Patrik Jäger und Ken Wong, Portfoliomanager beim Vermögensverwalter IFS, setzen auf Schweizer Nebenwerte. Im Interview sagen sie, warum Mikron vom Boom bei Abnehmspritzen profitiert, welches Potenzial in Zehnder steckt und warum sie Comet dem Konkurrenten VAT vorziehen.
«Derzeit liegt die Kursdynamik der Grossunternehmen klar über dem langfristigen Trend und bei den kleinen Werten darunter.» Das sagen Patrik Jäger und Ken Wong, Portfoliomanager beim Vermögensverwalter IFS, im Interview. Überzeugt sind sie: «Das eröffnet mit Blick nach vorn neue Chancen im Bereich der kleinen und der mittelgrossen Unternehmen.»
Mehr als die Hälfte des von Jäger und Wong verantworteten IFS Small & Mid Cap Equity Fund ist in Gesellschaften mit einer Marktkapitalisierung von unter 5 Mrd. Fr. investiert. Im Gespräch erläutern die beiden Portfoliomanager, welches Potenzial sie in Nebenwerten wie Aryzta, Comet, Implenia und Siegfried sehen – und warum sie Lindt & Sprüngli sowie Sandoz meiden.
Herr Jäger, Herr Wong: Wie geht es den Schweizer Unternehmen?
Jäger: Derzeit leiden die Unternehmen noch unter dem Lagerabbau, doch die Industrie-Einkaufsmanagerindizes hellen sich langsam auf. Zudem sollten die erwarteten Zinssenkungen ab der zweiten Jahreshälfte die Konjunktur anstossen. Was uns Sorgen macht, sind die Wahlen in den USA. Unter einem allfälligen Sieg von Donald Trump und seinem Fokus auf die USA würde der erhoffte Aufschwung der europäischen Wirtschaft wohl leiden. Wir sind aber weder Politikspezialisten noch Makroökonomen.
Sie fokussieren auf Schweizer Nebenwerte. Wie stark werden sie von solch globalen Bewegungen beeinflusst?
Jäger: Selbst die kleineren kotierten Schweizer Unternehmen sind sehr global und exportorientiert. Eine Verunsicherung in der europäischen Wirtschaft und das Überdenken von Investitionsentscheiden würden ihre operative Entwicklung hemmen.
Wong: Die Bewertung der kleineren US-Gesellschaften hat Trump in seiner vorangegangenen Amtszeit allerdings positiv beeinflusst. Auch jetzt klafft die Bewertung zwischen den kleinen und den grossen Unternehmen auseinander. Aus dieser Warte könnte ein Sieg Trumps den kleinen kotierten Gesellschaften, die auch hierzulande vergleichsweise günstig bewertet sind, helfen.
Der SPI Extra, der die kleinen und die mittelgrossen Schweizer Unternehmen ausserhalb des Blue-Chip-Index SMI umfasst, hat seit dem Höchst von Ende 2021 rund ein Viertel eingebüsst. Der SMI steht rund 10% unter dem Höchst. Der Zinsanstieg und die konjunkturelle Verunsicherung haben die Kleinen viel stärker getroffen. Eröffnet das in diesem Segment nun wieder Chancen?
Wong: Schwergewichte im SPI Extra wie Straumann oder Tecan durchliefen während der Tiefzinsphase eine enorme Bewertungsexpansion, die sich nun zurückgebildet hat. Das prägte die Entwicklung des Index.
Jäger: Die grösseren Gesellschaften stehen stärker im Fokus des internationalen Kapitals, ihre Kurse reagieren ausgeprägter auf globale Börsentrends. Kleinere Werte werden primär von fundamentalen Treibern bewegt. Derzeit liegt die Kursdynamik der Grossunternehmen klar über dem langfristigen Trend, bei den kleinen Werten darunter. Ihr Zurückbleiben eröffnet mit Blick nach vorn neue Chancen in diesem Segment.
Ihr Fokus liegt auf Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von unter 5 Mrd. Fr. Das grösste Übergewicht haben Sie in Mikron, einem kleinkapitalisierten Maschinenbauer mit einem Börsenwert von 300 Mio. Fr.
Jäger: Unser Übergewicht bei Mikron haben wir im September aufgebaut – nach einer Roadshow bei Ypsomed. CEO Simon Michel sprach über seine Grossinvestitionen in Pens zur Applikation von Abnehmpräparaten wie GLP-1. Dabei erwähnte er, dass eine seiner Sorgen sei, genügend Assembly-Maschinen von Mikron zu erhalten.
Was Ihren Blick statt auf Ypsomed auf Mikron lenkte?
