Der 21-Jährige prägt das Spiel von Bayer Leverkusen. Mit dem Klub trifft Wirtz im Achtelfinal der Champions League auf Bayern München – jenen Klub, der ihn gerne unter Vertrag nähme.
Der Fussballtrainer Peter Bosz pflegt ein eigentümliches Ritual. Nach jedem Spiel holt er sein Notizbuch hervor und vergibt Noten an seine Eleven. Die Gewohnheit verrät den Pädagogen, einen Mann, der mehr Fussballlehrer als Einpeitscher ist. Eine Zehn, so verriet Peter Bosz einmal im Gespräch mit der NZZ, habe er in all den Jahren nur ein, zwei Mal vergeben. Von all seinen Mitspielern, die er als Fussballprofi erlebte, habe sich vor allem Marco van Basten, der Europameister von 1988 und Goalgetter der AC Milan unter Arrigo Sacchi, häufiger die Bestnote verdient.
Die strengen Massstäbe des Niederländers, der gegenwärtig die PSV Eindhoven trainiert, sind insofern bedeutsam, als er in seiner Zeit als Trainer von Bayer Leverkusen am 18. Mai 2020 einen jungen Mann in der Startformation der Leverkusener debütieren liess: Florian Wirtz. Der ist gegenwärtig der aufregendste Spieler der Bundesliga, und er wird besonders im Fokus stehen, wenn Leverkusen und Bayern München am Mittwoch im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinals aufeinandertreffen (21 Uhr). Über Wirtz sagte Bosz im «Kicker», es würde ihn nicht wundern, wenn jener bald «der beste Fussballer der Welt» sein werde.
Mit 16 Jahren beeindruckte er den Trainer Peter Bosz
Bosz’ Bestnote – sie ist bald greifbar für Florian Wirtz. Schon die erste Begegnung der beiden hinterliess einen Eindruck. Wirtz, damals 16 Jahre alt, erklärte seinem neuen Chef, dass er genau das vorhabe: der beste Spieler der Welt zu werden. Nur wenig später kam Peter Bosz zu dem Urteil, dass die Selbsteinschätzung des Youngsters zwar etwas provokativ, aber keineswegs unbegründet sei.
Der Trainer erlebte ihn mit seiner aussergewöhnlichen Fähigkeit, Spielzüge vorauszuahnen, dazu dieser Qualität, sich zu behaupten. Wirtz verlor gegen die routinierten Konkurrenten kaum je einen Ball. Der Letzte, von dem solch wundersame Dinge in Deutschland berichtet wurden, war Mario Götze.
Bis zu Wirtz’ erstem Tor als Profi dauerte es nur wenige Wochen, er traf 2020 als gerade 17-Jähriger gegen Bayern München und avancierte damit zum jüngsten Bundesliga-Torschützen. Die Marke wurde erst vom Dortmunder Youssoufa Moukoko unterboten, dem damals mutmasslich ältesten 16-Jährigen des Weltfussballs.
Etwas trockener sieht Leverkusens Trainer Xabi Alonso die Diskussion um seinen Angreifer: «Er ist unser Flo, ein Toptalent.» Doch im Grunde ist es vermessen, bei einem wie ihm von einem Talent zu sprechen. Denn dieses Stadium hat Wirtz längst hinter sich gelassen. Mit seinen 21 Jahren ist er nicht nur eine Stütze im Leverkusener Team – er zählt zu den prägenden Akteuren, ist Ideengeber und Leader gleichermassen.
Er verteidigt leidenschaftlich gern das eigene Tor
Der Anspruch anzuführen speist sich nicht aus irgendeiner Attitüde. Sondern aus einer Arbeitsethik, die es anderswo kaum zu besichtigen gibt: Wirtz ist nicht nur ein Offensivkünstler, sondern er ist geradezu versessen darauf, das eigene Tor zu verteidigen. Er geht irrsinnig lange Wege, absolviert extrem viele Zweikämpfe. Auf diese Weise schreitet er in einem Masse voran, wie es bei einem Spieler seines Alters kaum vorstellbar ist. Trotz überschaubarer Körpergrösse von 1,77 Metern wirkt er oftmals einschüchternd auf dem Feld. Geht es gegen den FC Bayern, legt er sich auch einmal mit dem einen Kopf grösseren Leon Goretzka an.
