Kanada ist für die chinesischen Triaden wegen der geografischen Lage und den laxen Geldwäscherei-Gesetzen interessant. Das soll nun ein Ende haben.
Der Gegensatz zwischen der West- und der Eastside in Vancouver könnte nicht grösser sein. Während in der Westside die Wolkenkratzer mit ihren luxuriösen Wohnungen in die Höhe ragen, haben in der Eastside Tausende Obdachlose und Drogenabhängige ihre Zelte auf den Trottoirs aufgeschlagen.
Seit sich bei den Süchtigen das Opiat Fentanyl als bevorzugtes Suchtmittel etabliert hat, das 50 Mal stärker wirkt als Heroin, ist die Anzahl Drogentoter in Vancouver in die Höhe geschnellt. Eine Besserung der Situation ist nicht absehbar. Denn an Fentanyl-Nachschub mangelt es nicht. Das hängt wiederum mit den Wolkenkratzern in der Westside zusammen; aber auch mit dem grossen Güterhafen, der chinesischen Diaspora und den laschen Geldwäscherei-Gesetzen. Letzteres möchte die Regierung nun ändern.
Das Vancouver-Modell
Denn Vancouver hat sich längst als nordamerikanische Drehscheibe für den Import von Fentanyl-Vorprodukten und Geldwäscherei etabliert. Beides wird von der chinesischen Mafia, auch chinesische Triaden genannt, gesteuert. Die Triaden 14K, Sun Yee On und die Big Circle Gang sind in der chinesischen Diaspora in Vancouver, die zu einer der grössten und ältesten in Nordamerika zählt, fest verankert.
In China kontrollieren die Triaden wiederum zahlreiche Pharmafirmen, die Fentanyl-Vorprodukte herstellen. Diese werden von Hongkong aus nach Vancouver exportiert. In Kanada betreiben die Triaden, die mexikanischen Kartelle und Biker-Gangs Labore, in denen sie daraus Fentanyl-Pillen und -Pulver herstellen. Das Geld aus den Drogenverkäufen auf der Strasse wird dann über die chinesischen Triaden gewaschen. Laut einer Arte-Dokumentation geht die Polizei davon aus, dass die chinesischen Triaden mittlerweile die heimlichen Bankiers der organisierten Kriminalität sind.
Das Geldwäscherei-System, das die chinesischen Triaden zu diesem Zweck entwickelt haben, nennt sich «Vancouver-Modell» und funktioniert über Geldwechselstuben, die auch Untergrundbanken genannt werden:
- Ein chinesischer Investor möchte in Vancouver drei Luxuswohnungen an bester Lage in einem Wolkenkratzer für 10 Millionen kanadische Dollar kaufen. Da es in China aber eine Kapitalausfuhrbeschränkung von 50 000 US-Dollar pro Jahr und pro Person gibt, ist es ihm nicht möglich, 10 Millionen kanadische Dollar nach Kanada zu überweisen. Daher überweist er das Geld an eine Geldwechselstube der 14K-Triade in Shenzhen.
- Der chinesische Investor fliegt anschliessend nach Vancouver.
- In Vancouver angekommen, sucht er eine Geldwechselstube auf, die ebenfalls der 14K-Triade gehört.
- Die Geldwechselstube händigt ihm Bargeld im Wert von 10 Millionen kanadischen Dollar in 20er-Scheinen aus. Dieses stammt aus dem Erlös von Fentanyl-Verkäufen. Drogendealer der Triaden oder der mexikanischen Kartelle haben das Geld auf der Strasse erwirtschaftet und im bewachten Hinterzimmer der Geldwechselstube deponiert.
- Der chinesische Investor wird daraufhin in eines der zahlreichen Kasinos in Vancouver gefahren. Dort löst er das Geld in Chips ein, macht zwei, drei Spiele mit kleinen Beträgen und löst das Geld wieder in grössere Scheine ein, die nach kanadischen Bankstandards gebündelt sind.
- Das Geld ist nun gewaschen und kann für den Erwerb der drei Wohnungen genutzt werden. Die Geldwechselstube verlangt vom Investor lediglich eine Gebühr für das Bereitstellen des Bargeldes in Kanada.
- Die 14K-Triade in Shenzhen liefert ihrer Niederlassung in Vancouver dann wieder Fentanyl-Vorprodukte im Wert von 10 Millionen kanadischen Dollar, die vor Ort zu Tabletten oder Pulver verarbeitet und auf der Strasse verkauft werden.
Zunehmende Kriminalität und unbezahlbare Wohnungen
Durch die strikten Kapitalausfuhrbeschränkungen in China entsteht zwischen dem organisierten Verbrechen und Chinesen, die es auf legalem Weg zu Reichtum gebracht haben, eine Zielharmonie. Würde die chinesische Regierung die Kapitalausfuhrbeschränkungen aufheben, würde das die Geldwäscherei-Machenschaften zumindest erschweren. Allerdings hat China daran kein Interesse. «Einige Länder wie zum Beispiel Russland, Venezuela und auch China möchten das Kapital möglichst im Land halten, um die eigene Volkswirtschaft zu stärken», sagt Florian Haufe, Geldwäscherei-Experte bei Alix Partners.
