Der Niedergang des Plastikdosen-Herstellers ist ein Lehrstück darüber, wie selbst revolutionäre Marken scheitern können.
Was haben Tupperware, Kakerlaken und Keith Richards, der Gitarrist der Rolling Stones, gemeinsam? Richtig, sie sind unverwüstlich. Wer die Plastikdosen kauft, kann sie ewig nutzen. In allen Grössen und Farben stapeln sie sich in der Küchenschublade und sorgen dort für heilloses Durcheinander. Das Chaos wird aber selbst in den ordentlichsten Haushalten geduldet – denn es scheint ein Naturgesetz zu sein, dass jeder Tupperdeckel irgendwann wieder zu seiner passenden Dose findet.
Doch jetzt hat es sich vielleicht bald ausgetuppert. Diese Woche kamen aus Orlando, Florida, düstere Nachrichten: Tupperware, der Hersteller der Schüsseln, steht vor dem Aus. Wieder einmal, muss man sagen. Schon länger kämpft das Unternehmen mit wirtschaftlichen Problemen. Dieses Mal könnte es das letzte Mal sein.
Am Mittwoch hat Tupperware in den USA einen Insolvenzantrag gestellt. Zuvor hatten das Unternehmen und die Kreditgeber darüber gestritten, wie sie die Schulden in Höhe von 700 Millionen Dollar restrukturieren könnten. Findet sich jetzt nicht schnell ein Käufer für Tupperware, geht das Unternehmen Konkurs. Die Aktie rutschte diese Woche vorausahnend schon einmal auf 51 Cent ab.
Das alles ist kurios. In Zeiten, in denen die Menschen wieder mehr ins Büro gehen und ihr Mittagessen von zu Hause mitbringen, müsste das Geschäft mit den Vorratsdosen boomen. Meal-Prepping ist die Profivariante: Am Sonntag werden sämtliche Gerichte für die Woche vorgekocht, um nicht der Versuchung zu erliegen, in der Mittagspause zu einem ungesunden, überteuerten Sandwich zu greifen.
Vorratsdosen werden also gebraucht, vielleicht mehr denn je. Warum sind dann ausgerechnet die vom Original so unbeliebt geworden?
Hausfrauen waren Angebot und Nachfrage
Die Geschichte von Tupperware begann in den 1940er Jahren, mit einem Amerikaner namens Earl Tupper und einem Abfallprodukt aus der Ölraffinerie, dem Polyethylen. Tupper hatte herausgefunden, wie sich daraus ein langlebiger und gutaussehender Behälter formen liess. Und er traf mit seinen luft- und wasserdichten Schüsseln den Nerv der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft: Lebensmittel liessen sich darin länger frisch halten. Tupper war so begeistert von seinem eigenen Produkt, dass er einen Laden an der New Yorker Fifth Avenue eröffnete.
Der Erfolg kam jedoch erst durch Brownie Wise, eine alleinerziehende Mutter, die in den fünfziger Jahren die Idee hatte, die Plastikschüsseln direkt in die Wohnzimmer der Hausfrauen zu bringen. Eine neue Form des Marketings entstand. Die Tupperware-Partys waren revolutionär: Sie boten Hausfrauen die Möglichkeit, Geld zu verdienen, indem sie ihren Freundinnen die Produkte live vorstellten. Für jede an die Frau gebrachte Dose erhielt eine Verkäuferin eine Provision von 20 Prozent.
Die Dosen definierten einen neuen Lebensstil. Ausgerechnet eine Plastikschüssel wurde zum Symbol für Nachhaltigkeit. Kuchen für die Familienfeier, Reste vom Abendessen, alles wurde in die Behälter gepackt. Und Tupperware wurde wie Tempo oder Tipp-Ex zum Synonym für eine ganze Produktkategorie.
Doch die Zeiten änderten sich. Und das Unternehmen, das seine Produkte in 41 Ländern verkauft, kam plötzlich nicht mehr mit.
