Die Hugo-Boss-Aktie hat den tiefsten Stand seit Herbst 2022 markiert. Dabei steckt Deutschlands Vorzeige-Modemarke mitten im Wandel zum gehobenen Streetwear-Anbieter und ist moderat bewertet. Lohnt der Kauf?
Frankreich hat LVMH und Hermès, Italien Gucci und Armani, die Schweiz Richemont und Swatch Group. Und Deutschland? Die Bundesrepublik kann bei Glamour-Faktor und Bewertung nicht mit den europäischen Luxuskonzernen mithalten. Hugo Boss aus Baden-Württemberg ist noch die zugkräftigste gehobene Marke.
In den jüngsten Kampagnen tragen die US-Influencerin Kendall Jenner, das Model Hailey Bieber oder der US-Tennisstar Taylor Fritz die Erzeugnisse des Unternehmens. Die Botschaft scheint klar: Die elegante Männermodemarke strebt nach internationaler Geltung – und einer jüngeren Zielgruppe, die eher Kapuzenpulli trägt als Herrenanzug. Das könnte insbesondere dem Geschäft in den USA aufhelfen, wo Hugo Boss lange nur als Hersteller von Anzügen bekannt war.
Bislang hat die Strategie durchaus Erfolg: Der Anteil etwas angestaubter Formalwear am Umsatz ist deutlich gesunken, von 35 bis 40% vor der Pandemie auf zuletzt noch 25%. Anleger können mit der Hugo-Boss-Aktie daher gewissermassen vom Tod der Krawatte profitieren.
Dabei ist die Historie des Unternehmens als Herrenschneider alter Schule bemerkenswert lang. Im Jahr 2024 jährt sich die Gründung des Unternehmens durch Hugo Ferdinand Boss in Metzingen zum hundertsten Mal. In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg noch auf Arbeitskleidung spezialisiert, begann Boss in den Fünfzigerjahren mit der Fertigung von Herrenanzügen. In den folgenden Jahrzehnten gelang die stetige Expansion auch auf dem internationalen Markt.
Hoch volatiles Investment mit Private-Equity-Vorgeschichte
Dass das Investment in Modeaktien am Ende indes eine so gewagte Wette sein kann wie die Vorhersage des nächsten Fashion-Trends, beweist die Entwicklung der Anteilsscheine von Hugo Boss. Bei derzeit knapp 50 € notieren sie in etwa auf dem Niveau von 2007.
Damals, im Jahr 2007, hatte die Private-Equity-Gesellschaft Permira einen Mehrheitsanteil an Hugo Boss erworben. Während der Finanzkrise bis 2009 sackte der Kurs in den einstelligen Bereich ab, in den folgenden sechs Jahren verzehnfachte er sich. Bei 120 € markierte Boss im Frühjahr 2016 ein Höchst, das bis heute Bestand hat. Vier Jahre später – auf dem Höhepunkt der Coronakrise – hätten investierte Anleger dann bei einem Kurs von noch 23 € wiederum einen Einbruch von 80% hinnehmen müssen.
Nicht nur die pandemiebedingte Schliessung von Läden, auch die eher kurz- als langfristige Wertmaximierung der Private-Equity-Manager hatte tiefe Spuren hinterlassen. «Nach dem Ausstieg von Permira 2015 und einer Zeit der zu geringen Investitionen hatte Hugo Boss Schwierigkeiten, relevant zu bleiben», urteilten die Analysten von UBS 2023 im Rückblick.
Dauerhafte Besserung brachte erst der 2021 angetretene, aus der Schweiz stammende Unternehmenschef Daniel Grieder.
Der Wachstumsplan von CEO Daniel Grieder
Im Sommer 2021 verkündete Grieder seine Wachstumsstrategie «Claim 5» mit dem Ziel, den Umsatz bis 2025 auf 4 Mrd. € zu verdoppeln und die operative Marge auf Ebene Ebit auf rund 12% zu steigern. Teil des Plans waren höhere Marketingausgaben. Noch wichtiger war aber die Neupositionierung der Marken mit dem Ziel, den Anteil von traditionellen Anzügen zu senken.
Die aufgelockerte Produktpalette sollte insbesondere den Geschäftsanteil in den USA steigern. Der war zwischen 2016 und 2022 von 22 auf 18% des Umsatzes gefallen. In den USA war Hugo Boss lange Zeit hauptsächlich für Formalwear bekannt, konstatierten die UBS-Analysten im Juni 2023, als sie die Aktie mit einer Kaufempfehlung neu in ihr Research aufnahmen. «2023 ist erst das zweite Jahr des Marken-Relaunch, und Hugo Boss gewinnt immer noch an Präsenz bei Mehrmarken-Einzelhändlern und Onlineplattformen durch das breitere Angebot an Casualwear und Damenbekleidung», so die Argumentation.
Das Ergebnis: Seit 2020 konnten die Metzinger in jedem Geschäftsjahr zweistelliges Wachstum präsentieren. 2023 legte der Umsatz 15% auf 4,2 Mrd. € zu. Der Gewinn kletterte 23% auf 258 Mio. € – der höchste Überschuss der Konzerngeschichte. Entsprechend beeilte sich der Aufsichtsrat, Grieders eigentlich erst Ende 2026 auslaufenden Vertrag schnell um zwei Jahre bis Ende 2028 zu verlängern.
Niedrigere Wachstumsziele lassen Boss-Aktie abstürzen
Also alles eitel Sonnenschein am Fuss der Schwäbischen Alb? Nicht, wenn man die Börse betrachtet. Bei weniger als 50 € notierte die Boss-Aktie zuletzt auf dem tiefsten Stand seit 2022. Seit Sommer 2023 war ein Kurseinbruch von einem Drittel des Börsenwerts zu beklagen.
