Bald entscheidet der Nationalrat, ob der Bundesrat der amerikanischen Verwahrerin des AHV-Ausgleichsfonds das Mandat entziehen soll.
Wenn Donald Trump von heute auf morgen die Ukraine zum Feind und Russland zum Freund erklärt – warum sollte er dann nicht eines Tages die Vermögen der Schweizer AHV-Versicherten blockieren? Bekämen pensionierte und invalide Schweizer dann noch eine Rente, Armeeangehörige einen Erwerbsersatz, wenn die Grossmacht den Kleinstaat Schweiz ins Visier nimmt?
Diese Sorge treibt die Schweizer Politik um, seit der AHV-Ausgleichsfonds sein Vermögen von über 40 Milliarden Franken der amerikanischen Grossbank State Street anvertraut hat. Als Depotbank wickelt sie Transaktionen ab, verbucht Dividendenzahlungen, kümmert sich um steuerliche und weitere administrative Aufgaben, die im Zusammenhang mit der Verwahrung von Vermögensanlagen anfallen.
Compenswiss, die zuständige öffentlichrechtliche Anstalt, vergab das prestigeträchtige Mandat Ende Dezember 2023 nach einem 18-monatigen Ausschreibungsverfahren. Die UBS, die das Geschäft 26 Jahre lang führte, ging leer aus.
Für Dagmar Kamber, 52, Schweiz-Chefin von State Street, war der Auftrag ein Höhepunkt. Nach der Zusage reiste sogar ihr Chef, der globale CEO von State Street, eigens nach Zürich, um der Belegschaft zu gratulieren. «Dieses Mandat erfüllt uns mit Stolz», sagt Kamber der NZZ.
Doch die Freude währte nur kurz.
Als der Wechsel der Depotbank einige Monate später einer breiteren Öffentlichkeit bewusst wurde, schrieb die «Weltwoche» warnend: «Das ist unverständlich und gefährlich. Das Vermögen der Schweizer Bürger, das sie in diese Sozialwerke stecken, muss maximal sicher sein.» Der Bankenrechtsprofessor Rolf Sethe sagte im vergangenen Oktober dem «Tages-Anzeiger»: «Die Bank wäre im Fall der Verhängung von Sanktionen seitens der US-Regierung gegen die Schweiz gezwungen, diese zu befolgen.» Dann schaltete sich das Parlament ein.
Kommende Woche nun entscheidet der Nationalrat, ob er der amerikanischen State Street den Auftrag wieder entziehen und dem Bundesrat gleichzeitig den Auftrag geben will, eine Schweizer Bank mit der Verwahrung der AHV-Milliarden zu betrauen. Das hiesse mit einiger Wahrscheinlichkeit: Der Auftrag geht zurück an die UBS.
SVP-Nationalrat Matter fordert Aufkündigung des Mandats
Für eine Repatriierung des Mandats ist der SVP-Nationalrat und Bankunternehmer Thomas Matter. Er sagt: «Das Risiko einer Beschlagnahmung der AHV-Vermögen durch die USA ist gering. Aufgrund ihrer hohen Bedeutung sollten wir dieses Risiko trotzdem nicht eingehen.» Der AHV-Ausgleichsfonds solle das Mandat beim nächsten ordentlichen Kündigungstermin einer Schweizer Bank geben.
Eine Annahme der Motion durch das Parlament wäre ein Schlag für den Schweizer Ableger State Street. Die 40 AHV-Milliarden entsprechen zwar nur einem Bruchteil des weltweit verwahrten Vermögens der US-Bank. Dieses beträgt über 40 000 Milliarden Dollar. Für Kamber geht es um das Prinzip: Auch Auslandbanken mit Bankenlizenz sollen in der Schweiz Aufgaben übernehmen dürfen.
Sie will das gewonnene Mandat verteidigen: «Falschinformationen dürfen nicht zur Grundlage für politische Entscheidungen werden», sagt sie.
Eine zentrale Falschinformation sieht Kamber in der Aussage der Wirtschaftskommission des Nationalrates, die im Januar bei der Einreichung des Vorstosses festhielt: «Aus Sicht der Kommission kann nicht ausgeschlossen werden, dass [State Street] allfällige Weisungen der US-Behörden zuungunsten der Schweiz befolgen müsste.»
