Freitag, September 27

Ein Ehepaar aus dem Zürcher Weinland verspricht hilflosen Frauen eine Arbeit. Stattdessen quält es sie. Jetzt wird das Paar verurteilt.

Wenn Anna Perez (Name geändert) im Gerichtssaal von ihrem Leiden berichtet. Wenn sie erzählt, wie ihr die Hände auf dem Rücken verschnürt wurden, wie ihre Peiniger den Metallring an ihrem Lederhalsband mit den Fussfesseln verbanden. Wenn sie sagt, sie habe «wie eine Leiche im Käfig liegen» müssen.

Dann schütteln sie die Heulkrämpfe so sehr, dass sie die Worte kaum herausbringt.

Dabei hätte es für sie eigentlich ein schöner Arbeitsort sein sollen. Ein grosses Haus mit Garten und Swimmingpool, in einem beschaulichen Dörfchen im Zürcher Weinland. In diesem Haus hätte die junge Frau aus Asien – zu jener Zeit eine Sans-Papier ohne legalen Aufenthaltsstatus – wohnen und Hausarbeiten verrichten sollen.

So hatte es ihr der Hausherr zumindest versprochen.

Stattdessen: der Käfig.

In einer Abstellkammer des Hauses stand er: 1,70 Meter lang, 1,17 Meter breit, rund einen Meter hoch. Darin: eine Matratze und eine Kamera. In diesen Käfig wird Perez jeden Tag eingesperrt, meist für 15 Stunden. Ihre Notdurft muss sie in einem Champagnerkübel verrichten.

Dem Hausherrn, einem heute 46-jährigen IT-Fachmann, ist das nicht genug. Schon am zweiten Tag nach ihrer Ankunft beginnt er, sie zu fesseln. Und ist er einmal nicht da, legt seine Gattin – eine Landsfrau von Perez – der Angestellten die Fesseln an. Zehn Monate dauert die Tortur. Dann flüchtet sie.

Perez ist nicht das einzige Opfer des Ehepaares. Nach ihrer Flucht wird eine junge Südamerikanerin ins Haus einziehen. Polizisten werden sie einen Monat später im Morgengrauen aus dem Käfig befreien.

Eine perfide Masche

Die Tat ist so verrückt, dass sie weit über Zürich hinaus für Aufsehen sorgt. Mitte September musste sich das Ehepaar vor dem Bezirksgericht Andelfingen verantworten. Nun hat das Gericht sein Urteil verkündet.

Es spricht den Ehemann schuldig, er wird unter anderem wegen mehrfachem Menschenhandel und mehrfacher Freiheitsberaubung verurteilt.

Die Masche des Mannes war perfide: Er lockte mit Online-Inseraten gezielt Frauen an, die in der Schweiz keine Aufenthaltsbewilligung hatten – und versprach ihnen einen Job, eine Ausbildung und legale Papiere, wenn sie sich seinem sadistischen Regime unterwarfen.

Waren sie einmal in seiner Gewalt, isolierte er sie, täuschte sie mit gefälschten Papieren und Identitäten und drohte ihnen mit Ausschaffung und Gefängnis.

Nun muss er selbst dorthin, allerdings nur für neun Monate – weniger lang also, als er selbst die Frauen eingesperrt hat. Im Rahmen eines Deals mit der Zürcher Staatsanwaltschaft hatte er eine Freiheitsstrafe von drei Jahren akzeptiert, von der er allerdings nur einen Teil absitzen muss. Das Gericht hat diese nun bestätigt.

Spannender als dieser Urteilsspruch war allerdings ein anderer: jener zur Frau des Hauptbeschuldigten. Sie hat – anders als er – die Taten nicht gestanden. Was war ihre Rolle? Wurde sie von ihrem Ehemann manipuliert? Oder hat sie das Treiben ihres Gatten aktiv unterstützt?

Aus einem armen Dorf in die reiche Schweiz

Sofia Flores (Name geändert) sieht sich selbst als Opfer. Dass sie ihrem Mann so blind gefolgt sei, habe auch etwas mit ihrer Geschichte zu tun, sagt sie vor Gericht. Es ist eine Geschichte, die sie mit Anna Perez teilt. Beide wachsen in einem armen asiatischen Land unter einfachen Verhältnissen auf und suchen ihr Glück in der reichen Schweiz.

Doch nur Sofia Flores wird es finden.

