Montag, September 30

Der Marktführer unter den Spielzeugunternehmen setzt bei seinen Steinen auf rezykliertes Plastik. Dieses ist zwar besser fürs Klima, aber noch immer problematisch für Umwelt und Gesundheit. Legos Geschäft dürfte trotzdem profitieren.

Jeden Tag gehen Menschen die Küste Irlands entlang und suchen im Sand nach Legosteinen. 1997 gab es im Atlantik ein Schiffsunglück. Fast fünf Millionen Legosteine gingen über Bord und verteilen sich seither in alle Weltmeere. Immer wieder werden sie an Land gespült. Sammler und Sammlerinnen suchen danach und teilen ihre Funde stolz in der Facebook-Gruppe «Lego Lost at Sea».

Legosteine sind langlebig. Sie überstehen Jahrzehnte unversehrt im Meer. Diese Robustheit ist eine der grössten Qualitätsmerkmale von Lego. Sie ist aber auch eine der grössten Schwächen des Konzerns. Lego ist aus Plastik. Es wird aus Erdöl hergestellt. Gelangt es in die Umwelt, bleibt es da. Und kann sich nicht zersetzen.

Lego hadert damit, klimafreundliche Materialien zu finden

Der dänische Spielzeughersteller hat das Problem erkannt. Seit fast zehn Jahren versucht er schon, nachhaltige Materialien für seine Steine zu finden. Er hadert damit, musste seine Strategie mehrmals ändern, Ideen verwerfen. In rezyklierten PET-Flaschen glaubte Lego erst, das perfekte umwelt- und klimaschonende Material für seine Steine gefunden zu haben. Tim Brooks, Legos Vizepräsident für Umweltverantwortung, sagte damals: «Wir freuen uns riesig über den Durchbruch.»

Doch die Idee mit den Plastikflaschen scheiterte. PET ist als Material nämlich weicher als das herkömmliche Lego-Plastik. Es braucht mehr Energie, um es in die Form harter Legosteine zu bringen. Lego hätte die gesamte Produktion umbauen müssen. Der CO2-Ausstoss bei der Herstellung wäre schliesslich sogar höher gewesen.

Legos Forschung scheint nicht so richtig voranzukommen. Dabei läuft es geschäftlich sehr gut für den Konzern. Das zeigen auch die neusten Halbjahreszahlen: Der Umsatz wuchs um 13 Prozent auf umgerechnet 3,9 Milliarden Franken im Vergleich zum Vorjahr, der Betriebsgewinn liegt bei rund einer Milliarde Schweizerfranken. Damit ist Lego Marktführer der Spielzeugbranche und führt in Sachen Profitabilität.

Lego-Fenster aus alten Küchenoberflächen

Nach dem Scheitern des PET-Projekts geht Lego jetzt vorsichtiger vor. Wollte Lego ursprünglich bis 2030 alle Legosteine aus nachhaltigen Materialien herstellen, hat der Konzern das Ziel jetzt auf 2032 verschoben. Er mischt dazu einerseits fossiles Erdöl mit gebrauchten Speiseölen und anderen pflanzlichen, erneuerbaren Ölabfällen und will den rezyklierten Anteil kontinuierlich steigern.

Andererseits experimentiert Lego weiterhin mit neuen Materialien. Der Spielzeughersteller hat zum Beispiel rezyklierte Küchenarbeitsplatten als neuen Kunststoff entdeckt. Er macht daraus kleine Spielzeug-Fenster, Lichtschwerter, Windschutzscheiben. Doch etwas haben alle Materialien gemeinsam: Sie sind letztlich aus Kunststoff.

Problematisches Recycling-Plastik

Rezykliertes Plastik braucht zwar weniger Erdöl und ist damit klimafreundlicher als Neuplastik. Für die Umwelt und die Gesundheit ist es aber problematisch. Denn auch in rezyklierten Varianten von Plastik können Petrochemikalien verbleiben, darunter Stabilisatoren oder andere Zusatzstoffe, wie ein Bericht des Umweltprogramms der Uno vom letzten Jahr zeigt. Petrochemikalien bilden die Basis von Plastik. In Form von Mikroplastik gelangen sie ins Trinkwasser, in die Böden, in den Körper.