Aber wie lange wird Florian Wirtz noch in Leverkusen bleiben? Diese Frage treibt nicht nur die eigenen Kollegen um. Dass er den Klub, mit dem er in der vergangenen Saison Meister geworden ist, irgendwann verlassen wird, gilt als ausgemacht – die Frage ist bloss, wann. Das Verlangen nach einem Spieler wie ihm ist überall dort gross, wo der Anspruch besteht, die Champions League zu gewinnen. Besonders allerdings in München.
Wirtz’ grösste Fans sitzen in München
Dort bewundert nicht nur der berüchtigte TV-Experte Dietmar Hamann Wirtz’ Qualitäten, sondern auch der langjährige Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Kürzlich erst rühmte dieser die Qualitäten des Leverkuseners: «Florian Wirtz ist für mich der beste Spieler Deutschlands. Und ich mache auch kein Hehl daraus, dass es ganz klar unser Ziel sein muss, Wirtz zu verpflichten.»
Karl-Heinz Rummenigge: «For me, Florian Wirtz is the best player in Germany. And I make no secret of the fact that it must be our clear goal to sign Wirtz. Everyone at FC Bayern agrees that he is exactly the player we want to sign – not to weaken Leverkusen, but to strengthen… pic.twitter.com/lJCwxUReZq
— Bayern & Germany (@iMiaSanMia) February 28, 2025
Das Lob hat es in sich. Denn die Bayern haben Wirtz’ Nationalmannschaftskollegen Jamal Musiala unter Vertrag – einen Spieler, in dem Lothar Matthäus den neuen Messi sieht. Insofern dürfte die von Rummenigge ausgedrückte Wertschätzung einen doppelten Effekt haben: Wirtz zu versichern, dass er in München bestens aufgehoben wäre, und zugleich Musiala noch ein wenig mehr anzustacheln.
Als jüngst der Münchner Trainer Vincent Kompany die beiden Offensivspieler miteinander verglich, sagte er, es sei vollkommen aussergewöhnlich, zwei Spieler im gleichen Alter mit der gleichen Nationalität in der gleichen Liga bewundern zu können. Einer wie Wirtz lasse sich kaum stoppen, «das muss man kollektiv lösen, individuell geht das nicht». Und selbst wenn eine Mannschaft über 90 Minuten konzentriert sei, «finden diese Spieler immer einen Moment».
Die Bayern wollen ihn unbedingt unter Vertrag nehmen
Nur ist die Rolle, die Wirtz im Team von Xabi Alonso spielt, noch tragender als die seines Münchner Konkurrenten Musiala, dem die Fähigkeit bis jetzt abgeht, eine ganze Mannschaft mitzureissen. Ebenjenen Spieler hatten die Bayern zuletzt in Thomas Müller, als dieser noch regelmässig zum Einsatz kam. Und so kann es nicht verwundern, dass Wirtz von den Münchnern umschmeichelt wird. Uli Hoeness, der noch immer präsente Bayern-Grande, soll einen guten Kontakt zum Vater von Florian Wirtz haben.
Die Signale des FC Bayern kommen wohl nicht zufällig zu diesem Zeitpunkt. Wer derart hofiert wird, der hat vielleicht Skrupel gegenüber den Leuten, die freundliche Worte über ihn sagen. Und vielleicht verbinden die Bayern damit die Hoffnung, dass Wirtz in den beiden Champions-League-Spielen nicht ganz so unerbittlich auftreten wird wie in den zurückliegenden Begegnungen, von denen die Bayern keine gewinnen konnten. Ein kleines Indiz dafür, dass ihr Werben Wirkung zeigt, gab es beim 0:0 vor einigen Wochen, als Wirtz gross aufspielte. Da hatte er kurz vor Schluss die Gelegenheit zum Siegtreffer – und vergab aus kurzer Distanz. Vielleicht sind es diese Details, die ihn noch davon trennen, der beste Spieler seiner Zeit zu sein.