Jäger: Mikron war günstig bewertet und hielt eine Netto-Cashposition von rund 80 Mio. Fr. vor. Dazu hat sie mit dem ehemaligen CEO von Interroll, Paul Zumbühl, einen Präsidenten, der sie höchst erfolgreich neu ausrichtet: vom Anlagebauer zum Service-Provider. Das Ziel ist, damit Grossabnehmer wie Novo Nordisk oder eben Ypsomed als strategische Kunden an sich zu binden. Im Bereich GLP-1 erwirtschaftet Mikron derzeit erst 10% des Umsatzes. Die Nachfrage nach qualitativ hochstehenden und verlässlichen Assembly-Maschinen zur Herstellung der Verabreichungs-Pens wird aber noch massiv zunehmen.
Wong: Punkto Qualität erfüllt Mikron damit viele, aber noch nicht alle unsere Ansprüche. Zusätzlich zu den guten Wachstumsperspektiven gehen wir davon aus, dass die Verbreiterung des Serviceangebots sowohl die Margen steigern als auch den Gewinn stabilisieren wird, was die Berechenbarkeit erhöht.
Welche Qualitätsansprüche stellen Sie?
Wong: Für uns steht im Vordergrund, dass Unternehmen im Vergleich zu ihrer Branche eine hohe Rendite auf dem investierten Kapital erzielen. Auch soll die Bilanz solide sein. Krisen gibt es immer, und die widerstandsfähigsten Gesellschaften überleben sie nicht nur, sondern kommen oft gar gestärkt daraus hervor – weil sie Kunden auch dann verlässlich bedienen oder gar Konkurrenten übernehmen können. Zudem schauen wir auf die Schwankungsanfälligkeit des Betriebsgewinns. Wir wollen nicht in Eintagsfliegen investiert sein, sondern suchen nach stabilen Geschäftsmodellen, die über Jahre stetes Wachstum bieten. Das macht Unternehmen berechenbar und die Bewertung einschätzbar.
Was zeichnet diesbezüglich Siegfried aus? Auch im Auftragsfertiger für die Pharmaindustrie sind Sie übergewichtet.
Wong: Auftragsfertigung ist ein Skalengeschäft, und Siegfried gehört zu den Konsolidierern der Branche. Als wir vor mehr als zehn Jahren eingestiegen sind, machte die Gesellschaft rund 300 Mio. Fr. Umsatz, heute sind es 1,2 Mrd. Fr. Die Marge stand damals bei rund 11%, heute sind es 21%. Die viel grössere Lonza macht im Bereich Biologics 3,6 Mrd. Fr. Umsatz bei einer Marge von 36%. Das ist die Reise, die wir bei Siegfried sehen. Lonza hat als grösster Auftragsfertiger einen Marktanteil von global rund 5%, Siegfried steht erst bei 1%. Von diesem Niveau aus ist Wachstum fast garantiert. Dennoch handeln die Aktien zu einem Abschlag von rund 20% gegenüber dem Branchenschnitt.
Potenzial sehen Sie insbesondere in der Kleinheit von Siegfried?
Jäger: Auftragsfertiger sind quasi die Rückversicherer der Pharmaindustrie. Wenn neue Medikamente vor der Zulassung stehen, kann im Erfolgsfall der Bedarf an Produktionskapazität rasant steigen – bei einem Studienmisserfolg aber obsolet werden. Angesichts dieses Risikos bauen Pharmaunternehmen oft keine neuen eigenen Fabriken, sondern sichern sich vertraglich bei Zulieferern ab. Für einen kleinen Zulieferer ist es teuer, für solche Fälle Kapazität freizuhalten. Je grösser er wird, desto weniger fällt das finanziell ins Gewicht. Zudem wird er zum verlässlicheren Partner, was hilft, grössere Projekte zu gewinnen. All das steigert letztlich die Margen. Genau diesen Weg erwarten wir bei Siegfried.
Im Pharmabereich setzen Sie auch auf Tecan. Der Laborausrüster gehörte zu den grossen Gewinnern der Pandemie, hat die Kursgewinne aber abgegeben. Was gefällt Ihnen an ihm?
Jäger: Tecan ist eine klassische Qualitätsgesellschaft. Sie hat ihre Wurzeln in der Handhabung von Blut. Bei Blutkrebs braucht es ständige Kontrollen. Zudem können heute mit künstlicher Intelligenz über Proteine in Blutproben weitere Krebsarten diagnostiziert werden. Das sind Trends, die über Jahre weiterlaufen werden, und Tecan liefert die Laborausrüstung dafür.
Mit Blick auf Ihr auf Nebenwerte ausgerichtetes Portfolio sticht das Übergewicht in Roche hervor. Wie kommt es dazu?
