Abercrombie & Fitch war in den Nullerjahren angesagt, stand später aber nur noch für Ausgrenzung und Diskriminierung. Mehr als zehn Jahre nach seinem Abgang werden dem ehemaligen CEO jetzt schwere Vorwürfe gemacht.
Es gab eine Zeit, da war Mike Jeffries einer der coolsten Männer Amerikas. Oder er wollte es sein. Zumindest war er Chef von einer der coolsten Marken: Abercrombie & Fitch. Um die Jahrtausendwende und in den Jahren danach standen Teenager auf der ganzen Welt Schlange vor den Geschäften, versuchten, ein Foto mit einem der Models zu machen und räumten die Regale leer. Wer zu den Coolen und Beliebten gehören wollte, trug Abercrombie.
Das gilt so längst nicht mehr. Heute, mehr als zehn Jahre nach seinem grössten Erfolg, steht Michael «Mike» Jeffries vor einem Scherbenhaufen. Am Dienstag wurde er in seinem Zuhause in Florida verhaftet. Die Staatsanwaltschaft des New Yorker Bezirks Brooklyn hat Anklage gegen Jeffries und seinen britischen Partner Matthew Smith erhoben. Beiden werden schwere Sexualverbrechen vorgeworfen. Über Jahre hinweg sollen sie männliche Models sexuell ausgebeutet haben.
Jeffries führte Abercrombie & Fitch zum Erfolg
Es ist der bisher schwerwiegendste in einer Reihe von Skandalen, die Abercrombie & Fitch und Mike Jeffries seit Mitte der 2000er Jahre begleiten. Es geht um Ausgrenzung, um Macht, um Sexualisierung und eine Obsession mit «perfekten» Männerkörpern. Faktoren, ohne die der Erfolg von Abercrombie &Fitch nicht möglich gewesen wäre.
Um das zu verstehen, ist ein Blick auf die Geschichte der Modemarke nötig. Ihr Aufstieg und der von Mike Jeffries sind eng miteinander verknüpft. Jeffries wurde 1944 geboren und wuchs in Los Angeles auf. Als er im Jahr 1992 als CEO zu Abercrombie & Fitch stiess, hatte er zwei herbe Rückschläge hinter sich. Sowohl die von ihm gegründete Modemarke Alcott & Andrews als auch die Bekleidungskette Paul Harris, bei der er anschliessend gearbeitet hatte, waren bankrott gegangen.
Abercrombie & Fitch wiederum hatte wenige Jahre zuvor ebenfalls Konkurs anmelden müssen. Das Unternehmen, gegründet im Jahr 1892, hatte bis zu diesem Zeitpunkt teure Outdoor-Kleidung, Camping-Ausrüstung und Angler-Material verkauft. Nach dem Konkurs kaufte der Einzelhandel-Mogul Les Wexner die Marke auf und heuerte Mike Jeffries an, um sie wieder auf Kurs zu bringen. Unter ihm sollte sich die Ausrichtung von Abercrombie & Fitch grundlegend verändern.
Das neue Image: cool, amerikanisch, sexy
Jeffries entwarf ein völlig neues Image-Konzept für die Marke. Die Formel: Schlichte, aber modische Kleidung, ein Marken-Profil, das stark an amerikanische Colleges und Highschools angelehnt ist und viel Sex-Appeal und nackte Haut. Das Ergebnis war eine Mischung aus Calvin Klein und Ralph Lauren, allerdings zu deutlich erschwinglicheren Preisen.
Jeffries erkannte, dass es als Modemarke nicht ausreicht, ansprechende Kleidung zu verkaufen. Stattdessen müssen die Kunden mit der Marke ein gewisses Gefühl verbinden – ein Gefühl der Zugehörigkeit und Exklusivität, das die Kleidung verspricht. Wer Abercrombie trägt, so das Versprechen, ist Teil eines auserwählten Kreises und gehört dazu.
Doch mit zunehmendem Erfolg zeigte sich, dass die Exklusivität, die Abercrombie & Fitch ausstrahlte, auch eine Schattenseite hatte: Ausgrenzung. Cool zu sein, bedeutete für Mike Jeffries eben auch, dass man einer bestimmten Norm zu entsprechen hatte. Grosse Grössen gab es in den Läden gar nicht erst zu kaufen, wer Abercrombie trug, hatte schlank zu sein.
Ausgrenzung als Geschäftsmodell
In einem Interview aus dem Jahr 2006, das erst Jahre später für Aufsehen sorgte, brachte Mike Jeffries das Konzept wie folgt auf den Punkt: «Wir wollen die coolen Kids. Wir wollen die attraktiven, all-american Kids mit toller Einstellung und vielen Freunden. Viele Leute gehören nicht in unsere Kleidung, und sie können auch gar nicht dazugehören.»
Die Ausgrenzung galt nicht nur für potenzielle Kunden, sondern auch für die Mitarbeiter im Geschäft. Interne Dokumente, die nach Jeffries› Abgang auftauchten, zeigen, worauf die Manager der Abercrombie-Läden bei Anstellungen zu achten hatten: So waren etwa «klassische» Frisuren erwünscht und Dreadlocks nicht akzeptiert, die dargestellten «Muster-Angestellten» waren allesamt weiss.