Die Petrochemikalien können auch aus rezykliertem Plastik freigesetzt werden. «Generell ist es nicht möglich, einzelne, unbedenklichere Plastik-Komponenten herauszutrennen und zu rezyklieren», sagt Gustav Nyström. Er forscht an der Empa, dem interdisziplinären Forschungsinstitut für Materialwissenschaften an der ETH.

Auch Zhanyun Wang, ebenfalls Forscher an der Empa, sagt: «Bis auf wenige Ausnahmen ist rezykliertes Plastik nicht sicherer als Neuplastik, wenn es um Gesundheitsaspekte geht.» Rezykliertes Plastik aus PET-Flaschen sei eine dieser unbedenklicheren Ausnahmen, meint er. Doch genau dieses Material hatte Lego wegen des höheren Energieaufwands verworfen.

70 Prozent Mehrkosten bei der Produktion

Lego verweist auf Nachfrage auf das Statement des CEO Niels Christiansen: Man habe bedeutende Fortschritte bei der Verwendung von nachhaltigen Materialien in seinen Produkten machen können.

Bis nächstes Jahr will Lego die Investitionen in Bestrebungen im Umweltbereich im Vergleich zu 2023 deutlich erhöhen. In der Produktion von Legosteinen will der Konzern den Anteil an erneuerbarem Kunststoffharz – die gebrauchten Speiseöle, die mit fossilem Erdöl gemischt werden – kontinuierlich steigern. Für das erneuerbare Kunststoffharz sei Lego bereit, 70 Prozent mehr in der Produktion zu bezahlen, wie Christiansen gegenüber mehreren internationalen Medien sagte.

Ein cleverer Schachzug

Trotzdem dürfte das Vorhaben für Lego kommerziell aufgehen.

«Die Mehrkosten, die für Lego durch die Umstellung auf rezykliertes und erneuerbares Plastik anfallen werden, dürften relativ gering ausfallen», sagt Oliver Gassmann. Er ist Professor für Innovationsmanagement an der Universität St. Gallen. Die Zahlungsbereitschaft der Kundinnen und Kunden sei so hoch, dass die höheren Kosten unwesentlich ins Gewicht fallen dürften. «Die Gewinnmarge würde sich nur marginal verringern.» Indem das Unternehmen Grössenvorteile nutzt und die Produktion, Logistik und den Einkauf effizienter macht, könnte Lego die höheren Herstellkosten wieder ausgleichen.

Gassmann glaubt, dass Lego von der Umsetzung dieser Nachhaltigkeitsstrategie vor allem aus Marketingsicht profitiert. «Der grösste Mehrwert ist die Markenloyalität.» Die Kundschaft erwarte Nachhaltigkeit, und Lego gehe darauf ein. Sehr wahrscheinlich würden umweltbewusste Kundinnen und Kunden auch eine kleine Preissteigerung akzeptieren.

Lego ist ein Plastikprodukt

Zu sehr kann Lego sein Kernprodukt nicht ändern. Der Legostein ist so erfolgreich, weil er in seiner Einfachheit funktioniert, und er funktioniert, weil das Material es zulässt: Der für die Produktion von Legosteinen verwendete Kunststoff kann verflüssigt, in eine Form gespritzt und gehärtet werden. Das muss auch bei nachhaltigeren Materialvarianten möglich sein. Bei Lego folgt die Form der Funktion.

Mit dem Schritt zum Legostein aus erneuerbarem, rezykliertem Plastik ist Lego in der Branche nicht allein. Mit Mattel hat einer der Hauptkonkurrenten angekündigt, bis 2030 – zwei Jahre vor Lego – alle Produkte nur noch aus rezykliertem oder erneuerbarem Plastik zu produzieren. Der profitstarke Marktführer Lego würde für Unverständnis sorgen, wenn er da nicht mithalten könnte.

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