Rund ein Achtel der Altersrentner in der Schweiz bekommen Ergänzungsleistungen. Für Alleinstehende ist der Grundbedarf nebst den Kosten für Wohnung und Krankenkasse auf 1675 Franken pro Monat festgelegt. Das liegt deutlich über der Marke der Sozialhilfe.
In der Schweiz gibt es keine allgemeine Rentnerarmut. Insgesamt geht es den Rentnern finanziell eher besser als den Jüngeren, und die finanzielle Zufriedenheit ist ebenfalls höher. Doch es gibt arme Rentner – ebenso wie es arme Jüngere gibt. Zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens bedürftiger Rentner braucht es keine teure Giesskanne in Form höherer AHV-Zahlungen für alle Rentner. Das gezielte Instrument für bedürftige Rentner sind vielmehr die Ergänzungsleistungen.
Das Grundprinzip der Ergänzungsleistungen: Man definiert den finanziellen Grundbedarf der Rentner, und wenn die Einnahmen von Betroffenen zur Deckung dieses Bedarfs nicht reichen, deckt der Staat die Differenz als Ergänzungsleistung ab.
2022 zahlte der Staat Ergänzungsleistungen für total 5,5 Milliarden Franken. Einen Drittel der Kosten übernahm der Bund, den Rest schulterten die Kantone. Die Gesamtsumme verteilte sich auf rund 344 000 Personen – was im Mittel Ergänzungsleistungen von 16 000 Franken pro Empfänger und Jahr ergab. Knapp 60 Prozent der Ergänzungsleistungen entfielen auf AHV-Rentner, die übrigen Gelder flossen an IV-Bezüger.
Ein Achtel gilt als arm
Im Kontext der kommenden Volksabstimmungen zur AHV interessieren in erster Linie die Altersrentner. Gemäss Bundesstatistik bezog 2022 jeder achte AHV-Rentner Ergänzungsleistungen (EL). Diese Quote war in den letzten zehn Jahren weitgehend stabil – mit nur minimalen Schwankungen zwischen 12 und 13 Prozent. Vor 15 Jahren war die Quote mit 11,5 Prozent leicht tiefer. Da es laufend mehr Altersrentner gibt, steigen auch bei stabilen EL-Quoten die Zahl der Empfänger von Ergänzungsleistungen und die Summe der Kosten (vgl. Grafik).
Zur Berechnung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen von Rentnern sind die anrechenbaren Kosten und Einkommen der Betroffenen zu ermitteln. Zu den anrechenbaren Einnahmen zählen vor allem die Renten, zwei Drittel eines allfälligen Erwerbseinkommens, Vermögenserträge sowie 10 Prozent jenes Teils des Vermögens, der bei Alleinstehenden 30 000 Franken und bei Verheirateten 50 000 Franken übersteigt. Das letztgenannte Element unterstellt, dass es zumutbar ist, Vermögenswerte über den erwähnten Schwellenwerten innert zehn Jahren zu verbrauchen.
Anspruch auf Ergänzungsleistungen haben überdies nur Personen mit einem Vermögen unter 100 000 Franken (Alleinstehende) beziehungsweise unter 200 000 Franken (Verheiratete). Allerdings wird bei der Berechnung dieser Eintrittsschwelle der Wert von selbstbewohnten Liegenschaften nicht berücksichtigt. Somit könnten theoretisch auch Personen mit Vermögen von einer halben Million Franken Ergänzungsleistungen erhalten. Für die Berechnung der Höhe des Anspruchs wird der Wert von selbstbewohnten Liegenschaften nach Abzug eines Freibetrags von 112 500 Franken berücksichtigt.
Die Liste der anrechenbaren Lebenskosten beginnt mit der Prämie für die obligatorische Krankenversicherung; angerechnet wird höchstens die kantonale oder regionale Durchschnittsprämie. Weiter anrechenbar sind eigene Gesundheitskosten etwa via Selbstbehalte und Jahresfranchisen, Kosten für Zahnarzt und Zahnreinigung, allfällige Pflege- und Betreuungskosten sowie Mietkosten. Für Mieten inklusive Nebenkosten gibt es Höchstbeträge, die zurzeit bei Alleinstehenden je nach Region von 1295 Franken bis 1465 Franken reichen. Bei grösseren Haushalten gelten entsprechend höhere Beträge. Die Höchstbeträge werden mindestens alle zehn Jahre angepasst – oder früher, wenn der Mietpreisindex um über 10 Prozent gestiegen ist. Bei Rentnern in Heimen werden die Heimkosten speziell angerechnet.
1675 Franken Grundbedarf
Nebst den Wohnungs- und Gesundheitskosten werden Kostenpauschalen für den «allgemeinen Lebensbedarf» angerechnet. Dieser Posten umfasst unter anderem Lebensmittel, Verkehr, Telekommunikation, Unterhaltung, Erholung und Kultur. Im laufenden Jahr gilt eine Kostenpauschale von 1675 Franken pro Monat für Alleinstehende und von rund 2513 Franken für Ehepaare. Diese Beträge werden wie die AHV-Renten in der Regel alle zwei Jahre angepasst.