Jäger: Roche bietet höchste Qualität – bezüglich Kapitalrendite, Verschuldung und Stabilität des Gewinns –, dennoch hat der Kurs im vergangenen Jahr massiv gelitten. Das gilt auch für Roche Inhaber, die in unserer Benchmark SPI Extra enthalten sind. In dieser Schwächephase haben wir stetig zugekauft, sodass Roche nun zu unseren grössten Positionen zählt. Nach Studienrückschlägen wartet der Markt derzeit auf neue Erfolge. Wir erachten die Zahlen, die das Unternehmen liefert, sowie seine Pipeline aber ohnehin als sehr vielversprechend, und die Bewertung zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 13 ist äusserst attraktiv.
Untergewichtet sind Sie hingegen in Sandoz. Wieso das?
Wong: Sandoz ist fast so hoch bewertet wie Roche, die Forschung und Entwicklung macht, Patentschutz geniesst und höhere Margen erzielt. Sandoz hingegen stellt Generika her. Sie ist in diesem Markt zwar global die Nummer eins und hat im Bereich Biosimilars gute Chancen, sich etwas vor Konkurrenz zu schützen. Doch der Beweis steht noch aus, dass damit Preismacht erarbeitet werden kann. Bei chemischen Nachahmerprodukten drücken indische Produzenten mit teilweise qualitativ minderen Produkten die Preise im Generikamarkt jedes Jahr weiter nach unten.
Ihr grösstes Untergewicht fahren Sie in Lindt & Sprüngli. Warum mögen Sie die Titel nicht?
Jäger: Lindt ist ein gutes Unternehmen und nimmt im Index mehr als 7% ein. Die Bewertung zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von fast 40 ist uns aber schlicht zu hoch. Da sehen wir erfolgversprechendere Anlagemöglichkeiten.
Gehen wir zu diesen: Sie schrecken offensichtlich nicht vor dem Bausektor zurück. Sowohl bei Zehnder als auch bei Implenia sind Sie übergewichtet. Steckt der Sektor nicht in der Krise?
Wong: Zehnder ist sehr gut geführt, und ihre Aktien sind derzeit sehr günstig zu haben. Sie handeln zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 10, und das im derzeitigen Gewinntief. Deshalb haben wir die Position jüngst zum Übergewicht ausgebaut.
Jäger: Genau die Krise bietet Chancen, zumindest bei Zehnder mit ihrer soliden Bilanz und der guten Marktposition. Je länger in Deutschland nicht gebaut wird, desto grösser wird der Nachholbedarf, wenn die Zinsen wieder sinken. Die Nachfrage nach neuen Wohnungen fällt nicht weg, sondern staut sich auf.
Was spricht derzeit für Implenia?
Wong: Implenia ist nicht vom Wohnungsbau abhängig, sondern fokussiert auf Spezialbauten wie Spitäler, Infrastrukturprojekte, Tunnelbauten sowie Labor- und Datenzentren. Als André Wyss 2018 CEO wurde, musste er erst aufräumen, Abschreibungen vornehmen und eine Risikokultur aufbauen. Seit rund drei Jahren laufen die operativen Geschäfte aber absolut planmässig. Der freie Cashflow nimmt zu, die Schulden sinken, die Eigenkapitalquote steigt, und es wird wieder eine Dividende ausgeschüttet. Angesichts eines gedrückten Kurs-Gewinn-Verhältnisses von rund 5 haben wir auch hier im vergangenen Jahr ein Übergewicht aufgebaut.
Im Halbleiterbereich fahren Sie gleichzeitig in entgegengesetzte Richtungen: Comet und Inficon sind über-, VAT untergewichtet. Wie kommt es dazu?
Jäger: Insgesamt sind wir im Semi-Bereich übergewichtet. Die hohe Bewertung von VAT nutzen wir aber als Gegengewicht.
Punkto Qualität wird VAT üblicherweise höher eingestuft als Comet oder Inficon. Von Ihnen nicht?
Jäger: Alle drei sind Qualitätswerte. Bei Comet sehen wir aber operativ mehr Potenzial. Dies hauptsächlich im RF-Generator, mit dem das Unternehmen neu am Markt ist. Er komplementiert das Angebot von Comet im Bereich Plasmakontrolle zur Chipherstellung. Mit Vakuumkondensatoren besetzt Comet einen Marktanteil von rund 70% im Bereich der Erzeugung von Plasma. Damit befindet sie sich auf einem ähnlich hohen Niveau wie VAT bei Vakuumventilen. Ziel von Comet ist es, den Chipherstellern das komplette Plasmasystem – Kondensatoren, die Matchbox und den RF-Generator – zu verkaufen, in dem alle Komponenten aufeinander abgestimmt sind. Darin sehen wir erhebliches Potenzial.
