Sonntag, September 29

An ihrem Parteitag hat die FDP des Kantons Zürich beschlossen, dass die Wirtschaftsmigration eingedämmt und die Zuwanderung aus der EU reduziert werden soll.

Diesen Samstag ist in Zürich ein Experiment angelaufen, das auch national Aufmerksamkeit erregt hat. Filippo Leutenegger und seine neue Führungscrew haben für die kantonale FDP ein neues Parteiprogramm kreiert. Viele Punkte darin gehören zum freisinnigen Standardvokabular: Eigenverantwortung fördern, Bürokratie bremsen, Steuern senken. Ein Punkt aber, birg Zündstoff: der neue Kurs in der Migrationspolitik.

Vizepräsident Matthias Müller hatte es im Vorfeld so formuliert: «Als FDP müssen wir zur Zuwanderung unmissverständlich Stellung beziehen.» Immerhin handelt es sich um das Thema der Stunde. Es ist aber auch ein Thema, das die Freisinnigen in der Vergangenheit ungern anpackten, weil es die Partei spaltet.

Vor wenigen Wochen ging der nationale Parteipräsident Thierry Burkhart voraus und forderte in einem NZZ-Interview eine Eindämmung der illegalen Migration. Noch heikler wird die Zuwanderungsfrage für die Freisinnigen aber dort, wo sie direkt die Interessen der Wirtschaft tangiert: bei der Personenfreizügigkeit.

Während Burkart noch vorsichtig von einer Regulierung der Zuwanderung sprach, geht das Zürcher FDP-Präsidium nun einen Schritt weiter. Die Zuwanderung auch aus dem EU-Raum sei zu hoch, sagt Leutenegger, ebenfalls in einem NZZ-Interview. Die Schweiz können das nicht mehr stemmen. Das neue Parteiprogramm fordert nun explizit eine «Steuerung und Reduktion der Zuwanderung aus der EU».

Und genau dieser Punkt ist für die nationale Parteileitung spannend: Wie kommt ein solcher Kurs in der Parteibasis an? Darauf sollte der Parteitag der Zürcher FDP am Samstag eine Antwort geben. Und zwar eine verblüffende.

Das Schweigen der Basis

Der Saal im Careum Auditorium war am Samstagmorgen fast bis auf den letzten Platz gefüllt. 250 FDP-Mitglieder fanden sich ein, um über das neue Parteiprogramm zu diskutieren. Fünfeinhalb Stunden waren für den Anlass veranschlagt. Bundesrätin Karin Keller-Sutter, die als freisinniger Stargast eine kurze Auftaktrede hielt, sprach von einem historischen Parteitag.

Zum neuen Programm waren 67 Änderungsanträge eingegangen. Präsident Filippo Leutenegger sagte, er habe schlaflose Nächte gehabt. «Ein solches Programm bringe auch ich als versierter Moderator nicht durch.» Dank vieler Telefonate habe man schon vorher einiges bereinigen können, übriggeblieben seien 27 Anträge. Spontane Anträge aus dem Plenum waren nicht zugelassen, die Redezeit war auf 2 Minuten begrenzt.

Und so konnte Leutenegger recht zügig durchs Programm schreiten, bis zum vermeintlich umstrittensten Punkt Nummer 5: «Zuwanderung beschränken – hart, aber fair». Im Vorfeld hatten sich einige aus der Partei kritisch geäussert, allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. So sagten Freisinnige zur NZZ, man müsse unbedingt eine «weltoffene Partei» bleiben und eher die «Chancen der Zuwanderung» sehen. Ein Mitglied des Parteikaders fand, die Zuwanderung aus der Europäischen Union reduzieren zu wollen, entspreche «nicht dem liberalen Geist».

Um den neuen Migrationskurs vorzustellen, trat Nationalrat Hans-Peter Portmann ans Rednerpult. Er lieferte ein feuriges Plädoyer für eine härtere Gangart bei der Zuwanderung. Er sprach von Wirtschaftsflüchtlingen, die der Schweiz keine Netto-Wertschöpfung brächten. Von Fehlanreizen für illegale Migration: Papierlose müssten schon bei der Einreise klar aufzeigen können, aus welchem Land sie stammten. Andernfalls müssten sie umgehend in jenes Land zurückgeschickt werden, aus dem sie einreisten.

Entwicklungsprojekte müssten in jenen Ländern eingestellt werden, die Flüchtlinge nicht zurücknähmen, fuhr Portmann fort. Stattdessen müssten die Projekte dort verstärkt werden, wo die illegale Migration unterbunden werde. Und bei der Personenfreizügigkeit müsse unter dem Strich etwas Positives für die Schweiz herausschauen. «Sonst hat sie keinen Wert und keinen Sinn mehr.»

Portmann hätte also durchaus Angriffsfläche geboten. Immerhin gilt die FDP als Wirtschaftspartei – und viele grosse Unternehmen stehen klar hinter der Personenfreizügigkeit. Doch im Saal blieb es still. Zwei Änderungsanträge, die eher semantischer Natur waren, wurden dem Plenum vorgelegt. So sollte es statt «Eindämmung der Flüchtlingsmigration» neu: «Eindämmung der illegalen Migration, insbesondere von Wirtschaftsflüchtlingen» heissen.

Die Anträge wurden angenommen. Diskussionslos.

Später am Nachmittag sollten die Anwesenden dann leidenschaftlich über Fragen wie diese streiten: Soll im Parteiprogramm eine Fährverbindung von Meilen nach Wädenswil gefordert werden?

Ein neuer Stil

Wie kommt es, dass die Zürcher FDP scheinbar widerspruchslos einen neuen Weg in der Einwanderungspolitik einschlägt?

Offenbar hatte es zwar noch einen Antrag der Stadtzürcher Sektion gegeben. Schliesslich dürfte es im linken Zürich schwierig sein, mit Migrationskritik zu punkten. Doch der Antrag wurde zu spät eingereicht und fiel damit unter den Tisch. Spitzenvertreter der städtischen FDP wollten sich nach der Sitzung nicht zu dessen Inhalt oder der fehlenden Migrationsdebatte äussern.

Filippo Leutenegger hatte im Vorfeld zur NZZ gesagt: «Der Parteitag wird meine Master-‹Arena›» – in Anlehnung an die SRF-Sendung, die er einst moderierte. Tatsächlich scheint es im auf geradezu magische Weise gelungen zu sein, die notorisch uneinige Partei auf eine Linie zu bringen.

Filippo Leutenegger sieht es so: Die Mehrheit sei offensichtlich froh darüber, dass die FDP nun eine klare Haltung zu diesem Thema habe. Er weiss das, weil die Parteileitung alle Sektionen besucht hat und aus diesem Austausch das neue Programm kreiert hat.

Die Positionierung entstand auch in enger Absprache mit der nationalen Parteileitung. Dort dürfe man mit Interesse registrieren, dass die Vertreter des Wirtschaftskantons keinen Widerstand leisteten.

Zum Ausklang des «historische Parteitags» gab es Würste und Bier. Ein neuer Stil hält Einzug bei den Freisinnigen. Wie gut der bei der Bevölkerung ankommt, werden die nächsten Wahlen zeigen.

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