Auf «Addio» will Faber «die unausweichliche Tragödie der Arroganz» erzählen und stellt sich selbst wieder ins Zentrum.
Das Cover von Fabers neuem Album zeigt ein Ölgemälde. Es erinnert an Caravaggios «Die Festnahme Christi». Der Künstler Justus von Karger porträtiert darauf fünf Mal Faber: anstelle von Jesus leidend in rotem Gewand, mit dem verräterischen Kussmund Judas’, heroisch in Ritterrüstung, kämpferisch mit Peace-Zeichen und mit nacktem Oberkörper. Faber gibt sich selbstgefällig wie eh und je. In «Addio» will er «die unausweichliche Tragödie der Arroganz» erzählen.
Faber ist ein Meister der Inszenierung. In seinen Songs begegnen wir ihm einmal als Lebemann mit Machoallüren, als Chauvinisten und Egomanen. Ein anderes Mal spricht er als melancholischer, von Selbstzweifeln geplagter Herzschmerzmann. Er nimmt sich den Biedermann wie die Millennials vor. Mit Leichtigkeit wechselt er die Erzählperspektive.
Mit 23 Jahren, kurz nach dem Musikgymnasium in Zürich, schrieb er Zeilen wie «Du bist zwar erst sechzehn / Ach komm, wir drehen Sexszenen» oder «Mach’s wie mit einem Lollipop / Dann kauf’ ich dir was Schönes bei Topshop». Da ist viel «Brustbeinearschgesicht», um es mit dem Titel eines Songs zu sagen.
Hier poltert ein junger Mann, der immer noch ein grosser Junge ist, mit Wuschelhaar und Gucci-Anzug. Auch im neuen Album geht es wieder ums Ficken. Doch weil der Canzoniere so schön rau und tief rumpelt, «wie ein 50-jähriger Mann», und eingängige Akustikmelodien kann, überhört man die spätpubertären Zeilen. Der Erfolg schlägt ein und hält an: Millionen Streams auf Spotify, ausverkaufte Konzerte in Deutschland wie der Schweiz, die Crowd grölt mit.
2016 bezeichnete eine Feuilletonistin in der «Welt am Sonntag» den linken Pop als «träge Massenintrospektion» und schaute sich suchend nach dem «wilden linken Mann», dem «Pöbelmann» und «Sehnsuchtsmann» um. Statt Sex, Pathos, Gewalt hinterfragten Rapper ihre Männlichkeit, sensible Singer-Songwriter offenbarten ihre Gefühle. Dann kam Faber, und die deutschen Zeitungen feierten die Rückkehr des verlorenen humanistischen Prolls. Seine Interpretation der Pop-Musik setzt weder aufs Wohlfühlen, noch besingt sie harmonische Belanglosigkeit.
«Ich bin nicht Faber»
Julian Pollina, wie er mit bürgerlichem Namen heisst, ist im behüteten Zürcher Seefeld aufgewachsen. Als süffisanter Beobachter der modernen Mittelschicht schlüpft er in Rollen, um die Realität verschiedener Menschen darzustellen und dadurch die Gesellschaft zu karikieren. Daraus entstehen Song-Zeilen wie «Sie ist kein Pick-me-Girl, aber fickt die Welt / Wie im Parkverbot, wird heute abgeschleppt».
Bei all den uneindeutigen Liedtexten und wechselnden Perspektiven fragt man sich, was Faber eigentlich sagen will. Hinter der Rollenprosa gibt es keinen authentischen Bezugspunkt. Die Charaktere vereinen sich zu einer Figur, dem Provokateur.
2019 musste Pollina eine Zeile des Liedes «Das Boot ist voll» umschreiben. Er rufe darin zur Vergewaltigung von Nazis auf, wurde ihm vorgeworfen. Die plumpe Überspitzung sorgte für einen Shitstorm. Daraufhin sagte Faber, die Zeilen hätten sich auch für ihn falsch angefühlt, und ersetzte den Refrain.