Doch das Geld findet seinen Weg meist trotzdem aus dem Land, wie das Vancouver-Modell zeigt. Denn die Untergrundbank-Systeme der Triaden funktionieren, ohne dass das Geld die Landesgrenzen überschreiten muss. Zudem werden für den «Waschvorgang» keine kanadischen Banken benötigt, die dem Geldwäscherei-Gesetz unterstehen und denen solche Transaktionen auffallen würden.
«Viele Länder mit hohem Lebensstandard sind für solche Praktiken anfällig – auch die Schweiz», so Haufe. Denn reiche Chinesen und Russen investieren bevorzugt in sicheren und wertstabilen Ländern. Das hat in Vancouver zu einem enormen Anstieg der Immobilienpreise geführt, so dass sich die meisten Einheimischen keine Wohnung mehr leisten können.
Da diese Transaktionen mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung stehen, befeuern sie zusätzlich den Fentanyl-Handel und die damit einhergehende Bandenkriminalität. So hat die Polizei laut der «Vancouver Sun» in der Metropolregion Vancouver im vergangenen Jahr mehrere grosse Fentanyl-Labore ausgehoben. Sie geht davon aus, dass mittlerweile auch in den Provinzen Alberta und Ontario zahlreiche Fentanyl-Labore betrieben werden.
Im August 2023 entdeckten Drogenfahnder in der Nähe der Niagarafälle, nur 30 Kilometer von der amerikanischen Grenze entfernt, das bisher grösste Fentanyl-Labor in Kanada. Auch wenn 90 Prozent des Fentanyls in den USA von mexikanischen Kartellen stammen, könnte der nördliche Nachbar ein zweites ernstzunehmendes Einfallstor für Fentanyl für die USA werden. Derzeit sind aber die Produktionskosten für Fentanyl-Pillen und -Pulver in Kanada noch bedeutend höher als in Mexiko. Kanadisches Fentanyl ist daher nicht konkurrenzfähig und wird darum hauptsächlich im heimischen Markt verkauft.
Viele Profiteure
Abgesehen vom organisierten Verbrechen profitierte auch die Provinz British Columbia jahrelang von den beträchtlichen Steuereinnahmen, die ihnen die Kasinos bescherten. Zudem wehrten sich die Immobilien- und die Finanzbranche sowie die Anwaltskanzleien laut der «Financial Post» lange Zeit, Transaktionen von fragwürdigen Kunden zu melden.
Aus dem Schlussbericht der Untersuchungskommission Cullen Commission aus dem Jahr 2022 geht hervor, dass allein in der Provinz British Columbia mehrere Milliarden Dollar pro Jahr gewaschen wurden. Die Kommission wurde von der Regierung von British Columbia gegründet, nachdem der kanadische Investigativ-Journalist Samuel Cooper im Jahr 2021 sein Buch «Wilful Blindness – How a network of narcos, tycoons and chinese communist party agents infiltrated the west» veröffentlicht hatte. Cooper deckte darin die Geldwäscherei-Machenschaften der chinesischen Triaden auf und wies nach, dass mehrere Paten Kontakt zu Lokalpolitikern in British Columbia und zu Vertretern der Regierung halten.
Die Cullen Commission empfahl der Regierung, ein Gesetz zum Umgang mit nicht deklarierten Vermögenswerten in British Columbia zu schaffen. «Diese Massnahme wurde zwar umgesetzt, hat die Geldwäscherei in Vancouver bisher aber nicht nennenswert reduziert», sagt Samuel Cooper. Immerhin hätten die Kasinos aufgrund seiner Enthüllungen eine Cash-Limite von 10 000 kanadischen Dollar eingeführt. Das habe das Waschen von grossen Geldsummen in den Kasinos erschwert.
Allerdings zeigen sich seither abgewandelte Variationen des Vancouver-Modells. So werden heute vermehrt Netzwerke bestehend aus Briefkastenfirmen für die Transaktionen genutzt. Denn für Unternehmen gelten andere, weniger restriktive Kapitalausfuhrbeschränkungen in China. Zudem verfügen die Triaden über zahlreiche Strohmänner in China und Kanada, die sich gegenseitig immer wieder kleine Beträge überweisen und so die Herkunft des Geldes zusätzlich verschleiern.
Kanada als bedeutendes Geldwäscherei-Land
Laut Global News wurde die kanadische Regierung in den letzten Jahren von NGO wie Transparency International, aber auch vom amerikanischen Aussenministerium aufgrund der laxen Geldwäscherei-Gesetze kritisiert und auf die gleiche Stufe mit Ländern wie Afghanistan, den britischen Jungferninseln, China, Macau und Kolumbien gestellt.
Auch Florian Haufe, Geldwäscherei-Experte bei Alix Partners, bestätigt: «Kanadas Geldwäscherei-Gesetze haben lange Zeit nicht den international anerkannten Standards entsprochen.» Es tue sich zwar einiges, dennoch sei man noch nicht dort, wo man sein sollte.
Doch nun sagt die Regierung dem «snow washing» – wie die Geldwäscherei durch den kanadischen Finanzplatz aufgrund des Schneereichtums des Landes auch genannt wird – den Kampf an. So erliess die Regierung von Justin Trudeau im November eine Reihe von Reformen in Bezug auf die Geldwäscherei-Gesetze. Seit Jahresbeginn hat die kanadische Aufsichtsbehörde für Finanzkriminalität laut Reuters zudem bereits gegen drei der fünf grössten Banken rekordhohe Bussen wegen Verstössen gegen die Geldwäscherei-Gesetze ausgesprochen.