Daniel Grieder, der Chef von Hugo Boss, hat zusammen mit René Benko Pläne für ein internationales Mode-Imperium geschmiedet. Hat er dabei gegen Regeln verstossen?
«Projekt Tango». Mit dieser Betreffzeile wandte sich Daniel Grieder, CEO des deutschen Modeherstellers Hugo Boss, im März 2023 mit einer E-Mail an René Benko. Er schlug dem österreichischen Immobilieninvestor den Aufbau einer «Fashion Investment Group» vor. Neben einem Anteil an Hugo Boss sollte die Gesellschaft auch noch Beteiligungen an weiteren Unternehmen übernehmen und so eine Investmentgesellschaft für Mode aufbauen.
Der Aufbau dieser Modegruppe, über welche die beiden österreichischen Medien «News» und «Krone» zuerst berichteten, hätte in drei Phasen erfolgen sollen. Zuerst hätten mehrere Personen rund um Grieder zu Ankerinvestoren von Hugo Boss werden sollen. Zu diesem Zweck hätte die Gruppe über die Börse Anteile an der Modefirma erworben.
In einem zweiten Schritt hätten Minderheitsbeteiligungen an Firmen wie Adidas aufgebaut oder andere Modehersteller wie Bally oder Bogner vollständig übernommen werden sollen. Nach seinem Ausscheiden als CEO von Hugo Boss hätte Grieder dann die Führung der Gruppe übernehmen und weitere Investitionsziele identifizieren sollen. Das geht aus einer Präsentation hervor, die der NZZ vorliegt.
Ein Headhunter als Strippenzieher
Für den operativen Aufbau der Fashion Investment Group, inklusive des Einsammelns der Hugo-Boss-Aktienpakete, wären laut der E-Mail Christoph Zeiss und Martin Weckwerth zuständig gewesen. Sie hätten auch finanziell an der Investmentgesellschaft beteiligt werden sollen.
Zeiss ist Headhunter und hat Grieder zu Hugo Boss vermittelt. Weckwerth war schon einmal im Verwaltungsrat des Modeherstellers, und Grieder wollte ihn erneut als Verbündeten in das Gremium holen, «damit ich die Beschlüsse schneller durchziehen kann», wie er Benko schreibt.
In der E-Mail drängt Grieder Benko auf eine möglichst rasche Umsetzung. Am Investorentag von Hugo Boss am 12. Juni 2023 werde er die erweiterte Strategie verkünden: Statt wie bis anhin einen Umsatz von 4 Milliarden will er einen von 5 Milliarden Euro erzielen und 12 Prozent Ebit-Marge bis 2025. «Das wird den Aktienkurs extrem hochtreiben, denke ich», schreibt der Hugo-Boss-Chef in der Nachricht, welche der NZZ ebenfalls vorliegt.
Höchst unübliches Vorgehen
Dass Grieder und Benko eine Zusammenarbeit planten, wusste bis vor kurzem niemand. Fest steht hingegen, dass sich die beiden schon seit einigen Jahren kennen und Grieder ein Chalet in Lech hat, nicht weit von Benkos Chalet N entfernt. Benko war auch Gast an Grieders Hochzeit am Gardasee im Herbst 2022, wie der «Blick» damals berichtete.
Grieder wäre auch nicht der einzige Schweizer, der mit René Benko Geschäfte machte. Der gescheiterte Immobilieninvestor, dessen Signa-Holding im November 2023 Konkurs anmelden musste, zählte unter anderem Ernst Tanner von Lindt & Sprüngli oder den Kaffeemaschinenhersteller Arthur Eugster zu seinen Investoren.
Im Frühling 2023, als sich Grieder mit der Idee für die Fashion Investment Group an Benko wandte, waren dessen Investoren und Gesellschafter jedoch bereits zunehmend auf der Hut. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei Signa nahmen zu. Benko war ständig auf der Suche nach frischem Geld, ohne seinen Investoren genaue Angaben zu machen, wofür das Geld gebraucht wurde.
Und genau dann kam diese Idee der Fashion Investment Group. Für Aussenstehende sind die darin geäusserten Pläne schwer durchschaubar: Wollte der CEO seinen Arbeitgeber quasi durch die Hintertür übernehmen? War das ein Geheimprojekt des CEO, oder war der Aufsichtsrat des Modeherstellers informiert? Und: Enthält diese E-Mail von Grieder an Benko möglicherweise börsenrelevante Informationen, die nicht an Dritte hätten verschickt werden dürfen?
Börsenrelevanz unklar
Ob es sich dabei um börsenrelevante Informationen gehandelt hat, lässt sich ohne detailliertere Informationen von aussen schwer feststellen, wie mehrere Kapitalmarktexperten der NZZ im Gespräch erklären. Ob die Weitergabe von Informationen im Zusammenhang mit einem möglichen Investment geschehen sei, das dann später nicht stattgefunden habe, spiele für die Beurteilung allerdings keine Rolle. Insiderdelikte müssten nicht zu einer Bereicherung des Täters oder eines Dritten führen.
