Verkehrsbetriebe wollen Liniennetze verdichten und Randgebiete mit Shuttlebussen via App bedienen. Mit Fahrzeugen, die autonom, fahrerlos, unterwegs sind. Denn Personal ist rar und teuer. Doch die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs hat Verspätung.
Der Pionier lockte seit 2017 Experten und Kamerateams aus aller Welt nach Bad Birnbach in Niederbayern. In dem Kurort, später auch bis zum ausserhalb gelegenen Bahnhof, funktionierte der erste öffentliche Linienverkehr mit autonomen Kleinbussen.
Kleine Siebensitzer mit Elektroantrieb, gelegentlich als «Golf-Karts mit Dach» verspottet, bedienten einen knapp drei Kilometer langen Kurs ohne Fahrer hinter einem nicht vorhandenen Lenkrad. An Bord war aber stets der Operator, der von der gegenwärtigen Gesetzeslage geforderte «Sicherheitsfahrer» – für den Fall, dass Software und Sensorik auf der beschaulichen Fahrt mit maximal 17 km/h menschliches Not-Handeln erforderlich machen sollten.
Autonomer Verkehr läuft weltweit bis jetzt nur mit Ausnahmegenehmigungen und Aufsichtspersonal. Tatsächlich ohne Fahrer sind die sogenannten Robotaxis der Google-Tochter Waymo in San Francisco unterwegs, weitere Testbetriebe gibt es auch in China.
In Bad Birnbach ist die Zukunft erst einmal vorbei. Zum Jahresende wurden die autonomen Shuttlebusse aus dem Verkehr gezogen. Der französische Fahrzeughersteller Easymile will aus dem teuren Geschäft der Personenbeförderung aussteigen.
Ohne die weitere technische Betreuung durch den Lieferanten trauten sich die Projektpartner von der Deutschen Bahn über kommunale Institutionen bis hin zur Ludwig-Maximilians-Universität München und zu den renommierten Fraunhofer-Forschern den weiteren Betrieb in Bad Birnbach nicht zu.
Auch das Geld war knapp geworden, und die weitere Finanzierung ist unsicher. Immerhin kostete der fahrerlose Busverkehr jährlich sechsstellige Beträge. Wie es weitergeht, ist unklar. Erst einmal gibt es wieder klassischen Linienverkehr mit Busfahrer.
Das Ende ist kein Einzelfall. So verzeichnet ein Report des internationalen Forschungs- und Entwicklungsdienstleisters IDTechEx, dass sich weltweit die Zahl der Roboshuttle-Entwickler in den letzten Jahren halbiert habe – auf ganze zwölf Player. Hohe Kosten, leere Staatskassen – und das Restrisiko, ob und wann fahrerloses Busfahren im Strassenverkehr tatsächlich sicher möglich ist, bremsen den Elan.
So zog sich etwa der Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen zurück. «Die hohen Vorinvestitionen sind nicht mehr gerechtfertigt, da sich der Markt langsamer entwickelt als erwartet», heisst es bei ZF. Auch der Wettbewerber Schaeffler shuttelt nicht mehr im Linienverkehr. 2023 hatte er noch eine Kooperation mit dem niederländischen Bushersteller VDL angekündigt.
Das Berliner Bundesverkehrsministerium dagegen verweist in seinem Strategiepapier «Die Zukunft fährt autonom» auf Aussagen von Fachleuten. Diese rechneten bei einer Marktreife der Fahrzeuge und ihrer Komponenten mit «Einsparungen im Linienbetrieb von 30 bis 40 Prozent».
Echte Linienbusse sollen bald autonom fahren
Nicht alle geben auf. Ein Neubeginn mit einer nächsten Fahrzeuggeneration startet in Burgdorf in der Region Hannover. Das «Albus»-Projekt will drei Fünfzigsitzer auf die Strasse stellen, die sich zunächst mit Fahrer, später autonom immerhin mit bis zu 40 km/h durch den Stadtverkehr schlängeln sollen. Es sind keine kantigen Kabinenroller wie die ersten Prototypen, sondern typische elektrische Linienbusse des türkischen Autobauers Karsan, mit amerikanischer Hightech zum autonomen Fahren aufgerüstet. Die ersten Fahrzeuge dieser Art sind schon in Norwegen unterwegs, auch hier mit Begleitpersonal.
