Er spielt alles, vom Gentleman-Gauner bis zum Trapper. Im Privaten konzentriert er sich: auf Models, Jachten und Europa. Jetzt wird der Filou 50 Jahre alt.
Als er 1997 vor lauter Liebe im Eismeer versank, hinter ihm die «Titanic», vor ihm eine Weltkarriere wie selten eine in Hollywood, war noch nicht ganz klar, wie er genau verlaufen würde, sein Werdegang als Schauspieler. Würde er für Jahre der süsse Loverboy sein, der, lange bevor Achtsamkeit und Gendersensibilität in Mode kamen, den Frauen das Gefühl vermittelte, dass Männer doch nicht die Barbaren sind, für die sie manche Feministinnen immer gehalten hatten?
Sein irgendwie niedliches, erst seit den 2020er Jahren markanter werdendes Jungsgesicht – eine Quersumme aus Goldhamster und Robert Redford – hatte schon in «Romeo + Juliet» das weibliche Weltpublikum in Ekstase versetzt. Und Originaltext von Shakespeare sprechen konnte er auch!
Leonardo DiCaprio: ein Fetisch fürs Kino, das, vermüllt von Actionstoffen, ab den späten Achtzigern die Frauen als Zielgruppe immer mehr aus den Augen verlor (sie stahlen sich zeitweise ins Serienfernsehen davon, wo die Erzählungen differenzierter waren und die Männerfiguren anspruchsvoller).
Oscar fürs Grunzen
Er spielte dann so ziemlich alles weg, was das neuere Hollywoodkino an verwertbaren Typen zu bieten hatte: Gauner und grössenwahnsinnige Magnaten, Agenten und Söldner, frustrierte Ehemänner und Mafiosi mit Vaterkomplex.
Dass er für eine Rolle den Oscar bekam, deren Sprechpart weitgehend aus Grunzen und Stöhnen bestand, bestätigte nur, was irgendwann alle wussten: Leonardo DiCaprio ist der grösste Darsteller seiner Generation. Ben Affleck, Matt Damon oder Johnny Depp sind bedeutende Mimen, aber drei Stunden durch den Schnee stapfen und dabei das Publikum bei Laune halten wie DiCaprio in «The Revenant»: Das können sie nicht.
Parallel zu diesem fulminanten Bildungsroman im Kino verlief DiCaprios Datinggeschichte, die erzähllogisch auf eine Zeile von Kraftwerk zusammenschnurrt: «Sie ist ein Model, und sie sieht gut aus.» Unter den rund zwanzig Frauen, die DiCaprio bis heute gedatet haben soll – die Zahlen gehen auseinander, weil die Grenze zwischen «flirten» und «eine Beziehung führen» für den Boulevard fliessend ist –, ist nur eine nicht professionelle Schönheitsdarstellerin, die Schauspielerin Blake Lively. Alle anderen waren Laufstegbeautys, und wer sagte, der Mann scrollt sich zwecks Partnerwahl einfach durch die Sedcards grosser Modelagenturen, lag vielleicht gar nicht so falsch.
«Mein Date ist zu alt»
Natürlich war Häme programmiert, zumal der Altersunterschied von Hollywoodstar und Begleiterin im Schnitt bei 20 Jahren lag. Ricky Gervais machte als Moderator der Golden Globes den entsprechenden Witz: «Der Film ist drei Stunden lang. Als DiCaprio mit seiner Freundin am Ende das Kino verliess, stellte er fest: Mein Date ist zu alt.»
Abgesehen davon, dass die Kritik am Altersunterschied den zwar jüngeren, aber erwachsenen Frauen unterstellt, sie seien nicht selber in der Lage, zu entscheiden, ob sie sich einem älteren Mann hingeben, liegt im Dating nach Warhol-Prinzip – ein Image wird so lange vervielfältigt, bis man seinen Nimbus als Prinzip des Marktes erkennt – womöglich eine Entlastung. Wenn ich schon vor der Kamera in unzählige Rollen schlüpfen und mein Innerstes nach aussen krempeln muss, soll’s wenigstens im Privatleben unkompliziert und einheitlich sein.
Die Flexibilitätsansprüche des Mediengeschäfts sind gnadenlos. Da ist es gut, wenn die Zielgruppe des romantischen Begehrens nicht auch noch komplex ist wie ein Thesenpapier zur Diversität. Man kann das zynisch, sexistisch und peinlich finden, aber wer ein wertkonservatives Auftreten bevorzugt, muss sich an Stars wie Mark Wahlberg oder Matt Damon halten.
Sie sind seit Jahrzehnten verheiratet und werden nicht müde, ihre Treue als berufsfördernde Massnahme auszustellen. Hinter ihren Karrieren steht die loyale Ehefrau, was auch nicht unbedingt als progressives Gendermodell durchgeht. Hinter DiCaprio stehen Agenten, Paparazzi und Fans. Partnerinnen laufen nur durchs Bild.
Odysseus der Partyspässe
Die zweite Konstante in dieser auf Vielseitigkeit geeichten Karriere ist Europa, namentlich Ibiza und die Amalfiküste. Dort kurvt DiCaprio seit Jahren auf Luxusjachten umher, ein Odysseus der Partyspässe, der immer unterwegs sein muss, aber nie irgendwo ankommt. Die Jacht verkörpert die paradoxe Natur des Starlebens perfekt: Luxuriös residieren, aber beweglich sein. Ein Zuhause haben, aber nur auf Zeit.
Wenn die bürgerliche Normvorstellung von Heim und Herd sowieso auf Sand gebaut ist, warum dann nicht im Fluss sein? Oder im Golf von Salerno? Man kann dem Mann von Jugendwahn bis Bindungsangst alles Mögliche vorwerfen – eine Partnerin ins Korsett häuslicher Pflichten einzusperren, jedenfalls nicht.
Wohin wird ihn diese doppelte Dynamik von Differenzierung und Fixierung führen, jetzt, da er 50 ist? Leonardo DiCaprio: auf immer ein Star zwischen künstlerischer Vertiefung und erotischer Verflachung? Wir werden es sehen. Auf der Leinwand. Und in jeder Gazette von Tupfingen bis Tokio.