Alles bezweifeln, intuitiv entscheiden und auf Vorwürfe, die man nicht stichhaltig findet, gar nicht eintreten: Alain Berset erklärt, wie man resilient wird. Das klingt wie im Führungsseminar eines begnadeten Selbstdarstellers.
Eitelkeit hilft, Stress abzubauen. Darauf käme man vielleicht nicht ohne weiteres. Aber Alain Berset ist davon überzeugt. Stress hatte er oft. Und es gelang ihm, damit fertigzuwerden. Meistens offenbar ganz gut. Im Buch «Der Berset-Code», das soeben erschienen ist, erzählt er davon. Im Gespräch mit dem Psychiater und Neurowissenschafter Gregor Hasler gibt der frühere Gesundheitsminister und heutige Generalsekretär des Europarats Tipps, wie man Belastungen bewältigt, und äussert sich darüber, wie er die Covid-19-Pandemie erlebt hat.
Kennengelernt haben sich Hasler und Berset vor drei Jahren. Im August 2020, während der ersten Welle der Pandemie, hielt Hasler vor dem Gesundheitsminister und seinem Team einen Vortrag darüber, wie man sich von Schwierigkeiten nicht aus der Bahn werfen lässt, sondern sie überwindet. Nach Bersets Rücktritt aus dem Bundesrat im vergangenen Jahr traf man sich zu Gesprächen. Aus diesen entstand das Buch.
Die Kehrseite der Macht
Auf den Punkt gebracht ist der «Berset-Code» rasch. Drei Faktoren, resümiert Hasler, seien entscheidend: extreme Leistungsbereitschaft, Freude an der Verantwortung und Entscheidungsfreude. Alles ist bei Berset offenbar reichlich vorhanden. Das klingt, als befinde man sich in einem Führungsseminar. Und so liest sich das Buch auch über weite Strecken. Aber eigentlich soll es um anderes gehen.
Um die Kehrseite der Macht nämlich. Darum, wie man den Druck erträgt, der auf Menschen lastet, die Verantwortung tragen. Das geschieht in einer Mischung von Lebenshilfe, historischer Aufarbeitung der Pandemiejahre und Selbstdarstellung eines Magistraten, der deutlich macht, dass er mit der Bilanz seiner Leistungen zufrieden ist. Kritische Fragen stellt Hasler kaum, Berset kann sich der Bewunderung seines Gesprächspartners sicher sein.
Harmonie ist Prinzip des «Berset-Codes»: «In diesem Buch geht es mir nicht darum, Alain Berset politisch herauszufordern oder ihn auf die Couch zu legen», schreibt Hasler. Er wolle keine skandalösen Geheimnisse ans Licht bringen. Die Affären, welche die Amtszeit des Gesundheitsministers erschütterten, werden totgeschwiegen. Sobald es um seine Familie geht – und damit um die Geschichte seiner ausserehelichen Eskapade gehen könnte –, blockt Berset ab: zu privat.
«Ich bezweifle praktisch alles»
Ganz am Rand spielt er auf seinen Kommunikationschef Peter Lauener an, gegen den nach wie vor wegen Amtsgeheimnisverletzung ermittelt wird – mit der Bemerkung, Lauener sei «wegen eines höchst fragwürdigen Verhaltens eines Staatsanwalts aus dem Amt gedrängt» worden. Auch das gehört zum «Berset-Code». Auf die fast schon ketzerische Frage seines Gegenübers, wie er sich erkläre, dass alle Vorwürfe an ihm abgeprallt seien, stellt Berset richtig: den «Teflon-Effekt» habe es nie gegeben. Weil es keine Skandale gegeben habe.
Alles, was man gegen ihn vorgebracht habe, sei aufgebauscht worden, sagt Berset. Und auf Vorwürfe, die nicht stichhaltig sind, solle man nicht reagieren. Dass er das virtuos beherrscht, hat Berset oft gezeigt. Der Motor seines Denkens sei übrigens der Zweifel, sagt er: «Ich bezweifle praktisch alles.» Sich selbst allerdings schliesst er in seine Zweifel nicht ein. Dafür ist es ihm wichtig, authentisch zu sein. Auch als Gesundheitsminister habe er ab und zu eine Zigarre geraucht. Aber nicht heimlich, sondern öffentlich. Das sei wichtig, damit die Menschen spüren: Auch Politiker sind nicht perfekt. Nicht einmal Alain Berset.
Gregor Hasler: Der Berset-Code. Die Resilienz-Strategien von Alain Berset. Ein Dialog. Wörterseh-Verlag, Lachen 2024. 220 S., Fr. 28.90.