Direktverkauf statt Online-Shop
Die Tupperware-Partys, früher bahnbrechend, wirken heute aus der Zeit gefallen. Das Vertriebsmodell setzt voraus, dass Frauen tagsüber Zeit für solche Partys haben und abends als gute Ehefrau auftreten: backend, kochend, eintuppernd. Als aber immer mehr Frauen in den Arbeitsmarkt drängten, verlor Tupperware seine wichtigste Ressource.
Das Direktmarketingmodell ist zudem teuer und ineffizient. Weltweit gibt es 450 000 der eigenständig agierenden Verkaufsberaterinnen, der erzielte Umsatz pro Beraterin liegt laut Schätzungen aber nur bei durchschnittlich 900 Dollar im Jahr. Während die Konkurrenz vermehrt auf den Onlinehandel setzte, hielt Tupperware stur an seinem Vertriebskanal fest. Selbst im Jahr 2017 erklärte der damalige Chef Rick Goings: «Partys sind noch immer unser Verkaufsmodell.» Als Tupperware im Jahr 2022 begann, seine Produkte bei Amazon zu verkaufen, war es bereits zu spät.
Harley Krohmer ist Professor für Marketing an der Universität Bern. Er sagt: «Tupperware verpasste es, sich an veränderte Konsumgewohnheiten anzupassen. Die Form des Direktvertriebs ist im Zeitalter des E-Commerce nicht mehr konkurrenzfähig.»
Einen kurzen Aufschwung erlebte Tupperware in der Pandemie, weil die Menschen in ihren Wohnungen sassen und viel Zeit zum Kochen hatten. Doch die Nachfrage brach ein, sobald das Leben wieder draussen stattfinden konnte. Gleichzeitig stiegen die Kosten für Kunststoff, Transport und Logistik stark an. «All das liess die Gewinnmarge des Unternehmens drastisch schrumpfen», sagt der Marketing-Professor Krohmer.
Es gibt noch Hoffnung
Hinzu kommt, dass es für die Plastikschüsseln heute unzählige Alternativen gibt. Eltern füllen das Essen ihrer Kinder heute lieber in Edelstahlboxen ab oder packen es in selbst gebastelte Bienenwachstücher. Auch der heruntergekommene Ruf seines Materials half Tupperware nicht: Die Angst vor dem Mikroplastik, das sich beim Gebrauch aus den Dosen lösen kann, lässt viele Konsumenten auf Glas umsteigen.
Wer trotzdem noch zur banalen Plastikschüssel greift, kauft sie bei günstigeren Anbietern. Tupperware mag qualitativ hochwertig sein, aber die Produkte sind leicht kopierbar. Dose, Deckel, das kann heute jeder.
«Der Wettbewerb hat sich in den letzten Jahren verschärft», sagt der Professor Krohmer. Längst gibt es günstigere Möglichkeiten, sein Mittagessen ins Büro zu tragen. Selbst Meal-Prepper suchen ihre Vorratsdosen heute auf Plattformen wie Temu und Amazon.
Harley Krohmer nennt das «den Verlust der Markentreue». «In Zeiten von On-the-go-Verpflegung hätte Tupperware mit seiner Bekanntheit eigentlich profitieren müssen», sagt er. Doch die Innovationen blieben aus. Zwar versuchte das Unternehmen in den vergangenen Jahren, das Sortiment zu erweitern, doch weder Zitronenpressen noch Pizzaschneider konnten das Image entstauben.
Krohmer fasst zusammen: «Tupperware ist an einer Kombination aus veralteten Geschäftsmodellen, einer mangelnden Anpassung an digitale Märkte und dem Verlust an Markenrelevanz gescheitert.»
Noch gibt es für die Fans von den Plastikschüsseln aber Hoffnung. Tupperware will das Geschäft während des Insolvenzverfahrens weiterführen, das bestätigt die Schweizer Tochterfirma. Findet sich innerhalb von dreissig Tagen ein Käufer, könnte das Unternehmen vorerst gerettet werden.
Und selbst wenn es pleitegehen sollte, bleibt eines sicher: Man wird Vorratsdosen noch lange Tupperware nennen. Auch dann, wenn das Unternehmen dahinter längst verschwunden ist.