Im Kanton Zürich versuchen die SBB, dörfliches Land besser an die S-Bahn anzubinden. In diesem Jahr soll zunächst der Testbetrieb im stillen Furttal in den Gemeinden Otelfingen, Boppelsen, Hüttikon und Dänikon beginnen. Ein rechnergestütztes Rufbus-System, ein sogenannter On-demand-Service, bietet in den Orten einen taxiähnlichen Dienst zum ÖV-Tarif von der Haustür bis zum nächsten Bahnhof der Linie S 6 zwischen Zürich und Baden. Auf die Bestellung kommt jedoch kein Bus, sondern ein japanischer Mittelklassewagen, mit Elektroantrieb und Technik für autonomes Fahren – sowie mit Sicherheitsfahrer. Die Firma Weride aus dem chinesischen Guangzhou liefert die Technologie.
In anderen Dimensionen denkt die Millionenmetropole Hamburg. Dort wird schon seit Jahren mit dem «Alike»-Projekt ausprobiert, wie man den Marktanteil des öffentlichen Verkehrs, den sogenannten Modal Split, deutlich erhöhen kann, um die Staus auf der Strasse auszudünnen. «Jeder Pkw, der ungenutzt stehen bleibt, zählt», so bringt es die Sprecherin Julia Lindemann auf den Punkt.
Eine Idee ist auch hier, den Zugang zu den Liniennetzen von Bussen und Bahnen mit Zubringerdiensten zu erleichtern. Das anspruchsvolle Ziel: Jeder Hamburger soll höchstens fünf Minuten zu Fuss bis zum nächsten öffentlichen Verkehrsangebot gehen müssen. An mehreren tausend über das Stadtgebiet verteilten Shuttlebus-Haltestellen soll die on demand buchende Kundschaft ein- oder aussteigen können.
In einer dreijährigen Erprobungsphase, die vom Bundesverkehrsministerium mit einem zweistelligen Millionenbetrag gefördert wird, startet das «autonome On-demand-Ridepooling» mit bis zu 20 Fahrzeugen in einem Betriebsgebiet von 37 Quadratkilometern.
Ridepooling bedeutet rechnergesteuerte Bündelung von Fahrtwünschen und ist damit eine moderne Form des Sammeltaxis. Bei jeder Bestellung sollen dank Computerhilfe Fahrgäste zur gemeinsamen Fahrt eingesammelt werden: So hoffen die Projektpartner, allen voran das Hamburger Nahverkehrsunternehmen Hochbahn, in lohnender Grössenordnung Kunden zum Umsteigen vom Auto in Busse und Bahnen zu bewegen. Ob das gelingt? Fachleute wie Professorin Barbara Lenz, langjährige Chefin des Instituts für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), geben zu bedenken: «Nicht jede und jeder, der beim Ridepooling einsteigt, landet schliesslich im klassischen öV. Bei einem Modellversuch in Berlin hat sich gezeigt, dass nur etwa die Hälfte der Fahrgäste den Shuttle wirklich als Zubringer nahmen, während die andere Hälfte das komfortable Transportangebot wie ein Taxi bis zu ihrem Ziel nutzten, auch wenn es teurer war als das Ticket für Bus und Bahn.»
Hamburg setzt auf autonome Kleinbusse
Das Angebot soll künftig auf der Autonomiestufe 4 funktionieren. Das bedeutet dann tatsächlich fahrerlos, bei einer Betriebsüberwachung von einer Zentrale aus. Das Hamburger Shuttleangebot ist zweigeteilt. Ein Partner ist der Volkswagen-Konzern, der mit seiner Technologietochter Moia vorerst bis zu zehn ID.Buzz-Vans mit Elektroantrieb einsetzt.
Der zweite Betreiber ist die Hochbahn selbst mit Fahrzeugen der in Paderborn ansässigen Firma Holon, einer Tochter des Automobilzulieferers Benteler. Holon ist auch der Name des zweiten Fahrzeugtyps für die Testphase in Hamburg, vom Hersteller gepriesen als «autonomer Mover» mit weltweiten Marktchancen. Das Gefährt mit batterieelektrischem Antrieb bietet Platz für fünfzehn Fahrgäste, ist barrierefrei und soll mit bis zu 60 km/h im Stadtverkehr mitrollen können.
