Freitag, September 27

Schon so manches Strip- ist in Zürich in ein Trinklokal umgewandelt worden. Dass daraus aber ein Kulturort entsteht wie der «Rank» in der Altstadt, in dem man erst noch gut isst, hat Seltenheitswert.

Zu den vielen Helvetismen, die ich besonders schätze, zählt der Rank: Ihn zu finden, ist mir hundertmal lieber, als gerade noch die Kurve zu kriegen. Und gefunden habe ich ihn neulich auf einem Pflaster, auf dem schon manche auf die schiefe Bahn gekommen sind: im Niederdorf.

Dieses Zürcher Altstadtviertel, auch liebevoll «Dörfli» genannt, galt einst als Sündenpfuhl. Inzwischen ist es zum Glück nicht ganz befreit von Lastern, aber doch recht korrekt. Im vormaligen «Café Mohrenkopf», dessen Namen die Stadt verschwinden lassen wollte, wird heute an der Niederdorfstrasse unter der unverdächtigen Buchstabenkette «Frisk Fisk» gewirtet. Einige Schritte weiter halten sich alteingesessene Betriebe wie die «Rheinfelder Bierhalle» und die «Gräbli-Bar», während die einstige Phalanx der Stripteaselokale sich stark gelichtet hat: Das «Calypso» etwa, welches das landesweit Erste seiner Art gewesen sein soll, ist hier vor drei Jahren durch den «Rank» abgelöst worden. Dessen Name leuchtet in rosafarbener Neonschrift, die allein noch ans Rotlichtmilieu erinnern könnte.

Zu verdanken ist diese Verwandlung einem Team um die Brüder Alexander und Raphael Guggenbühl, die bald mehr Medienpräsenz haben als ihr bekannter Vater, der Jugendpsychologe. Vor acht Jahren punkteten sie mit dem originellen Konzept des nahen «Rechberg 1837», nun bereichern sie das Quartier im Wandel mit einem Kulturlokal mit kulinarischen Ansprüchen. Für den guten ersten Eindruck sorgt die Lichtregie: Im langgestreckten Raum, dunkel gestrichen fast wie ein Kinosaal, ist jedes der schwarzblauen, staubempfindlichen Esstischchen von einem Deckenspot beleuchtet und bildet so eine eigene kleine Bühne. Darauf werden international angehauchte Gerichte mit regional-saisonal geprägten Zutaten inszeniert.

Die formidable Küchenchefin Michaela Frank, deren Handschrift den Betrieb in den ersten zwei Jahren prägte, hat ihn zwar leider heuer verlassen. Auf etwas schlichterem Niveau leistet das Team jedoch weiter gute Arbeit, wie sich bei unserem Besuch zeigt. Das mit gerösteten Brotscheiben servierte Rindstatar (Fr. 24.– als Vorspeise) ist eines der besten, die ich in der Stadt kenne. Nicht zu den Favoriten gehört das etwas wirre Konzept der Chnoblibrot-Variation, einer mit Käse überbackenen Focaccia mit einem Dip aus Sauerrahm und schwarzem Knoblauch (Fr. 8.–). Dafür bilden die Kalbshacktätschli mit Kartoffelstock und Pilzrahmsauce (Fr. 32.–) einen ebenso herzhaften Hauptgang wie die «Zürichsee-Fischstäbli» mit «Erbsentatar» (man könnte es auch einfach Erbsenpüree nennen). Bloss ist deren Panade unten aufgeweicht, da die feine Weissweinsauce nicht separat serviert wird.

Eine Auswahl des Angebots wäre auch als Überraschungsmenu erhältlich (ab Fr. 75.– pro Person), während weniger Wagemutige vielleicht eher Ghackets mit Hörnli (Fr. 21.–) oder Gschwellti mit Raclette (Fr. 16.–) ordern. Dazu gibt’s hausgemachtes Kombucha oder Mate-Soda, einen Tropfen von der Weinkarte, geprägt von kleinen Schweizer Gütern, oder einen der originellen Cocktails. Bei den Mocktails übrigens wird statt auf handelsübliche Null-Prozent-Spirituosen auf eigenständige Kompositionen gesetzt, etwa Orangenreduktion, Verjus, Tonic und Thymian (Fr. 10.–).

Das ist nicht der richtige Ort, um rank und schlank zu bleiben, also stürze ich mich schliesslich auf die Pavovla, die bei mir stets eine Art pawlowschen Reflex auslöst. Sie wird hier als Meringue-Törtchen mit Vanille-Crème-fraîche interpretiert, dekoriert mit Beeren und Verveine-Blättchen (Fr. 14.–). Beim als Vegi-Dessert gekennzeichneten Brownie hingegen, mit Sonnenblumenöl statt Butter zubereitet, überzeugt weder Textur noch Geschmack.

Das «Dörfli» zieht heute Touristen ebenso an wie Nostalgiker – und vielleicht weiterhin ab und zu noch einen Heiri, der ein Kalb verkauft hat wie in der «Kleinen Niederdorfoper» der fünfziger Jahre. Den legendären «Calypso»-Grillstand aber gibt’s nicht mehr, ihn hat ein Take-away beim Restauranteingang abgelöst, und die ehemalige Wursterei ist nun ein verglastes Hinterzimmer: Hier können ruhebedürftige Gäste fertig essen, wenn im «Rank» der Flügel und das Schlagzeug zum Einsatz kommen: Beide warten in der Raummitte auf ihren Einsatz an den Konzerten, donnerstags bis samstags ab 21 Uhr 45, meist mit jazzigen Rhythmen. Wer vorher hier gespeist hat, kann für einen Aufpreis von 20 Franken sitzen bleiben und mithören – oder sich eben ins Séparé verziehen, wo selbstverständlich alle angezogen bleiben.

Kulturlokal Rank, Niederdorfstrasse 60, 8001 Zürich.
Sonntags und montags geschlossen.
Telefon 044 777 80 01

Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.

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