Kamber sagt, es sei ein Trugschluss, zu glauben, dass im Konfliktfall das Risiko für die AHV-Gelder grösser sei, wenn sie bei einer amerikanischen statt einer Schweizer Depotbank lägen. Wenn die USA Schweizer Vermögenswerte einfrieren wollen, ist laut ihr eher das Gegenteil der Fall: State Street wäre weniger exponiert als eine reine Schweizer Bank. «Es wäre seltsam, wenn der amerikanische Staat eine eigene systemrelevante Bank mit Sanktionen belegen würde.»
Auch eine Schweizer Bank könne jederzeit ins Visier der US-Behörden geraten, wie das Beispiel der Bank Wegelin zeige, die 2012 nach einer Anklage durch das Justizministerium nicht mehr eigenständig bleiben konnte.
Das USA-Risiko des AHV-Ausgleichsfonds sei mit dem Wechsel der Depotbank nicht grösser geworden. «Kein Franken» sei deswegen zusätzlich über den Atlantik verschoben worden, sagt Kamber: «Wir fällen keine Anlageentscheide.» Die jeweiligen Aktien, Anleihen und anderen Vermögenswerte seien wie üblich im Herkunftsland bei einer «Unter-Depotbank» hinterlegt. In der Schweiz sei dies immer noch die UBS. In den Vereinigten Staaten wiederum sei dies schon bisher eine amerikanische Bank gewesen.
Ebenso energisch für State Street als Depotbank setzt sich der Chef des AHV-Ausgleichsfonds ein, Eric Breval. Er ist von dem Entscheid immer noch überzeugt: Die amerikanische Bank sei für die mehreren Millionen AHV-Versicherten die beste Lösung. Denn State Street investiere als reine Depotbank ihr Geld primär in diesen Geschäftsbereich. Bei einer Universalbank (wie der UBS) dagegen flössen die Investitionen «wahrscheinlich mit Priorität in Aktivitäten, deren Kapitalrendite höher ist». Sprich: in die Vermögensverwaltung, das Investment Banking oder das Asset-Management.
Die UBS jedoch betrachtet die Verwahrung nicht als Randgeschäft – und sieht sich als ebenbürtig mit der amerikanischen Konkurrenz. Auf Anfrage schreibt sie: «Das Geschäft mit institutionellen Kunden und im Speziellen das Depotbank-Geschäft ist für UBS wichtig, und wir sind einer der führenden Anbieter.» Man habe die Bedürfnisse der Compenswiss während 26 Jahren erfüllt. «Zudem hatten wir uns gegenüber Compenswiss formell verpflichtet, kontinuierlich in den weiteren Ausbau unserer Dienstleistungen zu Gunsten ihrer Versicherten zu investieren.»
Die Bankiervereinigung will keinen Heimatschutz
Obwohl man bei der Grossbank den Verlust des AHV-Mandats bedauert: Die UBS setzt sich nicht für einen Heimatschutz ein, wie die nationalrätliche Wirtschaftskommission ihn fordert. Die Schweizerische Bankiervereinigung, deren grösstes Mitglied die Grossbank ist, empfiehlt die Motion zur Ablehnung mit der Begründung: «State Street setzte sich in einem kompetitiven Auswahlverfahren gegen ihre Mitstreiterinnen durch und erhielt auf der Grundlage von sachlichen Kriterien (. . .) den Zuschlag.»
Die Vereinigung sei klar der Ansicht, dass sich private Firmen auf geregelte Beschaffungsprozesse verlassen können müssen. «Das ist unser Verständnis von Rechtssicherheit.» Ausserdem sei man überzeugt, dass mit dem Depotbankwechsel keine zusätzlichen Risiken verbunden seien. «Die Auswirkungen eines allfälligen, aber sehr unwahrscheinlichen Einfrierens von Vermögenswerten durch die US-Behörden sind für alle Banken ähnlich, unabhängig davon, wo sich der Hauptsitz befindet.»