Crémer soll von ihrem Mann unerlaubte Unterstützung auf See erhalten haben. Erst vor einem Jahr war die populäre Seglerin Opfer in einem Sponsorenskandal.
Die Vendée Globe ist die wohl schwierigste Herausforderung, die es im Segelsport gibt. Alle vier Jahre wagen sich mehrere Dutzend Seglerinnen und Segler auf einen Rennkurs, der sie nonstop um die Welt führt. Der Mythos der Regatta beruht auf der Herausforderung, dass dieses Abenteuer auf den Weltmeeren allein und ohne fremde Hilfe erfolgen muss, was von den teilnehmenden Männern und Frauen in einer Erklärung unterschrieben wird.
Diese Ehrenerklärung haben während der letzten Vendée Globe vor drei Jahren eine Skipperin und ein Skipper offenbar verletzt. Vor Wochenfrist publizierten die französische Sportzeitung «L’Équipe» und die bretonische Regionalzeitung «Le Télégramme» den Inhalt einer anonymen E-Mail, wonach die beiden nicht mit Namen Genannten Wetterinformationen und Informationen zur Routenwahl ausgetauscht haben. Drei Tage später gab sich das Paar als die Eheleute Clarisse Crémer und Tanguy Le Turquais zu erkennen. Crémer nahm als Seglerin am Rennen teil; ihr Ehemann, ebenfalls ein Segler, war während dieser Zeit in Frankreich stationiert.
Die Mail enthielt einen Screenshot von 15 Whatsapp-Unterhaltungen zwischen dem Ehepaar, in denen es unter anderem auch um Wetterinformationen ging. Dem Austausch waren laut den beiden Zeitungen Sätze zu entnehmen wie «Was denkst du über das Tiefdruckgebiet am Mittwochmorgen?» – «Meine Meinung ist, dass wir auf die Datei von morgen warten sollten.» Es seien auch Ratschläge über die Routenwahl, zum Teil mit Karten, erfolgt. Jean-Luc Denéchau, der Präsident des französischen Segelverbandes (FFVoile), dem die Mail ebenfalls zugespielt worden war, sprach von der Möglichkeit, dass es sich um verbotenes Routing handeln könnte.
Das Ehepaar weist die Vorwürfe zurück
Das Ehepaar, das sich selber geoutet hat, publizierte in den sozialen Netzwerken ein heftiges Dementi. «Wir haben während der 87-tägigen Weltumrundung nie geschummelt und hatten auch nie den Wunsch, eine Regel zu brechen.» Während der Gespräche, die im Wesentlichen den privaten Bereich des Paares betroffen hätten, habe ihr Tanguy «nie die geringsten Informationen gegeben, die ich nicht schon vorher hatte», erklärte Clarisse Crémer. Sie sei empört über die Art und Weise, wie die Screenshots aufgebauscht würden, «um voreilige und falsche Schlussfolgerungen zu ziehen, welche den offiziellen Untersuchungen vorgreifen und uns bereits schaden».
Mit Clarisse Crémer trifft es eine der beliebtesten Seglerinnen Frankreichs. Bei der letzten Vendée Globe eroberte «Clacla» mit ihrer offenen und fröhlichen Art die Fans im Sturm; am Schluss des Rennens hatte sie Zehntausende von Followern in den sozialen Netzwerken. Für Schlagzeilen sorgte die in St. Cloud bei Paris geborene Seglerin vor einem Jahr, als ihr Sponsor, die Banque Populaire, sich von ihr trennte, weil sie wegen ihrer Mutterschaft nicht in der Lage sei – so die Begründung der Bank –, genügend Punkte für die Qualifikation der Vendée Globe 2024 zu schaffen.
Clarisse Crémer revient dans la course au Vendée Globe
Remerciée par Banque Populaire il y a trois mois, la navigatrice, maman d’une petite fille, peut de nouveau espérer être au départ du Vendée Globe sous les couleurs de L’Occitane
➡️ https://t.co/F79AYcE9L2 pic.twitter.com/LbNLx7SxUx— Le Parisien (@le_Parisien) April 19, 2023
Danach kam es zu einer grossen Solidaritätsbewegung zugunsten der jungen Mutter, die Bank erhielt eine schlechte Berichterstattung. Steht die anonyme Mail in diesem Zusammenhang? Über den Zeitpunkt und die Motive der anonymen Veröffentlichung könne man sich nur wundern, so Clarisse Crémer. In ihrer Reaktion hielt sie fest, dass sie die Kommunikation mit ihrem Mann von einem Handy aus geführt habe, das dem Sponsor, also der Banque Populaire, gehöre und das sie nach dem Rennen zurückgegeben habe.
Eine vom Segelverband einberufene Jury will rasch ein Urteil fällen. Den beiden Seglern, die an der nächsten Vendée Globe im Herbst teilnehmen möchten, droht ein Startverbot, und Crémer könnte aus der Rangliste der letzten Vendée Globe (Rang zwölf und beste Frau) gestrichen werden.
In den französischen Seglerkreisen sind die Meinungen geteilt. Die einen sprechen von einer Grauzone der Kommunikation auf See und davon, dass der vorliegende Fall nicht mit den erlaubten Wetterhilfen und Routenführungen in anderen Regatten verglichen werden könne, in denen dem Skipper ein Team von mehreren Meteorologen und Seglern an Land zur Verfügung steht, das im Dialog mit dem Skipper die beste Routenwahl festlegt und technische Hilfe anbieten kann. Das ist zum Beispiel bei der derzeit stattfinden Nonstop-Weltumsegelung für Maxitrimarane (Ultime Challenge) der Fall.
Für den zweifachen Vendée-Globe-Sieger Michel Desjoyeaux hingegen sind die Fotos unwiderlegbare Indizien. «Die einzige Frage, die ich mir stelle, ist die nach der Authentizität der Daten.» Auf den Screenshots werde das Wort «Routing» verwendet und es würden Wetterkommentare ausgetauscht, sagte der Franzose in einem Interview.
Die Rennleitung der Vendée Globe ist strikt – eine «Lex Stamm» kam nicht zustande
Die Rennleitung der Vendée Globe ist für die strikte Anwendung ihres Reglements bekannt. Das musste auch der Schweizer Hochseesegler Bernard Stamm erfahren. 2013 wurde der Waadtländer disqualifiziert, weil ihm zwei Matrosen eines russischen Forschungsschiffes gegen seinen ausdrücklichen Willen beim Ankermanöver für einen Reparaturstopp in einer neuseeländischen Bucht geholfen hatten. Obschon der Vorfall unbeobachtet blieb, meldete der Segler die Aktion. Trotz einer grossen Solidaritätswelle der meisten Vendée-Globe-Segler wurde Stamm vom Rennen ausgeschlossen. Eine «Lex Stamm», wie sie damals aus Seglerkreisen gefordert wurde, um solche Situationen mit Nachsicht behandeln zu können, kam danach nicht zustande.