Immer mehr Menschen haben leichte Hörprobleme. Apple hat dafür jetzt eine Lifestyle-Lösung. Nun muss der Schweizer Weltmarktführer um seine Nachwuchskunden kämpfen.
Der Apple-Konzern ist ein Meister in Marketing und Produktentwicklung. Das jüngste Beispiel: Der zunehmende Hörverlust vieler junger Menschen wird unter anderem auf den Genuss lauter Musik mit Kopfhörern zurückgeführt. Besonders schädlich ist, wenn Modelle im Ohr getragen werden, die nah am Trommelfell sitzen. Der Hörschaden kann ein Hörgerät notwendig machen.
Was also tut Apple? Entwickelt einen stylischen und teuren Im-Ohr-Kopfhörer, der gleichzeitig ein Hörgerät ist. Das ist so, als hätte ein Premium-Feuerzeug einen integrierten Feuerlöscher – und es ist die Idee hinter dem neuesten Software-Update zu den Airpods Pro 2, das in dieser Woche präsentiert wurde. Die Modifikation der ikonisch weissen Kopfhörer, die ab 200 Franken zu kaufen sind, stahl der neuen iPhone-Reihe fast die Show.
Das Hörgerät kommt per Software-Update
Apple bezeichnet das Feature als die weltweit erste «all-in-one hearing health experience». Das dürfte den etablierten Anbietern von Hörgeräten aufstossen – allen voran Sonova, dem Weltmarktführer aus der Schweiz. In Reaktion auf die Ankündigung büssten die Aktien von Sonova am Dienstag zeitweilig bis zu 4 Prozent an Wert ein. Die Valoren der beiden grössten Konkurrenten, GN Store Nord und Demant aus Dänemark, gingen mit Abschlägen zwischen 3 und 4 Prozent aus dem Handel.
Apples Hörhilfe-Funktion wird im Herbst durch eine Aktualisierung der Betriebssoftware für die Airpods in über 100 Ländern lanciert, darunter in den USA und Deutschland – und damit wahrscheinlich auch in der EU und der Schweiz. Voraussetzung ist, dass die Zulassungsbehörden zustimmen. Denn eine Hörhilfe ist ein medizinisches Gerät.
Die Anpassung an den Träger wird eine Apple-App übernehmen, mit welcher der Nutzer seine Hörfähigkeit testet und mögliche Hörschwächen erfasst. Die festgestellten Defizite wird der Airpod Pro dann ausgleichen. Möglich ist das, weil in den Geräten bereits Aussenmikrofone verbaut sind, die zum Beispiel für die Unterdrückung der Aussengeräusche gebraucht werden.
Die Grenzen zum Lifestyle verschwimmen
Doch die etablierten Hersteller können für den Moment durchatmen. Der neue Airpod ist kein klassisches Hörgerät. Solch ein Gerät, wie es Sonova etwa unter der Marke Phonak vertreibt, ist deutlich aufwendiger, teurer und wird von einem Arzt oder Hörakustiker angepasst. Es ist für Patienten gedacht, die erheblich unter Schwerhörigkeit leiden. Apple hingegen bietet immer mehr Produkte und Features an, die einen Bezug zu Gesundheit und Fitness haben – alles keine reinen Medizinprodukte.
Allerdings verschwimmen die Grenzen zwischen dem medizinischen Segment und dem Lifestyle-Bereich mit seinen sogenannten Wearables. In den USA ist es seit zwei Jahren erlaubt, Hörgeräte ohne Fachberatung zu verkaufen, einfach im Laden oder online (over-the-counter, OTC). Zwar kann ein Spezialist das Gerät oftmals besser einstellen – aber wenn ein Kunde diesen Aufwand scheut, zum Beispiel weil er das Hörgerät nur selten trägt, kann er darauf verzichten.
Auch im Grenzbereich zwischen OTC-Hörhilfen und Kopfhörern wird der Markt durchlässiger. Sonova hat Anfang 2022 die Kopfhörer- und Lautsprecher-Sparte der deutschen Firma Sennheiser gekauft. Sennheiser hat zum Beispiel auch TV-Kopfhörer im Programm, welche die Dialoge in Fernsehsendungen verstärken, damit der Zuschauer sie besser versteht. Und in den USA hat Sennheiser vor einem Jahr ein OTC-Hörgerät auf den Markt gebracht.