Mitte Juni 2023 hat Hugo Boss tatsächlich eine erweiterte Strategie verkündet, die ein Umsatzziel von 5 Milliarden Euro und eine Ebit-Marge von mindestens 12 Prozent vorsieht. Die Publikation dieser neuen Ziele wurde vom Unternehmen selber jedoch offenbar nicht als relevant für den Börsenkurs eingestuft: Es gab zwar eine Finanzpublikation, aber keine Ad-hoc-Mitteilung.
Die deutsche Finanzmarktaufsicht Bafin will sich auf Anfrage zu einem Einzelfall nicht äussern. Allgemein lasse sich aber sagen, dass die unbefugte Weitergabe von Insiderinformationen untersagt und strafrechtlich verfolgt werde.
Geheimplan oder nicht?
Was die Frage nach einem möglichen Geheimplan anbelangt, hat Hugo Boss gegenüber der NZZ Stellung genommen. Es habe weder 2023 noch zu einem anderen Zeitpunkt «geheime Pläne» seitens Herrn Grieder gegeben, erklärte die Unternehmenssprecherin auf Anfrage. «Selbstverständlich waren seinerzeit alle relevanten internen Stellen bei Hugo Boss stets über die beschriebenen ersten Überlegungen bzw. Ideen informiert, die im Übrigen nie – weder wie beschrieben noch anders – weiterverfolgt oder auch nur ansatzweise umgesetzt wurden.»
Wer die relevanten internen Stellen genau sind, wollte die Sprecherin nicht präzisieren. Es ist davon auszugehen, dass damit im Mindesten der Vorsitzende des Aufsichtsrats und die Familie Marzotto, mit 15 Prozent grösste Aktionärin von Hugo Boss, gemeint sind. Möglicherweise auch noch der stellvertretende Vorsitzende als oberster Vertreter der Arbeitnehmerseite.
Ein Vertreter der Familie Marzotto wollte gegenüber der NZZ nicht Stellung nehmen. Dass die Marzottos gemeinsam mit Daniel Grieder noch weitere Pläne verfolgten, ist allerdings denkbar. Bereits bei der Verpflichtung des Schweizer Managers, den die Familie von Tommy Hilfiger abgeworben hatte und der den Modehersteller seit Sommer 2021 führt, war die Idee, dass er sich ebenfalls an Hugo Boss beteiligen kann.
Dazu vereinbarten die Parteien ein Abkommen, eine sogenannte CEO Investment Opportunity. Diese Vereinbarung hatte zum Ziel, «einen Anreiz für eine deutliche und nachhaltige Kurssteigerung der Hugo-Boss-Aktie zu setzen», wie im Jahresbericht 2022 dargelegt ist. Der Aufsichtsrat habe diese Vereinbarung in einer Sitzung erörtert und ihr zugestimmt, da er keine Interessenkonflikte darin gesehen habe, heisst es darin weiter.
Die Frage, warum die skizzierten Pläne mit René Benko nicht umgesetzt wurden, kommentiert Hugo Boss nicht. Allerdings gibt es gute Gründe, warum das Projekt nicht weiterverfolgt wurde, denn sowohl aufseiten von Hugo Boss als auch bei René Benko ging es ab Herbst 2023 rapide nach unten.
Bei Benko zerschlug sich die Hoffnung, doch noch neue Investoren für seine Signa-Gruppe zu finden, so dass die Signa-Holding im November 2023 Insolvenz anmelden musste. Bei Hugo Boss wiederum war es der allgemeine konjunkturelle Gegenwind, der das zuvor stark wachsende Unternehmen plötzlich bremste. Kaum waren die Ziele nach oben revidiert, begann die Konsumflaute in China, und der Aktienkurs begann zu bröckeln. Auch gegenwärtig muss Grieder unter den Anlegern noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Allein seit Jahresbeginn hat die Hugo-Boss-Aktie fast die Hälfte ihres Wertes verloren.
Gewerkschaft fordert Aufklärung
Aber auch wenn die Fashion Investment Group, wie von Hugo-Boss-Seite betont, nicht mehr als eine Idee gewesen sein sollte: Die Unruhe ist möglicherweise noch nicht beigelegt. Die IG Metall Reutlingen-Tübingen fordert «Aufklärung» von Hugo Boss, wie die «Wirtschaftswoche» berichtet. Wenn tatsächlich «alle relevanten internen Stellen» bei Hugo Boss eingeweiht gewesen seien, bleibe die Frage, warum die Gewerkschaft, die auch im Aufsichtsrat vertreten sei, offenbar aussen vor gelassen worden sei.
Am kommenden Dienstag ist Aufsichtsratssitzung bei Hugo Boss. Es könnte ein zusätzliches Traktandum geben.