Für die Zürcher FDP und SVP gehen die Aufgaben der neuen Fachstellen zu weit. Laut Gesetzentwurf sollen sich diese auch um Schulkultur und interdisziplinäre Zusammenarbeit kümmern.
Marc Bourgeois ist nicht zu beneiden. Der FDP-Kantonsrat musste gegenüber dem Zürcher Parlament am Montag einmal mehr betonen, dass seine Partei nicht gegen die Unterstützung von Jugendlichen in Krisenphasen sei. «Für die FDP spricht nichts gegen die Einführung von Schulsozialarbeit an Mittelschulen und Berufsfachschulen», sagte der Bildungspolitiker zu Beginn der Debatte über die Änderung des Mittelschul- und Berufsbildungsgesetzes.
Nur: Muss es immer die Maximallösung sein – in Zeiten, da der Kanton den Bau neuer Schulhäuser aus finanziellen Gründen vertagen muss, wie beim geplanten Gymnasium in Affoltern am Albis kürzlich geschehen?
Bourgeois ermahnte seine Kolleginnen und Kollegen im Plenum: «Mit diesem Gesetz bestellen wir verbindliche Leistungen.» Und für seine Partei ist klar: Einmal bestellt, wird man diese staatlichen Leistungen und die damit verbundenen Kosten nicht mehr los – erst recht nicht, wenn die entsprechenden Stellen dazu von der Bildungsdirektion eingefordert werden. Da schiesse der Personalausbau am schnellsten in die Höhe, sagte Bourgeois. Fürs kommende Jahr hat die Direktion von Silvia Steiner (Mitte) laut Bourgeois 615 zusätzliche Stellen budgetiert. Das sind mehr als die Hälfte aller neuen kantonalen Stellen.
Die Sache mit der Schulkultur
Und jetzt also sollen auch Lehrlinge und Gymnasiasten bei persönlichen Schwierigkeiten ebenfalls Hilfe von Fachpersonen bekommen. In Primar- und Sekundarschulen gibt es Schulsozialarbeit schon lange. Und wie von Bourgeois erwähnt, halten es auch die FDP und Teile der SVP grundsätzlich für eine gute Idee, solche Anlaufstellen auch an Berufsfachschulen und Mittelschulen einzurichten. Schliesslich berichten immer mehr Jugendliche von psychischen Problemen, von zu viel Leistungsdruck, von Mobbing und Belästigungen in Schule und Beruf. Viele fühlen sich alleingelassen.
Es ist unbestritten, dass die Politik hier mehr tun muss. Das zeigt sich auch daran, dass der Regierungsrat der kantonalen Volksinitiative «Gesunde Jugend jetzt!» zugestimmt hat. Das Begehren verlangt, dass Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen rasch behandelt werden. Der Kantonsrat hat die Initiative im vergangenen November angenommen – ohne eine einzige Gegenstimme. Und so mag es nicht erstaunen, dass sich dieser Geist auch in der Vorlage widerspiegelt, über die das Parlament am Montag in erster Lesung zu beraten hatte.
Doch wie so oft in der Politik ist es mit der Einmütigkeit vorbei, sobald es um Details geht. Die Bruchlinie zwischen FDP und SVP einerseits und den übrigen Parteien andererseits liess sich recht genau verfolgen. Sie verlief zwischen dem zweiten und dem dritten von vier Punkten des entscheidenden Gesetzesartikels, der die Aufgaben der künftigen Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter beschreibt. Diese sollen Folgendes umfassen:
- Unterstützung und Beratung von einzelnen Schülerinnen und Schülern.
- Unterstützung und Beratung von Gruppen von Schülerinnen und Schülern, von Klassen oder von der Schulgemeinschaft.
- Unterstützung und Beratung der Schulleitung und der Lehrpersonen namentlich bei der Förderung einer Schulkultur des gegenseitigen Respekts.
- Stärkung der interdisziplinären Zusammenarbeit durch inner- und ausserschulische Vernetzung.
Marc Bourgeois, der wackere Referent der FDP, hielt in seinem Votum fest: Gegen die ersten beiden Aufgaben sei nichts einzuwenden – sofern man davon absehe, dass «Schulgemeinschaft» luftig formuliert sei. Schwierig werde es vor allem danach: Schulkultur fördern? Zusammenarbeit stärken?
Bourgeois betonte: «Schulkultur ist Aufgabe der Schulleitung.» An der Schulkultur könne man beliebig lange feilen, zum Beispiel mit einem Schultheater. Oder was der Schulsozialarbeit sonst noch in den Sinn komme. «Damit kann das Angebot die Nachfrage bestimmen. Dabei sollte es umgekehrt sein», sagte Bourgeois. Und auch die vierte Aufgabe – mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit durch inner- und ausserschulische Vernetzung – könne beliebig ausufernd gestaltet werden. Die Folge: noch mehr Sitzungen für Lehrerinnen und Lehrer, noch weniger Zeit fürs Kerngeschäft der Schule – guten Unterricht.
Rochus Burtscher war weniger diplomatisch. «Hier werden Doppelfunktionen geschaffen und die Sozialindustrie ausgebaut», sagte der SVP-Vertreter. Rektoren, die auf Schulsozialarbeiter angewiesen seien, um ihre Führungsaufgaben zu erfüllen, sollten schnellstmöglich den Job aufgeben.
23 neue Stellen an den Gymnasien
Die Warnungen der beiden bürgerlichen Votanten verhallten jedoch ungehört. Die Änderungsanträge von FDP und SVP wurden abgewiesen. Ebenso abgelehnt wurden Anträge der SP und der Grünen, die den Geltungsbereich der neu zu schaffenden Schulsozialarbeit auf die Kantonale Maturitätsschule für Erwachsene und die Berufsmaturitätsschule ausweiten wollten.
Nichts wissen wollte die Ratsmehrheit auch von einer Ergänzung, die SP und Grüne einbrachten: Gemäss Gesetzesvorlage sollen Mittelschulen und Berufsfachschulen lediglich für ein «Angebot» an Schulsozialarbeit sorgen und nicht für ein «ausreichendes Angebot», wie sich dies Rot-Grün gewünscht hätte.
An den 21 Zürcher Gymnasien soll das Vorhaben insgesamt rund 4 Millionen Franken kosten pro Jahr. Laut Karin Fehr (Grüne) von der Bildungskommission sind 23 neue Vollzeitstellen vorgesehen. Das Geschäft geht nun in die Redaktionskommission des Kantonsrats.