Das Obergericht hat das Urteil des Bezirksgerichts Winterthur aufgehoben und einen 62-jährigen Bäcker nun doch der Diskriminierung durch Verbreiten von Ideologien schuldig gesprochen.
Schon für das Bezirksgericht Winterthur war klar, dass ein Winterthurer Bäcker mit dem Hochladen einer Videoserie auf seine Homepage objektiv antisemitische Inhalte verbreitet hatte. Der erstinstanzliche Einzelrichter hatte dem Beschuldigten aber abgenommen, dass er das subjektiv nicht gemerkt haben will, deshalb erfolgte ein «In dubio pro reo»-Freispruch.
Nicht überraschend, ging der Staatsanwalt dagegen in Berufung. Der Beschuldigte habe die Tat zumindest eventualvorsätzlich in Kauf genommen, ist seine Argumentation vor Obergericht. Er verlangt eine bedingte Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 60 Franken bei einer Probezeit von 2 Jahren für den nicht vorbestraften Bäcker wegen Diskriminierung durch Verbreiten von Ideologien.
Dieser beschwert sich in seiner Befragung vor Gericht darüber, durch die Berichterstattung der Zeitung «Der Landbote» völlig ruiniert worden zu sein. Sein Umsatz sei eingebrochen. Heute arbeite er nur noch als Angestellter der Bäckerei und habe eine halbe Million Franken Schulden. Auf der Strasse werde er als «Nazi» beschimpft.
Impfskeptiker und Verschwörungstheoretiker
Der 62-Jährige war während der Pandemie im Herbst 2021 in den Fokus der Medienberichterstattung geraten, weil er vor Kunden über die Corona-Massnahmen schimpfte und auf seiner Homepage Verschwörungstheorien verbreitete. Gegenstand der Anklage bilden 18 Videos einer Serie unter dem Titel «Der Untergang der Kabale», die von einer niederländischen Anhängerin des QAnon-Kults produziert worden waren.
Juden würden in den Videos «in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise» herabgesetzt, so die Anklage. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass die Filme mit Juden zu tun hätten, behauptet der Bäcker vor Obergericht. Es sei ihm während der Corona-Pandemie einfach darum gegangen, Leute aufzuklären.
Die Befragung durch Oberrichter Christoph Spiess dreht sich schnell um Impfungen, Bill Gates, George Soros, Chemtrails, 5G und ähnliche Themen. Laut den Videos sei das «Endziel» der aschkenasischen Juden die absolute Herrschaft über die Welt, Nichtjuden zu unterjochen und auszurotten und die Weltbevölkerung auf 500 Millionen Menschen zu reduzieren. Dazu benützten sie durch sie ausgelöste Umweltkatastrophen, Hungersnöte, Dürren, Krankheiten, Seuchen, Chemtrails, Elektrosmog oder Impfungen.
Die Videos hätten sehr interessante Inhalte, «dass aber alles so stimmt, würde ich nicht behaupten», sagt der Beschuldigte.
«Glauben Sie an Chemtrails?», will der Richter Spiess unter anderem wissen. Er sei davon überzeugt, lautet die Antwort. Es sei mittlerweile bewiesen. Piloten, die sich geweigert hätten, die Substanz zu versprühen, sei gekündigt worden.
Es sei massiv verletzend für Juden, wenn – wie in den Videos – behauptet werde, der Zweite Weltkrieg und die Vernichtung von Millionen Juden sei von Juden geplant gewesen, um in das Land Israel auswandern zu können, und Adolf Hitler sei ein Enkel von Anselm Salomon Rothschild gewesen, sagt Oberrichter Spiess, ob er das erkenne?
«Ich muss ja nicht zwingend mit dem Inhalt einverstanden sein», meint der Bäcker. Er habe die Videos angeschaut, aber nicht gesehen, dass es gegen Juden sein solle, wiederholt er mehrfach. Er habe in guter Absicht versucht, zu informieren. Er sei kein Antisemit. Er habe viele jüdische Kollegen und Freunde.
Der Staatsanwalt betont in seinem Plädoyer, dass der Beschuldigte von der Polizei bei der ersten Einvernahme und von einem Journalisten des «Landboten» explizit darauf aufmerksam gemacht worden sei, dass er sich mit den Videos strafbar machen könnte. Trotzdem habe er sie danach wieder hochgeladen. Der Antisemitismus in den Videos sei perfid, weil er subtil und verschachtelt verbreitet werde.
Strafminderung wegen Vorverurteilung durch Medien
Der Verteidiger des Bäckers beantragt einen Freispruch. Auch er erklärt, die Videos hätten der Aufklärung gedient, und outet sich selber ebenfalls als Impfskeptiker. Irgendwann bringt er auch noch den Einsturz des dritten Hochhauses in New York bei 9/11 ins Spiel. Nur drei Minuten des rund 14-stündigen Videomaterials befassten sich mit Juden. Und aschkenasische Juden seien ja eigentlich gar keine Juden. Zudem habe es einen Disclaimer auf der Homepage gehabt, wonach der Bäcker jede Haftung für fremde Inhalte ablehne.
Das Obergericht verurteilt den 62-jährigen Beschuldigten trotzdem zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 50 Franken. Einen Bonus von 20 Tagessätzen gibt es dabei, weil das Gericht dem Beschuldigten eine Vorverurteilung durch die Medien zugutehält.
In der Sache sei es eindeutig, dass durch die Videos aschkenasische Juden diskriminiert würden. Spiess nennt die Inhalte «Stumpfsinn» und «Chabis». Jeder normal intelligente Mensch merke, dass es ein übles Machwerk sei, bei dem es darum gehe, aschkenasische Juden «zur Schnecke zu machen». Und es seien nicht nur drei Minuten, sondern das Thema ziehe sich wie ein roter Faden durch die ganze Videoreihe.
Der Bäcker habe die Videos gesehen und in fehlgeleiteter aufklärerischer Absicht subjektiv in Kauf genommen, dass sie deliktisch seien. Der Disclaimer spreche sogar eher dafür, dass ihm die problematischen Inhalte bewusst gewesen seien.
Urteil SB240091 vom 11. 10. 2024, noch nicht rechtskräftig.