Im Jahr 2003 reichten ehemalige Angestellte, die allesamt einen Migrationshintergrund hatten, eine Sammelklage gegen das Unternehmen ein. Sie gaben an, sie hätten aufgrund ihres Aussehens im Lager oder in der Reinigung arbeiten müssen oder seien gar entlassen worden. Die Klage wurde aussergerichtlich beigelegt. Abercrombie & Fitch zahlte den Klägern Entschädigungen in Millionenhöhe.
Boykotte bringen die Wende
Über lange Zeit hinweg schienen solche Negativschlagzeilen dem Image des Unternehmens nichts anzuhaben. Im Jahr 2012 erreichte der Umsatz von Abercrombie & Fitch mit 4,5 Milliarden Dollar seinen Höhepunkt. Jeffries hatte das Unternehmen zu dieser Zeit fest im Griff: Neben seinem CEO-Posten war er auch Präsident des Verwaltungsrats und hielt Aktienanteile an Abercrombie & Fitch.
Doch 2013 kam die Wende: Das kontroverse Interview mit Jeffries aus dem Jahr 2006 machte medial breit die Runde, es folgten Boykottaufrufe. Für Jeffries wurde es immer schwieriger, sich im Sattel zu halten. Im selben Jahr wählte ihn das Finanz-Magazin «The Street» zum «Schlechtesten Geschäftsmann des Jahres». 2014 wurde ihm erst der Posten des VR-Präsidenten entzogen, schliesslich trat er auch als CEO zurück. Zu diesem Zeitpunkt hatte Abercrombie & Fitch bereits sieben Quartale in Folge rückläufige Umsätze verzeichnet.
Mit dem Abgang Jeffries› endeten die schlechten Nachrichten zunächst nicht. 2015 klagte sich eine Bewerberin, die von Abercrombie & Fitch wegen ihres Kopftuchs abgelehnt worden war, bis zum Supreme Court durch und bekam Recht.
Erst später gelang es dem Unternehmen, sich neu aufzustellen. Fran Horowitz, die 2017 den CEO-Posten übernahm, erklärte: «Wir sind nicht mehr das Abercrombie & Fitch, das Sie einst kannten.» Heute präsentiert sich die Marke als divers und vielfältig und spricht nicht nur Teenager, sondern auch erwachsene Kundinnen und Kunden an. Der Erfolg macht sich bemerkbar: Die Aktie legte im Lauf des vergangenen Jahres um 285 Prozent zu.
Erst Jahre später kommen die Taten ans Licht
Mike Jeffries hingegen verschwand nach dem Ende seiner Karriere aus der Öffentlichkeit. Erst zehn Jahre nach seinem Abgang bei Abercrombie & Fitch kam die dunkelste Schattenseite seiner Zeit als CEO ans Licht: der Umgang mit den Models.
Für das Image von Abercrombie, das Jeffries so akribisch pflegte, waren Models essenziell. Auch sie verkörperten eine bestimmte Ästhetik: Sie waren jung, weiss, schlank – und in aller Regel Männer mit durchtrainiertem Oberkörper. Zwar gab es auch Frauen, die für Abercrombie modelten. Aber es waren die Fotos von oberkörperfreien Männern, aufgedruckt auf Einkaufstaschen, Plakaten und Katalogen, die zum inoffiziellen Symbol von Abercrombie & Fitch wurden.
Einen grossen Teil der Models rekrutierten die von Jeffries ausgesandten Talentsucher direkt in Studentenverbindungen auf den Campussen amerikanischer Universitäten, aber auch im Internet. Ein Recherche-Team der BBC deckte 2023 auf, dass einige der jungen Männer dabei mutmasslich sexuell ausgebeutet wurden. Jeffries habe ihnen eine Zukunft als Model versprochen oder mit dem Ende ihrer Karriere gedroht, wenn sie seinen Wünschen nicht nachkämen, so der Vorwurf. Die Männer seien zu «Sexveranstaltungen» auf der ganzen Welt geflogen und dort zu sexuellen Handlungen gezwungen worden.
Auch Abercrombie wird verklagt
Die Staatsanwaltschaft nahm daraufhin die Ermittlungen auf. Weil die Taten grenzüberschreitend stattgefunden haben sollen, wird Jeffries und seinem Partner nun «sex trafficking» vorgeworfen, also Menschenhandel mit dem Ziel sexueller Ausbeutung. Die Taten sollen sich zwischen 2008 und 2015 zugetragen haben, die Staatsanwaltschaft spricht von mindestens 15 Opfern.
Der heute 80-jährige Jeffries soll am Freitag vor Gericht gestellt werden. Er äussert sich nicht zu den Vorwürfen. Doch auch Abercrombie & Fitch könnte ein Gerichtsverfahren drohen. Eine weitere Klage, die von einem ehemaligen Model vorgebracht wurde, wirft dem Unternehmen vor, von Jeffries› Vorgehen gewusst und es toleriert zu haben. Die Zeit der Skandale ist für Abercrombie & Fitch also wohl noch nicht vorbei.