Sonntag, September 29

Die Stadt Freiburg verlangt künftig für alle Gräber den gleichen Preis. Die Juden sehen darin eine Diskriminierung aus falsch verstandener Gleichbehandlung.

Die Kritik des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) ist scharf. Er schreibt in seinem Communiqué vom Dienstagmorgen, die Stadt Freiburg schränke die «Religionsfreiheit der jüdischen Minderheit» ein. Der SIG reagiert damit auf einen Entscheid des Generalrates, des Parlaments der Stadt Freiburg, vom 16. September. Dieser hat mit 54 Ja- und nur einer Nein-Stimme das neue Reglement des Friedhofs Saint-Léonard angenommen.

In den Augen des SIG hat dies weitreichende Konsequenzen für die Menschen jüdischen Glaubens in Freiburg. Sie verfügen – anders als etwa die Jüdinnen und Juden in Zürich, Basel oder Bern – über keine eigene Ruhestätte. Stattdessen werden sie oder ihre Angehörigen in einem Bereich des Friedhofs Saint-Léonard beigesetzt, dem einzigen öffentlichen Friedhof der Stadt, die den Teil einst an die Communauté Israelité de Fribourg (CIF) delegiert hat. Die CIF verwaltet die heute 156 jüdischen Gräber. Noch.

Mit der Totalrevision des über 120 Jahre alten Reglements ändert sich das. Die neue Regelung sieht unter anderem vor, dass im jüdischen Bereich künftig ähnliche Regeln gelten wie im Rest des Friedhofs. So muss die jüdische Gemeinde neu dieselben Gebühren bezahlen wie andere auch – und damit mehr als vorher. Die Idee der Stadt: Alle sollen gleich behandelt werden.

«Das ist beispiellos»

Zur Auswahl stehen neu zwei Arten von Gräbern. Zum einen das Reihengrab, das nach 20 Jahren aufgehoben wird. Zum anderen das sogenannte Vertragsgrab mit einer Mindestlaufzeit von 30 Jahren. Danach kann es um weitere 30 und schliesslich um weitere 20 Jahre verlängert werden. Wobei nach den gesamthaft 80 Jahren die Möglichkeit besteht, dasselbe Vertragsgrab nochmals zu beantragen. Für das SIG wird die ewige Grabesruhe damit «de facto ausgehebelt», da nach den 80 Jahren keine Garantie bestünde, dass das Vertragsgrab nochmals verlängert werde. Im Judentum müssen die Gräber der Verstorbenen ewig bestehen bleiben. Der Brauch ist vielen Jüdinnen und Juden heilig.

Jonathan Kreutner ist Generalsekretär des SIG. Er räumt zwar ein, dass die ewige Grabesruhe auch in Zukunft mit Vertragsgräbern «theoretisch möglich» sei, doch sie würden der jüdischen Gemeinde «horrende wiederkehrende Kosten» auferlegen – nach 30 Jahren, nach 60 Jahren, nach 80 Jahren, ehe ein neues Vertragsgrab beantragt werden muss. Wie hoch die Kosten tatsächlich wären, ist schwer abzuschätzen. Einerseits gibt es eine Übergangsphase, andererseits variieren die Preise der Gräber je nach Grösse und Sonderwunsch stark. Wie die CIF schätzt, kostet eine 30-jährige Verlängerung aller 156 Gräber zwischen 250 000 und 300 000 Franken. «Das ist nicht tragbar und unrealistisch für eine jüdische Gemeinde, die überaltert ist und nur noch 65 Mitglieder zählt», sagt Kreutner.

Es gibt Stimmen in der Stadt, die der jüdischen Gemeinde raten, einen eigenen Friedhof zu errichten. Kreutner sagt: «Das bringt nichts. Die 156 Gräber dürfen wir nicht transportieren. Im Judentum ist es verboten, Gebeine umzulagern.» In Freiburg habe man sich überhaupt keine Gedanken gemacht zu jüdischen Traditionen, und die jüdische Gemeinde sei auch nicht einbezogen worden. «Hier wird aus falsch verstandener Gleichbehandlung die jüdische Minderheit diskriminiert. Das ist beispiellos.»

Im Communiqué wird der Entscheid des Generalrates nun auf die nationale Ebene gehoben. «Gerade in Zeiten, in welchen die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz unter Druck stehe», sei man hart getroffen.

Keine ideologischen Absichten dahinter

Elias Moussa (SP) ist Gemeinderat in Freiburg, zuständig unter anderem für Stadtplanung und Architektur – und den Friedhof Saint-Léonard, den einzigen im Kanton Freiburg mit einem jüdischen Bereich. Moussa sagt: «Wir diskriminieren niemanden. Ganz im Gegenteil. Das Parlament hat vielmehr bekräftigt, dass es den jüdischen Bereich des Gemeindefriedhofs nicht infrage stellt, sich bei den Gebühren jedoch eine Gleichbehandlung wünscht.»

Zumal im St.-Léonard-Friedhof auch Angehörige anderer Konfessionen sowie Konfessionslose seit Generationen ihre letzte Ruhe gefunden hätten. Auch Muslime kennten die ewige Grabruhe. Letztere indes könnten neu ebenfalls einen eigenen Bereich im Friedhof beanspruchen. «Vorher war das nicht möglich.» Und was ist, wenn die 80 Jahre eines Vertragsgrabes abgelaufen sind? «Dann kann man genau das gleiche Vertragsgrab wieder haben. So können wir den ewigen Grabfrieden indirekt sicherstellen.»

Moussa lässt auch den Vorwurf nicht gelten, die Glaubensgemeinschaften seien nicht angehört worden. Und tatsächlich: 2019 hat die Stadt Entwürfe des neuen Reglements versendet und Meinungen eingeholt. Dazu wäre sie nicht verpflichtet gewesen, der Kanton Freiburg kennt auf Gemeindeebene keine Vernehmlassungen. «Letztlich hat die Stadt lediglich das Gebot der Gleichbehandlung angewendet», sagt er.

Gespräche stehen an

Die jüdische Gemeinschaft schreibt im Communiqué, sie stehe für konstruktive Gespräche zur Verfügung. Moussa hat bereits Kontakt aufgenommen. Erste Treffen sollen in den nächsten Monaten stattfinden. «Dann können wir die Missverständnisse vielleicht ausräumen», sagt Moussa. Zwar hat das Parlament mit seinem Entscheid die Leitplanken definiert. Gleichwohl ist denkbar, dass die Stadt der CIF in gewissen Punkten entgegenkommt.

Werden etwa nicht alle 156 Gräber dem neuen Reglement unterstellt? In Freiburg ist zu hören, dass diese Frage diskutiert werden könnte. Bis die neuen Regelungen in Kraft treten, dauert es ohnehin noch. Neben der Referendumsfrist gilt es noch die Genehmigung des Kantons abzuwarten. Und die dürfte kaum vor dem 1. Juli 2025 eintreffen.

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