Sind die genannten Pauschalen eher hoch oder tief? Das hängt vom Vergleichsmassstab ab. Einen möglichen Vergleichsmassstab liefern die durchschnittlichen Haushaltsausgaben von alleinstehenden Rentnern. Gemäss der Haushalts- und Verbrauchserhebung 2015 bis 2017 betrugen die Durchschnittsausgaben von 65- bis 74-jährigen Alleinstehenden für die allgemeinen Lebenskosten rund 2250 Franken pro Monat – was hochgerechnet mit der Teuerung bis 2024 rund 2450 Franken entspricht. Das spiegelt die Summe der Konsumausgaben ohne die Kosten für Wohnen/Energie und Gesundheit (die bei der EL separat angerechnet werden). Hinzugerechnet sind die Kosten für Versicherungsprämien ausserhalb der Krankenkassen sowie für Gebühren – aber ohne Steuern. Die angerechnete Pauschale für die Ergänzungsleistungen beträgt bei diesem Vergleich gut zwei Drittel der Durchschnittsausgaben von 65- bis 74-jährigen Alleinstehenden.
Einen anderen Vergleichsmassstab liefert der Grundbedarf zur Berechnung der Sozialhilfe. Gemäss Merkblatt der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) von 2023 liegt der Grundbedarf für Einpersonenhaushalte zurzeit bei 1031 Franken pro Monat. Der für die EL angerechnete Grundbedarf ist damit deutlich höher. Die Vergleichbarkeit ist allerdings eingeschränkt, weil für die Sozialhilfe je nach Person noch zusätzliche anrechenbare Kosten hinzukommen können («situationsbedingte Leistungen»).
Strengere Sozialhilfe
Gemäss den Richtlinien für 2023 betrifft dies namentlich Kosten für Bildung, Berufsauslagen, Kinderbetreuung, Gesundheitsleistungen, Wohnungseinrichtung und gewisse Versicherungen. Der grösste Teil solcher Zusatzkosten ist allerdings für alleinstehende Rentner nicht relevant oder wird auch bei den Ergänzungsleistungen zusätzlich zum Grundbedarf angerechnet. Eine mögliche Ausnahme sind Kosten für gewisse Versicherungen (wie Hausrat und Haftpflicht), die aber nicht allzu stark ins Gewicht fallen dürften.
Insgesamt sind die Bedingungen bei der Sozialhilfe einiges strenger als bei den Ergänzungsleistungen. 2018 befand eine externe Studie im Auftrag der Skos, dass der definierte Grundbedarf für die Sozialhilfe «weitgehend den Erfahrungen der Budgetberatungsstellen zum minimalen Lebensbedarf» entspreche – mit Ausnahme der unterschätzten Kosten für den öffentlichen Verkehr.
Wie stark der Grundbedarf für Ergänzungsleistungen über dem Grundbedarf bei der Sozialhilfe liegen soll, ist letztlich Ansichtssache und politisch zu entscheiden. Bei der Initiative für höhere AHV-Renten ist dies kein Diskussionsthema. Klar ist aber, dass die AHV weit populärer ist als das System der Ergänzungsleistungen: Die AHV verteilt breit Subventionen zulasten von Jüngeren und Reicheren, ohne dass dies als Subvention deklariert ist – so dass die Begünstigten sich selber und anderen einreden können, keine staatlichen Almosen zu erhalten. Die Ergänzungsleistungen sind dagegen offen als Subvention deklariert und erlauben deshalb keine solche Selbsttäuschung. Zudem muss man die Ergänzungsleistungen beantragen und hat bei hohen Vermögen keinen Anspruch darauf.
Konkurrenz in Staatsbudgets
Ein weiterer bedeutender Unterschied: Zusatzkosten für die Ergänzungsleistungen gehen voll und sofort zulasten der Budgets von Bund und Kantonen. Diese Kosten unterliegen den Regeln der Schuldenbremse und stehen deshalb direkt in Konkurrenz zu den Staatsausgaben für die unzähligen anderen guten Zwecke. Bei Zusatzkosten für die AHV geht dagegen nur rund ein Fünftel direkt zulasten des Bundesbudgets. Der Rest lässt sich zumindest vorläufig an den Regeln der staatlichen Schuldenbremse vorbeischmuggeln; die AHV selber kennt keine Schuldenbremse. Das Schlussverdikt über die Kostenverteilung hängt bei AHV-Zusatzkosten von der Art der Finanzierung ab. Diese Finanzierung erfolgt «später». So können viele Akteure hoffen, dass vor allem «andere» Opfer erbringen müssen.
Oft wird gegen die Ergänzungsleistungen auch ins Feld geführt, dass Anspruchsberechtigte verzichten, weil ihr Schamgefühl im Weg stehe oder weil Begünstigte unter Umständen ihr selbstbewohntes Wohneigentum aus Finanzgründen verkaufen müssten. Wenn Menschen aus Schamgefühl auf einen Anspruch für staatliche Leistungen verzichten, ist dies aber aus Sicht des Sozialstaats ein Plus. Der Staat hat nie vollständige Informationen über das wahre Ausmass der Bedürftigkeit seiner Bürger; wer aus Hemmung auf Ansprüche verzichtet, kann sich dies offenbar leisten. Und vor allem stehen dadurch mehr Mittel für die wirklich Bedürftigen zur Verfügung. Der Preis ist, wie so oft im Leben, eine Ungleichbehandlung zwischen den Hemmungslosen und den Gehemmten.
Und ist es wirklich unzumutbar, wenn jemand in der Schweiz sein selbstbewohntes Wohneigentum im Wert von zum Beispiel einer halben oder ganzen Million Franken aus finanziellen Gründen verkaufen muss? Wer die Frage bejaht, hat eine extrem hochentwickelte Anspruchshaltung gegenüber dem Sozialstaat: In dieser Lesart leben alle Mieter und damit mehr als die Hälfte der Einwohner in der Schweiz in menschenunwürdigen Verhältnissen.