Eine Geschichte über Loyalität, Verrat und Macht.
Der Medienunternehmer Bruno Hug redet viel. Im «Dieci»-Restaurant an der Seepromenade in Rapperswil-Jona bleiben Vor- und Hauptspeise minutenlang stehen, ehe er einen Bissen nimmt. Erst muss Hug noch von der Badi erzählen. Und von der Eishalle. Und vom Innovation Center. Alle Geschichten enden gleich: Der Stadtpräsident Martin Stöckling (FDP) habe versagt. Hug, 70 Jahre alt, sagt: «Ich halte ihn für schädlich. Ihm geht es nicht um die Stadt. Ihm geht es um sich.»
Seit acht Jahren ist Stöckling im Amt. Am 22. September stellt er sich für eine dritte Amtszeit zur Wahl. Hug will diese verhindern, und das ist kein Geheimnis. Mit seinem Gratisportal «Linth 24» berichtet er fast ausnahmslos negativ über Stöckling.
Im vergangenen Frühling hat Hug in sämtliche Haushalte der Stadt sein «Linth 24»-Magazin verschicken lassen. Bisweilen liest es sich wie eine Klageschrift gegen den Stadtpräsidenten, der daraufhin seinen Anwalt einschaltete. Hug sah sich zwar im Recht, verzichtete aber auf eine gerichtliche Auseinandersetzung. «Die Stadt ist in solchen Fragen ohnehin im Vorteil», sagt er. Er fühlt sich benachteiligt. Von Staat und Stadt, vom Gericht.
Hug macht sich die Welt, wie sie ihm missfällt.
Hug hat Alternativen gesucht
Hug ist über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Als einer der Köpfe, die vor zwei Jahren erfolgreich gegen das Mediengesetz opponiert haben. Als Geschäftsmann, der im richtigen Moment das Portal «persoenlich.com» verkauft hat. Als Mitgründer und Mitbesitzer von «Dieci», dem mit Abstand grössten Pizzakurier in der Schweiz. Als langjähriger Präsident der Rapperswil-Jona Lakers auch. Es kann durchaus vorkommen, dass Hug von sich aus auf solche Dinge hinweist. Im «Dieci»-Restaurant trinkt Hug an diesem Tag Hug-Wein. Die Trauben stammen von den Rebstöcken unterhalb seines Hauses in Bollingen, das zu Rapperswil-Jona gehört. Hug berauscht sich an sich selbst.
Sein neuestes Vorhaben ist die Nichtwiederwahl von Stöckling. Vor zwei Jahren hat sich Hug auf die Suche nach einem Herausforderer gemacht. Er sagt, das sei seine «Pflicht als Bürger». Infrage kamen vor allem Gemeindepräsidenten aus dem Kanton St. Gallen, wo auch Personen gewählt werden können, die noch nicht in der Gemeinde wohnen.
Fündig wurde Hug aber im Kanton Zürich. Bei der Parteilosen Barbara Dillier, die der Gemeinde Fischenthal vorsteht. Hug vereinbarte ein Treffen bei sich zu Hause und lud Vertreterinnen und Vertreter der Ortsparteien von SVP, Mitte und SP ein. Dilliers Name dürfte ihnen ein Begriff gewesen sein: Ihr Mann ist ein Ur-Rapperswiler, das Familienwappen hängt seit dem frühen 18. Jahrhundert als Butzenscheibe im Rathaussaal der Ortsgemeinde Rapperswil.
Dillier fügt sich damit bestens ein in eine Stadt, auf der ein Schloss thront. In welcher der Schattenkönig gegen den König kämpft. Hug gegen Stöckling am oberen Zürichsee.
«Es gibt keine Fehde»
Das war nicht immer so. Als Chefredaktor der «Obersee-Nachrichten» versuchte Hug 2015, die Einführung des Stadtparlaments zu verhindern. Es heisst, Hug habe die Flyer für das Nein-Komitee organisiert, dem auch der frühere Präsident der örtlichen FDP angehörte: Martin Stöckling. Damals war er auch noch Hugs Anwalt.
