns für die leistungsstärkste Offshore-Windturbine entschieden haben, beschleunigen wir die Energiewende in Deutschland und fördern den dringend benötigten Wettbewerb in der Branche», sagte im Juli der Projektleiter Holger Matthiesen vom Hamburger Vermögensverwalter Luxcara, der den Windpark in Auftrag gegeben hat.
China kann viel mehr Windturbinen produzieren als benötigt
Der Entscheid für die Chinesen fiel nach einer internationalen Ausschreibung. Den Ausschlag hätten unter anderem technologische, finanzielle und Umweltaspekte gegeben, hiess es von Luxcara. Auch werde Mingyang Komponenten von europäischen Zulieferern beziehen.
Beginnt vor Borkum die Wiederholung eines Niedergangs? Bei manchen Technologien, für die sich einst Europa rühmte, haben inzwischen chinesische Hersteller den Markt erobert. Die Produktion auf dem alten Kontinent ist geschwunden oder fast verschwunden. So geschah es bei den Solarzellen und Batterien, so könnte es geschehen bei Elektroautos, Wärmepumpen – und auch bei Windrädern?
China muss nicht erst eine riesige Windrad-Industrie aufbauen. Es hat sie bereits. Knapp 70 Prozent der weltweiten Produktionskapazität für Windturbinen befand sich vergangenes Jahr in China, wie Wood Mackenzie berechnete, eine Unternehmensberatung für Energiethemen. Diese Kapazität ist rund 41 Prozent grösser als die inländische Nachfrage, die in China bis 2026 erwartet wird.
Anders gesagt: China hat das Potenzial, den Rest der Welt stärker zu versorgen. Und es hat einen Hebel. Chinesische Anbieter sind einen Viertel bis einen Drittel günstiger als westliche Hersteller, wie Wood Mackenzie schreibt. Das gibt ihnen einen Vorteil in Märkten, die sich nicht um das Überleben einheimischer Produzenten sorgen müssen – dem Nahen Osten, Lateinamerika, Afrika und Zentralasien. Die Chinesen errichten auch Werke im Ausland und kooperieren mit lokalen Zulieferern.
Im Ausland sind westliche Hersteller auf dem Rückzug
Die Windenergie-Branche erlebe eine beispiellose Transformation, folgern die Analysten. Tatsächlich erhielten führende chinesische Hersteller wie Envision im ersten Halbjahr Aufträge aus anderen Teilen Asiens; Windey und Goldwind aus Europa und dem Nahen Osten. Vor der Corona-Pandemie kontrollierten westliche Produzenten 60 Prozent des Weltmarktes. Jetzt sind es weniger als 20 Prozent, wenn man neben den chinesischen auch indische Konkurrenten sowie die grosse Inlandsnachfrage in China einrechnet.
Im April hat die EU-Kommission eine Untersuchung eingeleitet. Geprüft wird, ob chinesische Hersteller, die bei Windparks in fünf EU-Ländern zum Zuge kommen, Staatshilfen aus Peking erhalten haben. Ähnliche Analysen hat Brüssel in diesem Jahr bei Eisenbahn-Ausschreibungen und Solarzellen-Bestellungen eingeleitet. Voraussetzung ist, dass die fraglichen EU-Projekte mit staatlichen Geldern gefördert werden.
Man wolle nicht die Fehler wiederholen, die bei der Solarindustrie gemacht worden seien, so die Kommission. Nachdem westliche Hersteller beim Aufbau einer Solarzellenfertigung in China geholfen hatten, sind sie inzwischen nahezu vollständig von chinesischen Produzenten verdrängt worden.
Die EU möchte die Erzeugung von Windenergie von derzeit 220 Gigawatt auf 425 Gigawatt bis 2030 und 1300 Gigawatt bis 2050 steigern. Es bestehe ein reales Risiko, dass die Windräder für diese Expansion in China gefertigt würden, so der Branchenverband Wind Europe.
Derzeit halten Platzhirsche wie Vestas, Nordex und Siemens Gamesa den Löwenanteil in Europa. Aber die Dominanz bröckelt. Chinesische Hersteller böten ihre Windräder nicht nur viel günstiger als westliche Konkurrenten an, sondern offerierten auch generöse Finanzierungen mit bis zu drei Jahren Zahlungsaufschub, kritisierte Wind Europe. Europäischen Produzenten sei dies nach OECD-Regeln verboten.
Diesmal scheint der Heimatschutz wehrhafter
Peking hat den Ausbau der Windenergie massiv gefördert, um die eigene Stromversorgung zu dekarbonisieren. Im ersten Halbjahr 2024 wurden weltweit Windturbinen mit einer rekordhohen Gesamtleistung von 91 Gigawatt bestellt, fast einen Viertel mehr als im Vorjahreszeitraum. 82 Prozent der Order entfielen auf neue Anlagen in China – und diese Aufträge gehen an chinesische Anbieter. Ihre Grössenvorteile sind ein Grund für die tieferen Preise.
Doch aufgrund der chinesischen Wirtschaftsschwäche hält die inländische Nachfrage nicht mit dem Angebot Schritt – und die Windräder drängen auf den Weltmarkt. Derweil kämpfen westliche Hersteller mit hohen Kosten oder wie Siemens Gamesa mit Qualitätsproblemen. Auch im Wettrennen um immer grössere Offshore-Windräder, welche Kunden wegen der höheren Effizienz schätzen, haben die Chinesen die Nase vorn.
Allerdings scheint es, als würde es diesmal nicht so weit kommen wie bei den Solarzellen: Die Experten von Wood Mackenzie erwarten, dass chinesische Hersteller im kommenden Jahrzehnt ausserhalb ihrer Heimat einen Marktanteil von rund 20 Prozent erobern werden – ein niedriger Wert, wenn man es mit der Dominanz bei der Photovoltaik vergleicht.
Der Grund ist, dass der Heimatschutz diesmal besser funktioniert: In der EU und den USA seien westliche Windrad-Produzenten fest verankert und würden zudem durch protektionistische Politik, die Sorge um eine sichere Energieversorgung sowie Auflagen geschützt, prognostizieren die Experten. Ob die Windpark-Betreiber und Stromkunden damit stets das beste Geschäft machen, steht auf einem anderen Blatt.