Apple macht da Konkurrenz, wo die Musik spielt
Das Kalkül von Sonova und Sennheiser: Kunden mit einem erst leichten oder mittleren Hörverlust sollen sich früh an die Marke gewöhnen und an sie gebunden werden. Bei dieser Einstiegsklientel sei Apple jetzt ein ernstzunehmender Konkurrent mit grosser und loyaler Kundenbasis, schreibt die Helvetische Bank. Die Bank Vontobel erwartet hingegen, dass die Käufer letztlich doch eine professionelle Hörgeräteanpassung verlangen werden, wenn der Hörverlust fortschreitet.
Dort hat der Spezialist Sonova seine Stärken. Und bisher hat der OTC-Markt dem traditionellen Geschäft noch nicht das Wasser abgegraben – was auch mit der konjunkturellen Unsicherheit in den USA während der vergangenen anderthalb Jahre zu tun hat. Die Verkäufe in diesem Bereich hängen stärker von den Konsumausgaben ab als der Umsatz mit medizinischen Hörgeräten.
Das OTC-Geschäft habe sich langsam entwickelt, teilt Sonova auf Anfrage mit. Bezüglich Apple hiess es, Sonova begrüsse alle Innovationen, die Personen mit einem Hörverlust weiterhälfen.
Dennoch ist das Einsteigersegment wichtig. Die UBS schätzte unlängst, dass sich in der vergangenen Dekade 80 Prozent des Marktwachstums bei Hörgeräten im Bereich der leichten Hörverluste abgespielt hätten. Zugleich ist dieses Segment noch weitaus weniger gesättigt als bei Kunden mit erheblichen Hörschäden. Der Elektronikriese Apple weiss genau, warum er hier eine Lösung für seine Airpods lanciert.
Sonova hat endlich wieder Aufwind
Dabei lief es für Sonova gerade so gut: Vontobel hat jüngst das Kursziel für die Aktien des Unternehmens auf 310 Franken erhöht; gegenwärtig stehen die Titel bei fast 300 Franken. Die Papiere des SMI-Konzerns haben sich damit ein gutes Stück aus dem Tal herausgearbeitet, in das sie nach dem Boom der Corona-Pandemie gerutscht waren. Der Marktführer Sonova hat an der Börse nun auch gegenüber den dänischen Konkurrenten leicht die Nase vorn.
Dies liegt einerseits daran, dass Demant in diesem Jahr aufgrund enttäuschender Geschäftszahlen an Boden verloren hat. Andererseits, dass Sonova Anfang August mit neuen Produkten überzeugte. Das Unternehmen hat dabei nicht nur eine neue Hörgeräte-Plattform auf den Markt gebracht, wie es alle zwei Jahre üblich ist.
Der Konzern aus Stäfa lancierte auch eine Modellreihe, die mit einem speziellen Chip auf künstliche Intelligenz (KI) setzt, um Sprache in lärmiger Umgebung herauszufiltern und zu verstärken. Die Helvetische Bank hält aufgrund der neuen Plattformen erhebliche Marktanteilsgewinne für möglich; die UBS ist zurückhaltender.
Die ersten Rückmeldungen von Händlern und Kunden waren gut. Das ist wichtig, weil Sonovas vorige Produktplattform nicht alle Erwartungen erfüllt hatte. Der Konzern hatte Marktanteile verloren und lag 2023 laut der UBS mit 30 Prozent nur noch knapp vor Demant. Nun peilt Sonova für das Geschäftsjahr von April 2024 bis März 2025 ein Umsatzwachstum in Lokalwährungen von 6 bis 9 Prozent an. Das wäre mindestens doppelt so viel wie im Vorjahr, als ein Erlös von 3,6 Milliarden Franken sowie ein Betriebsgewinn (Ebit) von 670 Millionen Franken resultierten.