Die Kursentwicklung bei Hugo Boss ist seit November 2023 auch entkoppelt von der von Ralph Lauren, obwohl beide Unternehmen in ähnlichen Marktsegmenten positioniert sind. Der weitere Rivale Tommy Hilfiger ist nicht kotiert.
Wie passt das zusammen: Die Geschäfte wachsen nachhaltig, aber Boss hat so gar nicht an der rasanten Rally der deutschen Aktienmärkte partizipiert?
Die Erklärung liefert der schicksalhafte 7. März 2024, an dem die Aktie 18% an Wert einbüsste und dabei den schwersten Tagesverlust seit 2016 erlitt. Der Grund: Bei der Bilanzvorlage für 2023 musste CEO Grieder eingestehen, dass das zweistellige Wachstum fürs Erste der Vergangenheit angehören dürfte. So soll der Konzernumsatz dieses Jahr noch zwischen 3 und 6% zulegen – deutlich weniger als vom Markt erhofft. Und mehr noch: «Vor dem Hintergrund der anhaltenden makroökonomischen und geopolitischen Unsicherheiten könnte sich die Erreichung des Umsatzziels für das Jahr 2025 in Höhe von 5 Mrd. € leicht verzögern», teilte der MDax-Konzern mit.
Erst im Juni 2023 hatte Grieder das mittelfristige Umsatzziel von 4 auf 5 Mrd. € angehoben. Die irrlichternde Kommunikation des Unternehmens schmälerte das Vertrauen und trug schliesslich zur Entwicklung an der Börse bei.
Analysten senken reihenweise den Daumen
Die Folge: Die geballte Ladung an schlechter als erwartet ausfallenden Prognosen wurde von Anlegern in Form immer tieferer Notierungen hart bestraft. Die noch ein Dreivierteljahr zuvor so zuversichtliche UBS senkte am 10. April ihre Einschätzung von «Kaufen» auf «Neutral». Noch immer glauben die Analysten, dass Hugo Boss bis 2029 mit 6% Umsatzplus pro Jahr doppelt so schnell wachsen wird wie der Durchschnitt der Wettbewerber wie Ralph Lauren und Tommy Hilfiger. Dies werde jedoch nicht ausreichen, um den Gegenwind für die Branche zu kompensieren. In wichtigen Märkten wie Grossbritannien und China seien die Konsumenten allgemein zurückhaltend.
Hinzu kämen Preiskämpfe in der Branche. UBS schätzt, dass Hugo Boss, Ralph Lauren und Tommy Hilfiger im ersten Quartal 2024 teils mehr als 30% Rabatt für ihre Produkte gewährt haben. Das gefährde die Marge. UBS geht für 2025 nurmehr von 11,2% Ebit-Marge aus. Weniger als die von Grieder in Aussicht gestellten 12%, aber immer noch eine Verbesserung zu den knapp 10% des Jahres 2023.
Fazit: Chance für geduldige Langfristinvestoren
Wer Geduld mitbringt, kann möglicherweise ein Schnäppchen machen in Metzingen. Optisch erscheint die Aktie zumindest attraktiv: Der einzige deutsche Modeartikler von Weltrang bringt es bei der Marktkapitalisierung noch auf 3,4 Mrd. €. Der Titel wird mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von lediglich 12 für 2024 bewertet und damit niedriger als Dax und MDax.
Das ist auch im Vergleich zur Konkurrenz attraktiv. Für die Valoren von Ralph Lauren zahlen Anleger derzeit sechzehnmal den für 2024 erwarteten Gewinn je Aktie. Und Boss’ Dividendenrendite von 2,75% liefert ein zusätzliches Argument, zumal das Management langfristig eine Ausschüttungsquote von bis zu 50% des Gewinns in Aussicht stellt (derzeit sind es 36%).
Was spricht dann eigentlich gegen einen Einstieg unter 50 €? Der Chart und die Marktstimmung. Nach dem Kursrutsch sind nun charttechnisch wichtige Unterstützungsmarken in den Fokus gerückt: Gleich zwei Mal hielt 2022 die Marke von 45 bis 46 €. Würde sie dieses Mal gerissen werden, droht wegen fehlender Unterstützungen ein weiterer Ausverkauf.
Fundamental erscheinen Bekleidungshersteller in Zeiten eines wirtschaftlichen Abschwungs zudem verzichtbar. Klemmt das Portemonnaie, müssen das kleine Schwarze oder das neue Sakko eben noch eine Saison warten. Das Schicksal kennen andere Mode- und Luxusgüteranbieter, von Estée Lauder bis zu Puma, der derzeit an der Börse ähnlich viel Skepsis begegnet. Das Beispiel des Sportartikelherstellers beweist: Nach einem Absturz folgt selten genug die schnelle Trendwende.
Hugo Boss wäre allerdings dafür prädestiniert. Die Gründe für ein Wachstum über dem Durchschnitt des Segments Premium Apparel sind noch immer gültig, bestätigt auch die nun kritischere UBS: Positiv wirken die verbesserten Geschäftsmöglichkeiten durch die «Casualisierung» des Produktangebots (zu Deutsch: das Wegschmeissen heutzutage untragbarer Krawatten). Auch die höheren Investitionen ins Marketing dürften helfen. Schliesslich seien niedrigere Fracht- und Produktionskosten zu erwarten, was die Marge verbessern werde.
Anleger, die einen langen Atem haben, können sich daher mit ersten Aufträgen unter 50 € in Stellung bringen – wohlwissend, dass das, was günstig ist, noch günstiger werden kann. Wie beim grossen Sale in den Outlets von Metzingen gilt an der Börse erst recht: Pulver trocken halten für den möglichen finalen Ausverkauf.