Sein neues Soloalbum ist weniger provokativ als dessen Vorgänger, Faber spürt offenbar zunehmend eine künstlerische Verantwortung. Trotzdem kann er das Spiel mit Ironie und Zynismus nicht lassen. Zum Album veröffentlichte er einen Kurzfilm in fünf Teilen. Die Hauptrollen darin mimt er gleich alle selbst und rückt damit sich, seine Kunstfigur, ins Zentrum der Vermarktung. Das Ich ist allgegenwärtig.
In der fünften Episode, die gleichzeitig das Musikvideo zum Lied «Anima Ribelle» ist, stellt er klar: «Ich bin nicht Faber. Ich heisse Julian Vincenzo Pollina. Dreissig Jahre, ledig, Widder von Sternzeichen, mit schlechter Laune und von mittelmässigem Aussehen.» Man glaubt, den echten Julian Pollina vor sich zu haben, und ist dann doch wieder irritiert: Er sagt, als Christ sei er geboren und zum Narzissmus konvertiert.
Auf die Frage, ob er wirklich so denke, wie es seine Texte aussagten, antwortete Pollina einst einer Journalistin des «Musikexpresses»: «Kunst soll aufregen, oder hältst du das Publikum für so dumm, die Texte wörtlich zu nehmen?» Indem er sich hinter einer Vielzahl von Charakteren versteckt, druckst Pollina sich geschickt um eine Haltung und nimmt sich aus der Schusslinie.
Zurück zu den italienischen Wurzeln
Im Sommer 2020 sagte Pollina dem «Tagblatt», er plane nun, erwachsen zu werden. Daraufhin schrieb er mit Sophie Hunger und Dino Brandão ein grossartiges Album über die Liebe. Im Lied «Mega Happy» singt Faber: «Ich ha probiert mich selber zsi, ich ha gmerkt es isch de Horror.» Vielleicht zeigt hier die Mundart ein Stück seines unverstellten Selbst.
Pollina schauspielert neuerdings auch dann, wenn er nicht Faber ist. Anfang Mai erschien «Der Junge, dem die Welt gehört», ein tiefgründiger Schwarz-Weiss-Spielfilm. Pollina spielt darin die Hauptrolle. Als Basilio lebt er in einer sizilianischen Villa und schreibt Musik. Er soll der Welt ihre Gespräche ablauschen und diese mit seiner Musik erfassen.
Der Film scheint wie zugeschnitten auf Pollina. Faber, der früher als Troubadour in Restaurants und auf Hochzeiten italienische Liebeslieder und Schlager sang, findet auch auf dem neuen Album «Addio» zurück zu seinen Wurzeln. Mit romantischer Lyrik, Weltschmerz und sinnlicher Gitarre reiht er sich mit drei Songs in die Tradition der italienischen Cantautori wie Fabrizio de André ein, dessen Spitzname ebenfalls «Faber» war.
«Pirdutu cori», übersetzt «gebrochenes Herz», ist sodann das erste Lied, das er mit seinem Vater geschrieben hat. Noch ist dieser der bekanntere Musiker: Der sizilianische Liedermacher Pippo Pollina zählt zu den grossen Cantautori der Gegenwart.
Faber, der vorwiegend auf Hochdeutsch singt, schien sich bisher von ihm abzugrenzen. Die Wiederannäherung passt zu seinem Erwachsenwerden. Waren es früher Balkan-Beats, kommen nun zu den Klavier- und Gitarrenballaden mehrstimmige Gesänge von Chören, Opernarien und orientalische Klänge hinzu. Sie machen die Musik düster und ernst und entziehen sie doch wieder einer Zuordnung.
Aber Faber wäre nicht Faber, wäre er nicht «eine Idee, die verzehrt werden will», wie er in «Anima Ribelle» raunt. Womöglich ist auch sein erwachsenes Ich nur eine Rolle. Demjenigen, der sich als Jesus inszeniert und «Ihr habt meinen Segen» singt, nimmt man den vermeintlichen Ausklang der Arroganz jedenfalls nicht ab.