Die meisten Frauen, die an Brustkrebs erkranken, werden wieder gesund. Wie man mit Diagnose und Therapie klarkommt, wenn man mitten im Berufsleben steht. Und welche Rechte die Frauen haben.
Brustkrebs ist heute kein Todesurteil mehr. Es gibt wirksame Therapien, und die meisten Frauen können geheilt werden. Aber wie ist es, mit Brustkrebs klarzukommen, wenn man eigentlich Karriere machen will? In der Schweiz erkranken jedes Jahr 6500 Frauen an Brustkrebs, jede fünfte ist zwischen 20 und 50 Jahre alt und steht damit mitten im Berufsleben.
«Die Diagnose war ein Schock, und die Arbeit war erst einmal völlig nebensächlich», sagt Andrea Pinnow, Abteilungsleiterin Einkauf im Maschinenbau. «Ich musste um mein Leben kämpfen.» Pinnow ist 53 Jahre alt und hatte zweimal Brustkrebs; 2015 eine sehr bösartige Form und 2023 einen etwas weniger aggressiven Krebs. Beide Male war sie mehrere Wochen krankgeschrieben, hat aber sofort danach wieder voll gearbeitet. «Brustkrebs wirft einen völlig aus dem Berufsleben hinaus», sagt sie. «Es kann aber auch eine Chance für einen beruflichen Neuanfang sein.»
In einer solchen Situation weiterzuarbeiten, kann Vorteile haben. Es lenkt von der Krankheit ab, man sieht wieder einen Sinn im Leben und verdient Geld. Auf der anderen Seite strengen die Behandlungen körperlich und psychisch an, gehen mit Nebenwirkungen einher, und der Körper wird geschwächt. Gemäss einer neuen Studie der Universität in Hongkong hatte nach einem Jahr jede dritte Frau noch nicht wieder angefangen zu arbeiten. Die übrigen waren im Schnitt nach 183 Tagen in den Job zurückgekehrt, jede fünfte arbeitete aber mit geringerer Produktivität.
«Wir haben zwar keine vergleichbaren Zahlen für die Schweiz, aber ich gehe davon aus, dass die Situation hierzulande ähnlich ist», sagt Anna Zahno, Leiterin des «Krebstelefons» der Krebsliga Schweiz. «In unseren Beratungen ist der Wiedereinstieg fast immer ein Thema.» Brustkrebs kann das Erwerbsleben jahrelang beeinträchtigen. In einer Studie unter Federführung der Uniklinik Bonn von 2021 erklärte fünf bis sechs Jahre nach der Diagnose jede zweite Frau, in ihrem Job sei es zu Veränderungen gekommen. Am häufigsten handelte es sich dabei um reduzierte Arbeitszeit und geringeren Lohn.
Wie schwierig der Wiedereinstieg ist, hängt vor allem von der Art der Behandlung ab. Diese wird individuell angepasst und dauert zwischen einigen Wochen und mehreren Monaten. «Theoretisch könnte eine Frau direkt nach der Operation weiterarbeiten», sagt Cornelia Leo, Chefärztin des interdisziplinären Brustzentrums im Kantonsspital Baden. «Braucht sie aber anschliessend eine Chemotherapie – was häufig der Fall ist –, kommt das vermutlich nicht infrage.»
Als Folge der Operation treten mitunter Bewegungseinschränkungen des Arms auf oder, bedingt durch die Chemotherapie, Übelkeit, Erbrechen und Konzentrationsschwäche. Eine Strahlentherapie kann Verbrennungen auf der Haut verursachen, die Hormonbehandlung Wechseljahrbeschwerden und die gezielten Medikamente Entzündungen sowie Herzprobleme. Zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung kann es zu Fatigue kommen, einem Zustand von bleierner Müdigkeit und verminderter Leistungsfähigkeit.
Man könne nicht pauschal zum Arbeiten raten oder davon abraten, sagt Leo. «Ich sage den Frauen, sie sollen sich nicht unter Druck setzen.» Als «erfahrene Brustkrebspatientin» empfiehlt Andrea Pinnow, während der Therapie nicht zu arbeiten. «Vor allem die erste Behandlung war Hardcore für den Körper», sagt sie. «Konzentriert euch lieber ganz auf eure Genesung.»
Arbeitet eine Frau nach der Diagnose Brustkrebs weiter – etwa bis zum Operationstermin –, muss sie ihrem Arbeitgeber nichts von ihrer Krankheit erzählen. «Steht dann aber die Behandlung an und ist sie krankgeschrieben, muss sie das umgehend melden», erklärt Susanne Fischer, Rechtsanwältin in Zürich. «Aber nur, dass sie krank ist, nicht die Diagnose.» Pinnow hat in beiden Firmen, in denen sie zum Zeitpunkt der Diagnose tätig war, offen über ihre Erkrankung geredet. «Ich fand das besser, dann entstehen keine Gerüchte, warum man wochenlang krankgeschrieben ist», sagt sie. «Ausserdem braucht man sich für Brustkrebs nicht zu schämen – es kann jede erwischen.»