Im Industriebereich setzen Sie stark auf SFS. Welches Potenzial bieten die Aktien?
Jäger: Wir haben CEO Jens Breu im Januar an einer Konferenz getroffen, und er wirkte sehr zuversichtlich bezüglich des künftigen Geschäftsverlaufs. Die verhaltene Guidance, die das Unternehmen dann an der Jahrespräsentation abgab, erscheint uns daher konservativ, und wir sehen die Möglichkeit, dass sie zur Jahresmitte angehoben wird. Die Komponenten für die elektronische Parkbremse für Autos finden Anklang, und bei Stanzteilen gewinnt SFS Marktanteile. Mit dem Logistikzentrum der übernommenen Hoffmann, das bislang nur gut zur Hälfte ausgelastet war, bietet SFS nun neu Logistikdienstleistungen für Dritte an. Das könnte die Auslastung auf 80% steigern.
Wong: Das bietet attraktive Perspektiven für die günstig übernommene Hoffmann, die massive Effizienzgewinne bringen und die Rendite auf dem investierten Kapital mit Wirkung für das gesamte Unternehmen steigern kann.
Wieso sind Sie bei Aryzta engagiert? Die Gesellschaft kommt aus dem Turnaround und wächst wieder, aber die Bilanzqualität dürfte noch kaum Ihren Vorstellungen entsprechen.
Jäger: Wir haben die Position im vergangenen Jahr aufgestockt. Wir kamen zur Überzeugung, dass Aryzta in unsere Qualitätsansprüche hineinwachsen wird. Das internationale Geschäft erwirtschaftet bereits eine hohe Rendite auf dem eingesetzten Kapital von gegen 30%, in Europa sind es erst 11%. Das zeigt, dass es im Geschäft von Aryzta Segmente gibt, die sehr attraktiv sind.
Wong: Aryzta schreibt wieder guten Cashflow und kauft damit das ausstehende Hybridkapital zurück. Das wird das Finanzprofil verbessern – und hilft dank dem Wegfall der hohen Zinszahlungen gleichzeitig, den Gewinn für die Aktionäre zu steigern.
Was leuchtet derzeit neu auf Ihrem Radar auf?
Jäger: U-Blox könnte interessant werden. Dies, nachdem der neue CEO Stephan Zizala reinen Tisch gemacht hat und das Unternehmen künftig auf Positionierungschips fokussieren will. Bei den hoch präzisen Produkten, die es in zertifizierter Form beispielsweise für autonomes Fahren braucht, nimmt U-Blox bereits heute eine führende Marktposition ein. Konkurrenten wie Qualcomm decken mit ihrem Angebot stärker den Konsumbereich ab.
Bei der Präsentation der neuen Strategie im März hat der Kurs einen Rückschlag erlitten. Hat das den Boden für einen Einstieg bereitet?
Wong: Die Abschreibungen haben belastet, aber damit wurde auch die alte Verbuchungspraxis abgeschafft, die Entwicklungskosten in der Erfolgsrechnung zu aktivieren – ohne dass klar war, wie werthaltig sie sein würden. Auch diese buchhalterische Unsicherheit ist nun weg. Dazu kommt, dass SEO, das Family Office von Thomas Schmidheiny, neu der grösste Einzelaktionär von U-Blox ist. SEO beansprucht einen Verwaltungsratssitz und ist bekannt dafür, den Managern genau auf die Finger zu schauen und sich aktiv einzubringen. Das ist für alle Publikumsaktionäre von Vorteil.
Zur Person
Patrik Jäger, Portfoliomanager, ist seit 2011 bei IFS und seit 2016 verantwortlich für den IFS Small & Mid Cap Equity Fund sowie weitere Aktienstrategien. Zuvor war er bei der BZ Bank als Fondsmanager und Finanzanalyst. Er startete seine Karriere 2004 bei der WestLB im Bereich Equity Capital Markets. Der 43-jährige Schweizer verfügt über einen Abschluss in Volkswirtschaftslehre der Universität St. Gallen. Zudem absolvierte er die Weiterbildung zum CFA Chartered Financial Analyst.
Zur Person
Ken Wong ist seit 2021 Co-Manager des IFS Small & Mid Cap Equity Fund. Zudem betreut er als Senior Relationship Manager vermögende sowie institutionelle Kunden. Zuvor war er über vierzehn Jahre Partner und Leiter der Kundenfront sowie Analyst bei der BZ Bank. Der 44-jährige Schweizer verfügt über zwanzig Jahre Erfahrung in der Finanzindustrie und besitzt einen Bachelor of Science in Business Administration in Banking und Finance.