In jener Zeit trafen sich Stöckling und andere Lokalpolitiker immer wieder in den Sitzungszimmern von Hugs «Obersee-Nachrichten». In Hugs Beisein wurde die Lokalpolitik verhandelt. Zu dieser zählte Hug 2016 plötzlich selbst. Unzufrieden mit der Arbeit des damaligen Stadtpräsidenten Erich Zoller (CVP), kandidierte er für das Stadtpräsidium. Im ersten Wahlgang sammelte Hug überraschend die meisten Stimmen. Damit war Zoller abgewählt. Doch weil Hug vom Resultat überrumpelt wurde, zog er die Kandidatur «aus privaten Gründen» zurück. Stöckling sprang ein – und wurde gewählt.
Was ist seither vorgefallen zwischen Hug und Stöckling? Weshalb liefern sich die einstigen Verbündeten heute eine Fehde?
Viele glauben, Hug sei sauer, weil Stöckling als Stadtpräsident nicht nach seiner Pfeife getanzt habe. «Es gibt keine Fehde», sagt Hug und schlägt viermal auf den Tisch. «Es. Gibt. Keine. Fehde.» Er habe nichts gegen Stöckling. «Ich halte ihn einfach für unfähig.» Die Eishalle, die Badi, das Innovation Center. Und oft hat Hug einen Punkt.
Das Badi-Projekt stoppte der Stadtrat kurz vor Baubeginn, weil die Kosten explodiert waren. Das war 2020. Jetzt gibt es ein neues Projekt. Aber dagegen hat sich ein Nein-Komitee gebildet. Die Anlage sei zu klein, behaupten die Gegner. Und überhaupt: Der Stadtrat wolle kurz vor den Wahlen vor allem gut aussehen damit. Die Flyer gegen das Badi-Projekt sehen jenen contra Stadtparlament von 2015 zum Verwechseln ähnlich. Hatte Hug seine Finger im Spiel? Er bestreitet es.
Hug kann einem aus der Bädergrundlage des Bundes zitieren. Er nennt Paragrafen und Quadratmeterzahlen, sogar Bestimmungen in Österreich. Er weiss viel. Nur vergreift sich Hug manchmal derart im Ton, dass ihm viele nicht mehr zuhören wollen. Akustik schlägt Argument. Er sagt: «Ich halte mich an Fakten und decke auf. Das ist mein journalistischer Stil. »
Hug macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt.
Der Charakter eines Dorfes
Doch Hug ist nicht allein mit seiner Kritik am Stadtpräsidenten. «Le roi, c’est moi», sagt eine lokale Politikerin über den Führungsstil von Stöckling. Schon sein Vater, der St. Galler Altregierungsrat Hans Ulrich Stöckling, war Gemeindepräsident in Jona. Der Sohn Martin ist sozusagen der Thronfolger.
Stöckling betont stets seine «Lernkurve». Tatsächlich ist zu hören, dass er Fortschritte gemacht habe. Und selbst bei Kritikern gilt er – gesellig und eloquent – als würdiger Repräsentant der Stadt. Er sagt: «Unser System bringt eine Konzentration auf den Stadtpräsidenten mit sich.» Ihm stehen nur zwei vollamtliche Stadträte zur Seite, das Trio teilt die fünf Ressorts untereinander auf. Und es gibt kein Parlament, das um Projekte ringt, bis sie mehrheitsfähig sind, das kontrolliert und korrigiert. «Wir sind entsprechend vorsichtig mit Vorschlägen. Weil uns das politische Feedback fehlt. So hat es ein grosser Wurf schwierig», sagt Stöckling.
2015 kämpfte er an der Seite von Hug erfolgreich gegen die Schaffung eines Stadtparlaments. Sieben Jahre später wollte es der Stadtrat unter Stöcklings Leitung einführen. Wieder gab es ein Nein-Komitee, wieder mit denselben Flyern. Wieder wurde die Vorlage abgelehnt. Rapperswil-Jona hat 28 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Es ist die grösste Schweizer Stadt, die kein Parlament hat.