Einmal krankgeschrieben, bekommt eine Frau ihren vollen Lohn für einige Wochen oder Monate weiterbezahlt oder – sofern der Arbeitgeber eine eigene Krankentaggeldversicherung abgeschlossen hat – meist zwei Jahre lang 80 Prozent ihres Gehaltes. Als Selbständige muss man sich rechtzeitig privat absichern. Während der Krankschreibung ist die Betroffene für eine bestimmte Zeit vor Kündigung geschützt – je nachdem, wie lange sie schon in der Firma ist, zwischen 30 und 180 Tage. «Danach darf der Arbeitgeber ihr kündigen», sagt die Rechtsanwältin Fischer. «Und dies auch, wenn die Frau nach wie vor krankgeschrieben ist.» Sie erlebe in ihren Beratungen immer wieder, dass Frauen zu wenig über diese gesetzlichen Grundlagen Bescheid wüssten, sagt Anna Zahno von der Krebsliga.
In Deutschland haben Angestellte, die länger oder wiederholt arbeitsunfähig sind, Anspruch auf ein betriebliches Eingliederungsmanagement. Ein Berater hilft dann zum Beispiel, eine Kur zu organisieren, und es gibt finanzielle Unterstützung, wenn sich jemand selbständig machen möchte. In der Schweiz besteht diese Möglichkeit nicht. Alexander Beck, Unternehmensberater in Zürich, will stattdessen die Unternehmen vermehrt in die Pflicht nehmen: «Ich sage ihnen: Machen Sie mit internen Kampagnen darauf aufmerksam, dass das Thema Wiedereingliederung für Ihre Firma zentral ist. Heute schauen Arbeitnehmer genau hin, was ihr Arbeitgeber für die Gesundheit der Angestellten tut.» Ein Wiedereingliederungsprogramm sei gar nicht so aufwendig, sagt Beck. «Ein reduzierter Einsatz – also stunden- oder halbtagsweise und dann langsam steigern – reicht in der Regel aus, damit eine Frau wieder einsteigen kann.»
Fünf Jahre nach der Diagnose, so eine Untersuchung des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg aus dem Jahr 2021, hatte jede fünfte Frau ihre Arbeitszeit reduziert oder arbeitete gar nicht mehr. Das lag am häufigsten an Operationsfolgen, Fatigue, psychologischen Problemen oder Konzentrationsstörungen. «Wichtig ist, dass die Frauen uns solche Probleme berichten», sagt die Gynäkologin Leo. «Denn einige der Beschwerden können wir gut behandeln.»
Gegen Armprobleme helfen zum Beispiel Lymphdrainage und Physiotherapie, gegen Fatigue Ausdauer- und Krafttraining, Psychotherapie, Entspannungsübungen, Achtsamkeitstraining sowie Aktivitäts- und Energiemanagement. Hier lernt man, seine Kräfte einzuteilen, genügend auf Ruhezeiten zu achten und gesund zu leben. Diverse Studien haben untersucht, was Frauen den Wiedereinstieg erleichtert oder erschwert. Ein wohlwollendes Aufnehmen seitens des Arbeitgebers, Flexibilität, Unterstützung vom Team und Vorgesetzten sowie Verantwortung für bestimmte Aufgaben bauen Barrieren ab. Fühlen sich die Betroffenen im Job diskriminiert, bekommen sie wenig Unterstützung oder müssen sie viel manuell arbeiten, ist das Gegenteil der Fall.
Auch die innere Einstellung könne eine Rolle spielen, sagt Peter Husslein, 28 Jahre Direktor der Frauenklinik der Uni Wien. «Ich habe in meinen vier Jahrzehnten Berufserfahrung erlebt, wie unterschiedlich die Frauen das psychische Trauma verarbeiten.» Auf der einen Seite gebe es Frauen, die den Krebs als Wink des Schicksals verstünden, um ihr ganzes Leben zu hinterfragen. «Diese Patientinnen haben dann voller Energie ihr Leben schlagartig geändert, die lang verhasste Stelle gekündigt und sich selbständig gemacht oder in einer anderen Firma angefangen.» Auf der anderen Seite habe er Patientinnen, die noch Jahre nach der Krankheit antriebslos in der Praxis vor ihm sässen, kaum oder nicht mehr arbeiteten und sich vom Schicksal ungerecht behandelt fühlten.
«Ich versuche, die Betroffenen davon abzubringen, ständig mit ihrem Schicksal zu hadern», sagt Husslein. Sie könnten sich auch überlegen, was die Situation Positives bringe. «Zum Beispiel Zeit zu haben, eine neue Sprache zu lernen oder eine Weiterbildung zu machen.» Den Wiedereinstieg erleichtern können zudem Ansätze mit verschiedenen «Bausteinen»: Psychoedukation – also professionelle Beratung, Schulungen und Training in Bewältigungsstrategien –, medizinische Therapien, körperliches Training und Massnahmen am Arbeitsplatz, etwa berufliche Eingliederungsprogramme.
Andrea Pinnow hat konkrete Tipps, wie sich Arbeitskolleginnen und -kollegen verhalten können: «Erstens immer fragen, wie die Betroffene behandelt werden möchte. Zweitens Empathie, aber kein Mitleid. Drittens Genesungswünsche oder Blumen ins Spital – aber bitte keine beruflichen E-Mails.»
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