Nach starken EM und Olympischen Spielen schliesst die Schweizer Leichtathletik bald ein äusserst erfolgreiches Jahr ab. Bei Weltklasse Zürich sorgt der Weitspringer Simon Ehammer für den einzigen Podestplatz in einer Diamond-League-Disziplin.
An einem kühlen Abend im Letzigrund war vor allem der Abschied warm, den das Schweizer Publikum seinen Athletinnen und Athleten bereitete. Mujinga Kambundji brachte es nach ihrem achten Platz über 100 Meter auf den Punkt, als sie sagte, die Freude über einen Lauf bei Weltklasse Zürich sei etwas grösser als ihr Energietank am Ende einer intensiven Saison.
Den meisten Schweizern ging es ähnlich. Zum Abschluss siegte die 4-mal-100-m-Staffel der Frauen noch; in den Disziplinen, die zur Diamond League zählten, sprang Simon Ehammer im Weitsprung als Dritter aufs Podest, auch wenn er die Acht-Meter-Marke um zwei Zentimeter verpasste. Für die Besten wie ihn und Kambundji steht in einer Woche noch der Diamond-League-Final in Brüssel an.
Dort endet eine Saison, in der die Schweizer Leichtathletinnen und Leichtathleten die Latte nochmals ein wenig höher gelegt haben als zuvor. Die Bilanz des Jahres 2024: Neun Medaillen an den Europameisterschaften in Rom – das ist Rekord. Drei vierte Plätze an den Olympischen Spielen in Paris – oder vier, wenn man Dominic Lobalu mitzählt, der an den EM für die Schweiz, bei Olympia aber für das Refugee Team startete. Dazu kommen ein Hallen-Weltmeistertitel von Simon Ehammer und eine zweistellige Zahl Schweizer Rekorde.
Trotz diesen Erfolgen zeichnet sich kein Ausruhen, keine Sättigung ab; aus Enttäuschung über verpasste Finals oder Medaillen flossen auch Tränen. Sie stehen dafür, wie hoch die Ansprüche der Schweizer Leichtathleten an sich mittlerweile sind.
Am Anfang waren die Europameisterschaften 2014 in Zürich
Diese Entwicklung nahm ihren Anfang vor genau zehn Jahren auf dieser Bahn im Zürcher Letzigrund, an den Europameisterschaften. Kariem Hussein gewann überraschend Gold, und Mujinga Kambundji wurde mit ihren vierten und fünften Plätzen im Sprint sowie dem verlorenen Stab zu Beginn des Staffelrennens auf einen Schlag zum Gesicht der Schweizer Leichtathletik. Wie der Verband Swiss Athletics und andere Protagonisten wie Weltklasse Zürich den Grossanlass im eigenen Land nutzten, um eine funktionierende Nachwuchsförderung aufzubauen, ist heute ein Vorzeigebeispiel.
Mujinga Kambundji, mittlerweile 32 Jahre alt, prägt die Schweizer Leichtathletik immer noch. Sie schafft es zuverlässig, nach schwierigen Phasen auf ihr höchstes Level zurückzufinden. Nach einem ganzen Jahr mit Fussproblemen startete sie verhalten in die Saison 2024. Doch an den EM verteidigte sie ihren Titel über die 200 Meter und wurde an den Olympischen Spielen zum zweiten Mal hintereinander Sechste über 100 Meter – sicher das Maximum, das möglich war.
Noch näher an den Medaillen waren im Stade de France in Paris gleich vier Landsleute. Da war Simon Ehammer, mit seinem Palmarès im Weitsprung der aussichtsreichste Kandidat für eine Medaille; er verschenkte beim besten Sprung aber die wohl entscheidenden Zentimeter vor dem Balken. Da war die Stabhochspringerin Angelica Moser, die im ersten Versuch 4,80 m überquerte, obwohl sie diese Höhe erst wenige Wochen zuvor erstmals gemeistert hatte. Meistens reicht diese Höhe für eine Olympiamedaille, dieses Mal nicht.
Da war Annik Kälin, die den Siebenkampf mit einem Schweizer Rekord beendete und bis zur letzten Disziplin noch auf einem Medaillenrang gelegen hatte. Und da war Dominic Lobalu, der über 5000 m erst kurz vor der Ziellinie abgefangen wurde. Damit wurde es nichts mit der ersten Schweizer Olympiamedaille seit 1988, als Werner Günthör im Kugelstossen Bronze gewann. Und doch zeigt die Breite an der Weltspitze und eben auch die Enttäuschung das neue Selbstverständnis der Schweizer Leichtathleten.
Der Grossteil der Athleten steht noch in der ersten Hälfte der Karriere
Als einziger Leistungsträger der vergangenen Jahre erlebte der Hürdensprinter Jason Joseph eine durchzogene Saison – doch er gewann an den Rekord-EM in Rom eine Bronzemedaille. Dort verbuchte ein Genfer den überraschendsten Erfolg der Saison: Timothé Mumenthaler, der über die halbe Bahnrunde Europameister wurde. Mit 21 Jahren steht er noch am Anfang seiner Karriere, wie Ditaji Kambundji, 22. Und selbst die Arrivierteren Joseph, 25, und Moser, 26, könnten im Idealfall noch zwei Olympiazyklen bestreiten.
Fast alle der heutigen Leistungsträger haben bereits in den Nachwuchskategorien Medaillen gewonnen. Die Philosophie von Swiss Athletics, möglichst viele Talente an den U-Meisterschaften Erfahrungen machen zu lassen, zahlt sich aus. Viele von ihnen betreten die internationale Bühne bei der Elite mit einem Selbst- und Leistungsbewusstsein, wie es noch vor ein paar Jahren unmöglich schien.
Ende August schickte Swiss Athletics eine Rekord-Delegation von 37 Athletinnen und Athleten an die U-20-WM in Kolumbien. Von den 17 Medaillen, die die Schweiz in dieser Kategorie je gewonnen hat, stammen über 40 Prozent aus den letzten drei Jahren.
In Kolumbien gewann unter anderem die 4-mal-100-m-Staffel der Frauen Silber. Eine der Sprinterinnen war die erst 15-jährige Timea Rankl. Kaum zurück, gewann sie am Vorabend von Weltklasse Zürich den Wettkampf «The next Kambundji» mit einem U-18-Landesrekord (11,61). Das Original Kambundji war vor Ort und gratulierte. Allerdings hat die 32-Jährige keinesfalls vor, die Bahn so bald der nächsten Generation zu überlassen: Kürzlich verkündete sie, dass sie bis zu den Olympischen Spielen in Los Angeles 2028 weitermachen wolle.