Stöckling sagt: «Wir haben in den vergangenen Jahren gemerkt, dass in der Stadt kein klares Narrativ besteht, welche Art und welchen Grad von Urbanität Rapperswil-Jona haben soll.» Vor 17 Jahren sind die beiden Gemeinden Rapperswil und Jona zu einer Stadt verschmolzen. Nun soll Rapperswil-Jona erwachsen werden. Der Stadtrat hat deshalb eine Studie in Auftrag gegeben, die «Stadtidee» lautet. Es geht um die Identität der Stadt. Stöckling sagt: «Heute definiert sich Rapperswil-Jona vor allem über das, was es nicht ist.»
Nicht Zürich, nicht St. Gallen. Nicht wirklich Stadt, aber auch nicht wirklich Dorf. Ein kleines Königreich?
Der Rapperswil-Joner Filmregisseur Michael Steiner («Mein Name ist Eugen», «Wolkenbruch») sagt: «Rapperswil-Jona ist eine Kleinstadt, obwohl der Mentalität der Menschen etwas Dörfliches anhaftet.» Das Dorf im Stadtpelz. Steiner erzählt von einem «System des Sich-Beobachtens», das die Leute vorsichtig mache. «Es ist kein Ort, um aus der Reihe zu tanzen.» Mit einer Ausnahme: «Bruno Hug. Der ist mit seinem Porsche auf dem Hauptplatz vorgefahren.» Das habe nicht allen gefallen.
«Ich bin wirklich unabhängig»
Stöckling ist vor ein paar Wochen von Hug eingeladen worden, für ein «Linth 24»-Videointerview. Stöckling lehnte ab. Er sagt: «Ich glaube nicht, dass er fair gewesen wäre.» Und was passiert, wenn Hugs Kandidatin Dillier gewählt wird? «Es würde ihr vermutlich genau gleich ergehen wie mir. Als ich nicht nach seiner Pfeife getanzt habe, hat der Wind gedreht.»
Dillier selbst ist zuversichtlich. «Ich politisiere offen und breit abgestützt. Ich bin überzeugt, dass ich weniger Angriffsfläche biete.» Für sie ist Hug Segen und Fluch zugleich. Einerseits hat er sie vorgeschlagen. Andererseits wird sie zu Unrecht auf Hug reduziert. Sie sagt: «Ich bin wirklich unabhängig. Auch finanziell. Den Wahlkampf bezahle ich gemeinsam mit meinem Mann.» Die Kosten dürften sich auf über mehrere zehntausend Franken belaufen.
Sollte sie gewählt werden, dürfte sich das politische Denken im Stadthaus nur unwesentlich verändern: Auch Dillier will, dass Rapperswil-Jona städtischer wird. Und obschon sie parteilos ist, ist Dilliers liberale Färbung offensichtlich. «Die Freiheit ist das Wichtigste», sagt sie, die in einem 50-Prozent-Pensum als Schulleiterin in Bauma arbeitet und in einem 50-Prozent-Pensum Fischenthal führt. Eine Gemeinde mit lediglich 2500 Einwohnern. Die Zahl ihrer Mitarbeiter würde sich auf einen Schlag verzehnfachen. Auch unterhält sie vergleichsweise wenig Kontakte nach St. Gallen – im Gegensatz zu Stöckling, der seit 2019 im Kantonsrat sitzt. Unterstützt wird Dillier von der SVP. FDP und Mitte setzen auf Stöckling, SP und Grüne auf den GLP-Kandidaten Boris Meier. Manchmal, wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.
Am 22. September kommt es zum Showdown. Der Regisseur Michael Steiner fühlt sich an Dürrenmatt erinnert: «Das Duell von zwei Dorfzampanos.» Es ist bestes Filmmaterial.