Als homosexueller Jugendlicher in einer katholischen Schule träumte er davon, ein Star zu sein. So wurde er zu einer der originellsten Figuren der britischen Musikszene.
Als Neil Tennant seinen ersten Welthit hatte, war er in einem Alter, in dem andere Pop-Stars schon gestorben sind. Er war gerade 31 geworden, er kannte das Musikbusiness aus langjähriger Beobachtung und liess sich durch nichts mehr beeindrucken. Ruhm, Rausch und Geld interessierten ihn nicht. Es ging ihm einzig darum, gute Songs zu schreiben.
Tennant, am 10. Juli 1954 in North Shields bei Manchester geboren, entdeckt die Musik früh als Rückzugsort. Als Jugendlicher besucht er die St Cuthbert’s High School in Newcastle, eine konservative katholische Schule, an der er als Homosexueller fast zwangsläufig zum Sonderling wird.
Falsche Prophezeiung
Dass er sich nicht für Fussball interessiert, dafür umso mehr für Literatur, Musik und Theater, macht es auch nicht leichter. Um das Mobbing der Mitschüler zu ertragen, schreibt er Gedichte und flüchtet sich in Pop-Star-Phantasien. In glamourösen Tagträumen sieht er sich in den Rollen androgyner Glam- und Art-Rock-Idole wie David Bowie, Marc Bolan, Bryan Ferry.
Jahrzehnte später rechnet Tennant mit der katholischen Erziehung in der St Cuthbert’s High School ab. 1987 singt er im Refrain von «It’s A Sin»: «Alles, was ich je getan habe, alles, was ich jemals tue, jeder Ort, an dem ich jemals war, überall, wo ich hingehe, es ist eine Sünde.» 1993 covert er den Village-People-Song «Go West», eine Glorifizierung San Franciscos, des Zentrums der Gay-Liberation-Bewegung. In der Neufassung der Pet Shop Boys wird der Song über das schwule Utopia zur Fussballhymne, die bis heute weltweit in den Stadien gegrölt wird.
1975 schliesst Neil Tennant ein Geschichtsstudium ab und beginnt bei «Marvel Comics» als Redaktor. Er überträgt Heldengeschichten vom amerikanischen ins britische Englisch, markiert Stellen, wo anzüglich gekleidete Frauen für das britische Publikum frisch gezeichnet werden müssen, und interviewt Prominente zu ihren Comic-Vorlieben. Mit Marc Bolan spricht er eine halbe Stunde über Spiderman, bis dieser ihn freundlich darauf hinweist, dass das Aufnahmegerät nicht läuft.
1981 lernt er in einem Elektrofachgeschäft in der Londoner King Street den fünf Jahre jüngeren Architekturstudenten Chris Lowe kennen. Lowe ist ebenso fasziniert vom Sound der Synthesizer, von Elektro-Pionieren wie Kraftwerk und Giorgio Moroder. Das Duo beginnt zunächst unter dem Namen West End erste Demo-Tapes zu produzieren. In Anlehnung an Freunde, die in einer Zoohandlung arbeiten, wechseln sie später zum Namen Pet Shop Boys.
1982 beginnt Tennant als Redaktor für das Musikmagazin «Smash Hits» zu schreiben. Als er für ein Interview mit The Police nach New York geschickt wird, nutzt er die Gelegenheit für ein Treffen mit dem Musikproduzenten Bobby Orlando. Im Gepäck hat er eine Demo-Version seines Songs «West End Girls». Er bringt Orlando dazu, das Stück zu veröffentlichen. Der Titel wird zu einem Klub-Hit, der kommerzielle Erfolg bleibt aber aus.
1985 verlässt Tennant «Smash Hits» und setzt ganz auf die Musik. In einem Abschiedsartikel prophezeit das Magazin den Pet Shop Boys den baldigen Untergang. Die Band werde schon in wenigen Wochen den Bach runtergehen, und Tennant werde auf den Knien angekrochen kommen, um wieder als Redaktor arbeiten zu können. Doch das Timing stimmt. Noch im gleichen Jahr gelingt dem Duo mit einer überarbeiteten Version von «West End Girls» der Durchbruch. Der Titel erreicht von Norwegen bis Neuseeland die Spitze der Charts, in zwanzig Ländern schafft er es in die Top 10.
Ein Kommentar zum eigenen Alter
Heute, 39 Jahre und 50 Millionen verkaufte Tonträger später, sind die Pet Shop Boys eines der erfolgreichsten Pop-Duos der Musikgeschichte. Im April ist das fünfzehnte Studioalbum erschienen, «Nonetheless». Der Titel bezieht sich auf die Entstehungsgeschichte des Albums, die Songs wurden während der Pandemiejahre 2020/21 geschrieben.
In den britischen Charts landete «Nonetheless» auf Position zwei, die beste Platzierung für ein Pet-Shop-Boys-Album seit 1993. Musik sei heute erstaunlicherweise nicht mehr altersdiskriminierend, sagte Tennant gegenüber dem «Guardian». Vielleicht war guter Pop noch nie eine Frage des Alters.