Am Ende würden mehrere tausend Fahrzeuge in Hamburg eingesetzt – so das Ziel. Barbara Lenz sieht grundsätzlich die Herausforderung für die Verkehrsunternehmen, überhaupt autonome Fahrzeuge für den Betriebsalltag des Nahverkehrs zu bekommen: «Wer keine grossen Zahlen nennt, wird die Automobilindustrie nicht begeistern.»
Jan Brandstetter, beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) Experte für den autonomen Busbetrieb, bestätigt: «Die deutsche Busindustrie hat Nachholbedarf. Die grossen Hersteller unserer Linienbusse haben zu geringes Interesse an der Entwicklung autonomer Fahrzeuge für die Verkehrsbranche. Wir müssen aufpassen, dass wir in Deutschland in diesem Feld unseren Ingenieursgeist nicht verlieren.»
In der Tat ist der Markt – Laser, Lidar, Sensorik und Software – fest in amerikanischer und chinesischer Hand. «Hierzulande wird bei den Pilotprojekten immer dieselbe Technologie eines Herstellers ausprobiert. Da findet kein Wettbewerb der Systeme statt», beobachtet Lenz. Angesichts des Fahrermangels sei eine Automatisierung des Linienverkehrs wünschenswert. Eine Verdichtung der Fahrpläne und ihre Ausdehnung auf nächtliche Stunden und Wochenenden liessen damit weiterhin auf sich warten.
Kaum eine Metropole in Deutschland, die nicht auf den autonomen Bus aufgesprungen ist, auch in der Schweiz, etwa in Sitten, Freiburg, Zug oder Schaffhausen. Es gibt etliche Projekte mit futuristisch klingenden Namen – fast immer sind es Anglizismen. Aber alle befinden sich bis jetzt nur in Versuchsphasen und warten zuweilen mit phantasievollen Ideen auf. Zum Beispiel «Platooning»: Da fährt ein klassischer Linienbus voraus, und über eine Art virtuelle Deichsel reihen sich fahrerlose Gefässe dahinter ein, um den Fahrgästen auf der Linie mehr Platz zu bieten.
Versuche dafür gibt es auch ausserhalb der öffentlichen Strassen, in Hochschularealen oder rund um das Berliner Klinikgelände der Charité. Das plant jetzt auch der Flughafen Zürich. Mit einem Neunsitzer-«Robobus» soll ein innerbetrieblicher Personal-Shuttle-Verkehr aufgebaut werden, auch hier mit der chinesischen Weride-Technologie.
Die Zeit der Pilotbetriebe mit kleinen, langsamen Fahrzeugen wie in Bad Birnbach, etwa auch im Dorf Keitum auf der Ferieninsel Sylt oder in dem Städtchen Monheim am Rhein zwischen Düsseldorf und Köln, scheint zu Ende zu gehen. Die Begeisterung lässt allenthalben nach.
Das liegt nicht nur am Rückzug des Herstellers Easymile und an den hohen Kosten der Systeme, sondern auch an der Erkenntnis, dass «wir ein Qualitätsniveau bei den Shuttles benötigen, welches es momentan noch nicht überall gibt», sagt der VDV-Mann Brandstetter. «Die Fahrzeuge müssen zum Beispiel schon jetzt einsatzfähig für Level 4 sein», fordert er. Sinnvolle Betreiber- und Geschäftsmodelle des autonomen Fahrens seien aber eine Chance, in den alternden Gesellschaften trotz dem Mangel an Fahrerpersonal angemessene Mobilität zu erhalten. Allerdings nicht zum Nulltarif: «Es wird sich die Frage stellen, wie viel uns das wert ist und was wir uns leisten können.»
Wann tatsächlich Busse fahrerlos unterwegs sein werden, weiss noch niemand genau. Immer wieder äussern sich Optimisten, wie etwa der Chef des deutschen Kraftfahrtbundesamtes, der in einem Zeitungsinterview kühn behauptete: «2026, spätestens 2027 werden selbstfahrende Robobusse in den ersten Städten in Deutschland unterwegs sein.»
Der dem Automobil mit Sympathie zugewandte ADAC hingegen bleibt zurückhaltend: «Die zu entwickelnde Technik aufseiten der Autohersteller wie auch die Rechtslage aufseiten der Gesetzgebung waren und sind offenbar komplexer als gedacht.»