Der Regierungsrat will erst über weitere Schritte entscheiden, wenn eine neue Studie zu den Umständen der Adoptionen vorliegt.
In den 1970er bis 1990er Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer Tausende von Kindern im Ausland adoptiert. Oft ging es dabei nicht mit rechten Dingen zu. So lautet das Resultat einer Studie, die der Bund bei der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Auftrag gegeben hatte und letzten Dezember veröffentlichte.
Schon länger hatte es Hinweise über illegale Adoptionen aus dem damaligen Bürgerkriegsland Sri Lanka gegeben. Die Untersuchung der ZHAW aufgrund von Unterlagen im Bundesarchiv zeigte aber, dass das Ausmass weit grösser war als zunächst angenommen. So fanden sich Hinweise auf Adoptionen aus zehn weiteren Ländern in Asien, Lateinamerika sowie Rumänien.
Die Behörden gingen laut den Autorinnen unhinterfragt davon aus, dass es den Kindern in der Schweiz besser gehe als in ihrem Herkunftsland. Die Interessen der adoptionswilligen Eltern in der Schweiz wurden höher gewichtet als das Recht der Kinder nach Klarheit, spätestens als Erwachsene zu erfahren, woher sie kommen und wer ihre Eltern und Geschwister sind.
Die Suche nach den eigenen Wurzeln kann belastend und schmerzhaft sein. Oft fehlen Hinweise, weil Unterlagen gefälscht oder vernichtet wurden. Der Bundesrat bedauerte Ende letzten Jahres, dass die Behörden damals ihre Verantwortung gegenüber den Kindern und ihren Familien nur unzureichend wahrgenommen haben. Die Unterstützung der Betroffenen bei der Herkunftssuche sei Sache der Kantone.
Vorerst keine Kostenbeteiligung
Jetzt hat das Thema Zürich erreicht. Die Regierung publizierte am Montag im Kantonsrat mündlich die Antworten auf eine dringliche Interpellation, wobei Regierungspräsident Mario Fehr (parteilos) die zuständige, aber abwesende Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) vertrat. Die Stellungnahme fiel angesichts des emotionalen Themas sehr nüchtern und juristisch aus.
Die Regierung erklärte, dass für Abklärungen zur Herkunft im Amt für Jugend und Berufsberatung eine Stelle geschaffen worden sei, zu der ein Kontaktformular auf dessen Website führe. Auch unterstütze der Kanton Zürich Organisationen wie den Verein «Back to the Roots» finanziell. Die Zürcher Praxis entspreche den Empfehlungen der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren.
Die Quellensuche im kantonalen Staatsarchiv sei kostenfrei, schreibt die Regierung. Das allerdings gilt dort grundsätzlich für den Informationszugang. Weitere Kosten wie DNA-Analysen oder eine Reise ins Herkunftsland müssten suchende Personen selber übernehmen. Über weitere Schritte will der Regierungsrat erst entscheiden aufgrund der Ergebnisse einer 2021 von den Kantonen Zürich und Thurgau gemeinsam in Auftrag gegebenen Studie. Sie soll im Herbst dieses Jahres vorliegen.
Die Mitte-links-Parteien, welche die Interpellation eingereicht hatten, reagierten unzufrieden. Auf den Kanton Zürich entfallen vermutlich am meisten Adoptionen im Ausland. Die Regierung selber schrieb in einer früheren Stellungnahme von einem Fünftel aller Fälle in der Schweiz.
Aus der Sicht der Betroffenen sei die Haltung in einem Wort als «ambiti0nslos» zu bezeichnen, sagte die Erstunterzeichnerin Sibylle Marti (SP, Zürich). Der Regierungsrat habe offenbar das Ausmass des Problems noch nicht erfasst. Heute wisse man, dass unrechtmässige Praktiken bei Auslandadoptionen keine Einzelfälle darstellten, sondern die Regel gewesen seien.
Bei rechtswidrigen Adoptionen reichten die kantonalen Strukturen nicht aus. Oft fehlten Angaben oder seitens der Herkunftsländer würden falsche Auskünfte erteilt, sagte die Co-Präsidentin der SP-Fraktion. Deshalb brauche es oft die Hilfe von Personen vor Ort. Ausserdem hätten zahlreiche Betroffene aufgrund ihrer Erfahrungen kein Vertrauen in die Behörden, was verständlich sei.
Dass Zürich sich an die Empfehlungen anderer Institutionen halte, sei das Minimalprogramm, das man erwarten dürfe, sagte Marti. Eine umfassende historische Aufarbeitung der Vorgänge auf der Ebene der Kantone sei von grosser Bedeutung, weil sie zu einer gesellschaftlichen Anerkennung des erlittenen Unrechts beitrage; das sei als Teil der Wiedergutmachung wichtig.
Wie Marti erwarten weitere Sprecherinnen im Rat eine Entschuldigung der damals zuständigen staatlichen Stellen. Das Engagement des Kantons Zürich sei sehr bescheiden, sagte Silvia Rigoni (Grüne, Zürich). Es brauche eine proaktive Information über die Unterstützung bei der Suche nach der eigenen Herkunft und eine Kostenbeteiligung der öffentlichen Hand.
In den 1970er Jahren habe sich ein Geschäftsmodell daraus entwickelt, in armen Ländern Familien Kinder wegzunehmen oder aus Krankenhäusern zu stehlen, sagte Andrea Gisler (GLP, Gossau). Es scheine, als wiederhole sich die Geschichte heute mit der Leihmutterschaft.
Für Mario Fehr ein Menschenrecht
Für die bürgerliche Seite sind illegale Adoptionen derzeit kaum ein Thema. Christina Zurfluh Fraefel (SVP, Wädenswil) sagte, wo Unrecht geschehen sei, sei das aufzuarbeiten. Man müsse die Studie der Kantone Zürich und Thurgau abwarten. «Mehr Inhalt statt Verpackung» sei auch im Interesse der Betroffenen. FDP und Mitte äusserten sich nicht.
Überraschend war die Stellungnahme des Sicherheitsdirektors Mario Fehr. Zunächst hatte er nur die schriftliche Antwort der Regierung abgelesen. Nach der Debatte stützte er die Sicht der Interpellanten. «Es ist ein Menschenrecht, zu wissen, woher man kommt», sagte er.
Mit dieser Debatte im Rat sei das Thema illegale Adoptionen keineswegs erledigt, die Diskussionen stünden im Gegenteil erst am Anfang, sagte der Sicherheitsdirektor. Zürich sei durchaus am Ball. Bis anhin fehle nämlich auf politischer Ebene ein Organ für die Koordination unter den Kantonen, mit Ausnahme des Projekts von Zürich und Thurgau.
Zum Punkt, dass Betroffene die Kosten weiterführender Abklärungen selbst bezahlen müssen, meinte Mario Fehr gar, wäre er Parlamentarier, würde er eine Motion einreichen, um diesen Zustand zu beheben. Das aber haben jene, welche die Interpellation unterzeichneten, ohnehin vor.