Noch vor zehn Jahren wurde von jungen Leuten Dankbarkeit erwartet, wenn sie bei einer preisgekrönten Werbeagentur anheuern durften. Mittlerweile hat die Branche an Glanz verloren.
«Irgendwas mit Medien.» So lautete oft die Antwort, wenn man Anfang der 2000er Jahre junge Leute fragte, was sie später gerne arbeiten würden. Es war eine Zeit, in der Selbstverwirklichung, Kreativität und Freiräume bei der Arbeit wichtiger wurden. Status, Prestige und Lohn waren zweitrangig, die Arbeit sollte in erster Linie Spass machen. Und genau das versprach eine Stelle in einer Werbeagentur. Die Anforderungen, die man für eine solche Stelle erfüllen musste, waren klar: jung, wild, billig und willig.
Agenturen wie Wirz, Publicis, Farner und Jung von Matt konnten aus einem grossen Pool junger, kreativer und engagierter Leute die vielversprechendsten Talente auswählen. Alle wollten von Branchenschwergewichten wie Frank Bodin, Markus Ruf und Danielle Lanz lernen. Mittlerweile spüren aber auch die Agenturen den Fachkräftemangel.
«Agenturen sind für junge Kommunikationsspezialistinnen und
-spezialisten nach absolvierter Erstausbildung nicht mehr automatisch die erste Wahl, da uns nach wie vor der Ruf anhaftet, dass man für sehr wenig Geld sehr viel arbeitet», sagt Andreas Hugi, Inhaber einer bekannten PR-Agentur und Präsident des Branchenverbands Leading Swiss Agencies. Dabei seien die Löhne in Agenturen durchaus branchenüblich und die Arbeit sehr abwechslungsreich.
Allerdings sind die Beschäftigtenzahlen in der Werbebranche rückläufig. Arbeiteten im Jahr 2011 rund 33 000 Personen bei Werbeagenturen, waren es im Jahr 2021 nur noch rund 30 000.
Lange Arbeitszeiten und Kostendruck
Im Gespräch mit erfahrenen Werberinnen und Werbern zeigt sich: Die Bedenken von jungen Talenten sind berechtigt. In angesagten Werbeagenturen kann man zwar mit einem Haufen kreativer Leute schrille Kampagnen entwickeln. Nach gewonnenen Kundenaufträgen gibt es Partys. In den Büroräumlichkeiten hat es Baristas, Pingpongtische und Lounges. Aber: Die Arbeitstage sind bis zu 14 Stunden lang, die Chefs sind oft cholerisch veranlagt und die Bezahlung im Vergleich zu anderen Branchen mässig.
Angehende Art-Directors und Texter absolvieren zuerst gefühlt zwanzig Praktika in den Kreativabteilungen verschiedener Agenturen, bei denen sie 1500 Franken pro Monat oder weniger verdienen. Und auch angehende Kundenberater arbeiten zuerst lange als Assistenten, bevor sie eigene Kunden übernehmen dürfen. Ist es endlich so weit, verbringen sie einen beträchtlichen Teil ihrer Arbeitszeit damit, den Kunden zu erklären, dass Erfahrung, Kreativität und Beratung etwas kosten.
Das hat damit zu tun, dass die Kunden keine Pauschalen, auch Agenturhonorare genannt, mehr bezahlen. Dabei wurde ein Fixpreis pro Monat oder pro Jahr für klar definierte Leistungen vereinbart. Heute wollen die Kunden jedes Projekt einzeln offeriert haben. Das verleiht den Kunden mehr Verhandlungsmacht, für die Agenturen steigt hingegen der Preisdruck.
«Die Agenturhonorare wurden vor allem von grossen, internationalen Agenturen schon vor zwanzig Jahren geopfert, um an möglichst viele Aufträge zu kommen. Die Lücke zwischen den effektiven und den offerierten Kosten wird seither mit Praktikanten abgefedert, die für weit unterdurchschnittliche Entgelte arbeiten», sagt Benno Frick, vom Agenturnetzwerk ASW, das die mittelständischen und inhabergeführten Kommunikations-Agenturen der Schweiz vertritt.
Eigenes Employer-Branding vernachlässigt
Viele verlassen die Agenturwelt daher spätestens mit 30 Jahren. Denn 14-Stunden-Arbeitstage sind mit einer Familie nicht gut vereinbar. Zudem sind Werbeagenturen stark abhängig von der Wirtschaftslage. Geht es wirtschaftlich bergab, sparen Unternehmen oftmals als Erstes bei der Werbung. Eine Stelle in einer Marketing- und Kommunikationsabteilung bei einem Unternehmen oder bei der öffentlichen Hand bietet da mehr Arbeitsplatzsicherheit, geregeltere Bürozeiten und auch ein höheres Gehalt.
Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb viele Werber schliesslich zu einem ihrer Kunden wechseln. «Sie versprechen sich mehr Konstanz, Entwicklungsmöglichkeiten und inhaltlichen Fokus», sagt Nadine Pachoud, Partnerin bei der Agentur Sir Mary. Denn während man bei einer Agentur für Kunden aus verschiedenen Branchen arbeitet, kann man sich in der Marketing- und Kommunikationsabteilung einer Firma ganz auf die Vermarktung ihrer Produkte und Dienstleistungen konzentrieren.
Die grosse Ironie ist, dass die Agenturen für ihre Kunden jahrelang Employer-Branding-Kampagnen kreierten, selbst aber zu wenig ins Personalmarketing investierten. «Es reicht nicht mehr, als Agentur möglichst viele Awards zu gewinnen, die dann gleichzeitig als Rechtfertigung für die vielen Überstunden dienen», sagt Pachoud.
Es dauere länger, bis man für eine freie Stelle die passende Person finde, so Pachoud weiter. Zudem buhle die gesamte Branche um die gleichen Leute. Um sie anzuwerben, werden Agenturen auch bei der Vergabe der Jobtitel immer kreativer und grosszügiger. Und die Branche sei gegenüber Themen wie Home-Office und Überstunden-Kompensation offener geworden. Bis vor kurzem wäre das noch undenkbar gewesen, obwohl sich die Branche selbst gerne als innovativ bezeichnet.
Mittlerweile steht die Agenturwelt auch Studienabgängern offen, die zuerst Erfahrung sammeln müssen. «Lange Zeit musste man bereits einige Jahre Agenturerfahrung vorweisen, damit man in einer Agentur angestellt wurde. Diese Zeiten sind jetzt vorbei», sagt Sonia Soutter, Inhaberin der Personalvermittlung Werbekraft Nordost.
Damit erweitert sich das potenzielle Kandidatenfeld. Denn die Bachelorstudiengänge in Kommunikation an den beiden Zürcher Fachhochschulen HWZ und ZHAW erfreuen sich immer noch grosser Beliebtheit. An den Schulen beobachtet man, dass das Angebot der Studiengänge im Bereich Marketing und Kommunikation in den letzten Jahren schweizweit sogar zugenommen hat.
Mangelnde Relevanz
Ein kleiner Trost bleibt den Werbeagenturen: Auch die Arbeit in einer Marketing- und Kommunikationsabteilung bei einem Unternehmen hat ihre Schattenseiten. So dürfte es nicht lange dauern, bis man Bekanntschaft mit dem Satz «Das gefällt mir nicht» macht.
Denn als Kreativer ist man auf Unternehmensseite ein einsamer Wolf. Anders als bei einer Agentur ist man bei einem Unternehmen nicht mehr Teil des Kerngeschäfts, sondern in einer Stabfunktion und somit nicht wirklich systemrelevant. So ist in einem Industriebetrieb die Arbeit des Ingenieurs immer wichtiger als die Broschüre, die der Marketingfachmann kreiert.
Klar, auch Berater bei einer Agentur bekommen von den Kunden dauernd unzufriedene Feedbacks zu hören. Häufig führt das zu einem kurzen Geläster in der Agentur: Die beim Kunden hätten halt keinen Sinn für Ästhetik, heisst es dann. Daher hätten sie auch kein Verständnis für die künstlerischen Ergüsse der Creative Directors.
Danach ändert man den Entwurf ab und hofft, dass man den Geschmack des Kunden trifft. Denn die meisten CEO und CFO sind nicht dazu ausgebildet beziehungsweise fähig, kreative Erzeugnisse fachlich objektiv zu kommentieren. Trotzdem haben sie das letzte Wort, weil sie die Verantwortung für die Kosten und allfällige Reputationsrisiken tragen.
In den Agenturen leidet man immerhin gemeinsam in solchen Situationen. Marketingfachleute auf der Kundenseite befinden sich hingegen sofort zwischen den Fronten. Gerade wer zuvor in einer Agentur gearbeitet hat, kann für deren Entwürfe oft mehr Begeisterung aufbringen als für den Geschmack des CEO.
Trotzdem: Wer einmal auf Unternehmensseite angeheuert hat, macht den Wechsel zu einer Werbeagentur (zurück) später häufig nicht mehr, weil man dann im goldenen Käfig sitzt.