Die Schweizer Landwirtschaft soll weniger Fleisch, dafür mehr Obst und Gemüse herstellen. So will die Fitnesstrainerin und Aktivistin Franziska Herren die Versorgung sichern und die Umwelt schützen. Ihr erster Anlauf hatte keine Chance.
Ihr politisches Engagement führte kurzzeitig in die Angst. Die Trinkwasserinitiative brachte Franziska Herren im Jahr 2021 viele Anfeindungen und sogar Morddrohungen ein – gegen sie, gegen ihre Familie.
Der Abstimmungskampf war aufgeheizt, ein Berufsstand fühlte sich gleichsam auf der Anklagebank und vor dem Aussterben. Bauern, die Pestizide einsetzen, sollten laut Vorlage keine Direktzahlungen mehr erhalten. Vorbeugende Antibiotika in der Tierhaltung wären verboten worden, der Import von Futter ebenso. Die Massnahmen hätten die Tierhaltung im Land verkleinert, zum Schutz des Wassers.
Das Volk entschied sich deutlich dagegen. Und Franziska Herren wollte mit der Politik abschliessen, sich wieder ihrem Job als Fitnesstrainerin widmen.
Die Idealistin versucht es erneut
Aber jetzt ist es so, als würde sie zusätzliches Gewicht auf die Hanteln legen. Die 57-jährige Bernerin aus Wiedlisbach am Jurasüdfuss macht weiter. «Es ist nötig, dranzubleiben», sagt sie. Früher hat sie sich auch schon als Idealistin bezeichnet. Sie bleibt es weiterhin.
Mitte August reicht sie ihre zweite Volksinitiative ein. Sie nennt sie kurz Ernährungsinitiative. Mit vollem Namen heisst sie: «Für eine sichere Ernährung – durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser». Herren geht es erneut um die Kausalkette: weniger Tierhaltung, mehr Pflanzenanbau, weniger Schadstoffe in unseren Gewässern.
In Zeiten des Veganismus und des Klimaschutzes trifft das Vorhaben einen Nerv. Trotzdem wäre die Annahme ein Kraftakt. Die Schweiz ging zuletzt immer behutsam mit ihren Bäuerinnen und Bauern um. Sie achtet ihre Arbeit, und sie will den Traktoren nicht zu sehr in die Quere kommen. Zusammen mit Herrens Trinkwasserinitiative lehnte das Stimmvolk im Juni 2021 auch die Pestizidinitiative ab. Ein Jahr später äusserte es sich überdeutlich gegen die Massentierhaltungsinitiative.
Herrens neues Vorhaben kam immerhin auf der Strasse gut an. Bisher sind 111 000 Unterschriften beglaubigt, Tendenz steigend. Weit vor der Eingabefrist im Dezember haben die Initianten die Sammlung abgeschlossen.
Grössere Versorgungssicherheit
Die Initiative hat die Sorgen aus der Corona- und der Ukraine-Krise mit einbezogen. Diese Ereignisse hätten das Bewusstsein für Engpässe bei Gütern erhöht, sagt Herren. Latent bleibt auch die Bedrohung für die Landwirtschaft durch Wetterextreme. Zu wenig oder zu viel Regen bringen die Bauern um ihre Ernte und die Konsumenten ums Brot.
Mit dieser Vorlage will Herren auch diese Abhängigkeit vom Ausland verkleinern. Die Schweiz ist bei Lebensmitteln zu rund 50 Prozent auf Importe aus dem Ausland angewiesen. Auf das Jahr heruntergebrochen, bedeutet das Folgendes: Ab dem 9. Juli ernährt sich die Schweiz bis zum 31. Dezember ausschliesslich mit Importen. Selbst der Bauernverband äusserte sich Anfang dieses Monats kritisch zu dieser Tatsache. Die Initiative will den Grad der Netto-Selbstversorgung von 50 auf 70 Prozent erhöhen. «Ohne eine solche Vorgabe wird sich nichts ändern», sagt Herren.
Diese Abhängigkeit vom Ausland entsteht auch, weil unsere Landwirtschaft grösstenteils auf die Tierhaltung setzt. Laut Herren wird die Produktion tierischer Lebensmittel vom Bund mit 2,3 Milliarden Franken jährlich unterstützt, diejenige von pflanzlichen Lebensmitteln mit 500 Millionen. Der Bauernverband legt dies anders aus, weil Zahlungen ans bewirtschaftete Land gebunden und kein Anreiz zur Produktion tierischer Lebensmittel seien.
Zu viele Nutztiere zu halten, braucht aber viel Land und Wasser – und verschmutzt beides. Die hohen Nutztierbestände können nur dank Importfutter genährt werden. Das führt laut Herren zu massiv überschrittenen Werten bei stickstoffhaltigen Luftschadstoffen. «Sie sind höher als die von Strassenverkehr, Industrie und Haushalten zusammen.»
60 Prozent der inländischen Ackerflächen werden mit Mais und Getreide für Nutztiere bestellt. Gleichzeitig gelangen Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte mehrheitlich aus dem Ausland auf unsere Teller. Das möchte die Vorlage verändern. «Ich will niemandem die Bratwurst verbieten», sagt Herren, «aber es braucht einen Mittelweg.»
Mit weniger Tierhaltung soll Fläche für Hülsenfrüchte und den Gemüseanbau entstehen. In stillgelegten Ställen könnten Pilze wachsen. Die Schweizer Industrie für Fleischersatz boomt, auch sie ist auf diese Güter angewiesen – und muss sich heute im Ausland bedienen. Herren sieht darin eine Chance für die Schweizer Landwirtschaft. «So könnten die Bauern das wachsende Bedürfnis der städtischen Bevölkerung nach pflanzlichen Lebensmitteln decken. Die Bauern hätten einen grossen Hebel, um mehr zu verdienen.»
Bauernverband wirkt gereizt
Diese sehen das anders. «Wir werden die Initiative sicher ablehnen», schreibt Sandra Helfenstein, Sprecherin des Bauernverbandes, auf Anfrage. Der Wortlaut klingt pikiert. Offensichtlich habe Franziska Herren Mühe, ihre Niederlage an der Urne vor drei Jahren zu akzeptieren, heisst es. «Ob eine grosse Bekämpfung notwendig sein wird, wird sich zeigen.» Der Verband glaube nicht, dass Herr und Frau Schweizer sich die Ernährung vorschreiben lassen wollten.
Über die Initiative wird frühestens im Jahr 2027 abgestimmt.