Sie kommt Anfang der 1990er in einem Dorf in Asien zur Welt – die genaue Herkunft darf zum Schutz der Beteiligten nicht genannt werden. Ihre Eltern sind Lehrer, das Einkommen reicht für ein bescheidenes Leben. Die junge Sofia macht ihren Abschluss, lässt sich selbst auch zur Lehrerin ausbilden.

Dann – so erzählen es Flores und ihr Anwalt vor Gericht – gerät die Familie in eine Krise. Die Mutter erkrankt an Krebs. Das Geld reicht nicht für eine gute Behandlung, schliesslich stirbt die Mutter.

Kurz darauf nimmt das Leben von Sofia Flores eine weitere Wendung. Eine Freundin stellt ihr einen Mann vor, 14 Jahre älter, aus der Schweiz. Ein weltgewandter Typ mit Abschluss einer amerikanischen Eliteuniversität und einem guten Job in der IT-Branche.

Als er abreist, bleiben sie in Kontakt. Einige Monate später lädt er sie zu einer zweiwöchigen Reise durch Asien ein: Sie besuchen Hongkong und Singapur, steigen in noblen Hotels ab. Als sie zurück in ihrem Heimatland sind, macht er ihr einen Heiratsantrag. Sie sagt Ja.

Und so zieht sie wenig später zu ihm, ins Haus im Zürcher Weinland inmitten von Wäldern und Feldern. Das ist 2016. Ein Jahr später heiraten die beiden. Und 2018 zieht die junge Landsfrau von Sofia Flores ein – in den Käfig im Abstellraum.

Richter: Wann haben Sie Anna Perez zum ersten Mal getroffen?

Flores: Ich kam vom Nothelferkurs nach Hause und dann war sie plötzlich da.

Richter: Ihr Mann hat Ihnen vorher nichts gesagt?

Flores: Er hat nur gesagt, dass er eine Haushaltshilfe suche.

Richter: Finden Sie es richtig, wenn Hausangestellte eingesperrt werden?

Flores: Nein, und ich hatte ja auch Zweifel.

Sie bricht in Tränen aus. Ihr Mann, der an einem anderen Tisch sitzt, geht zu ihr hinüber und reicht ihr ein Taschentuch.

«Ich wurde von ihm manipuliert»

Für den Verteidiger von Flores ist klar: Kulturell bedingt sei sie ihrem Mann treu ergeben gewesen. Wenn er die Einsperrung als Teil einer Ausbildung in einer Schule für Hausangestellte dargestellt habe, habe sie das geglaubt. «Es gibt in diesem Fall eigentlich drei Geschädigte», sagt der Anwalt. «Auch Sofia wurde hinters Licht geführt.»

Richter: Sie sind selbst Lehrerin. Haben Sie jemals von einer Schule gehört, die ihre Schüler in Käfigen hält und fesselt?

Flores: Nein. Aber ich glaubte meinem Mann.

Richter: Wie wäre es in ihrer Heimat? Ist es dort normal, Angestellte in Käfigen zu halten?

Flores: Nein.

Richter: War Anna die erste Frau, die in diesen Käfig gesperrt wurde?

Flores: Als ich in die Schweiz kam, war der Käfig schon da. Deshalb denke ich, dass davor schon eine Frau dort drin war.

Ihr Mann: der grosse Bösewicht. Sie selbst: fast ebenso abhängig von ihm wie die Angestellten im Käfig. Doch bei dieser Erzählung gibt es ein Problem: Sofia Flores wusste von den sadistischen sexuellen Neigungen ihres Mannes, lebte sie zum Teil auch mit ihm aus, wie sie vor Gericht sagte. Hätte sie also nicht wissen müssen, wozu das Einsperren, das Filmen, die Kleidervorschriften für die Frauen – nur weisse Unterwäsche, sonst nichts – wirklich diente?

«Ich wurde von ihm manipuliert», sagt Flores. «Wenn es für diese Frauen schmerzhaft war, wie schmerzhaft muss es dann für mich sein? Ich fühle mich dumm, alle denken, ich hätte es merken sollen.»

Sie habe jedes Vertrauen in ihn verloren, sagt sie. Verheiratet sind sie allerdings noch immer.

Motiv: Egoismus

Kein Opfer, sondern eine böswillige Mittäterin: Das ist Sofia Flores für die Zürcher Staatsanwaltschaft. «Sie war nicht die Marionette ihres Mannes, die von nichts eine Ahnung hatte», sagt die zuständige Staatsanwältin vor Gericht. «Sie bekam alles aus nächster Nähe mit. Sie ist eine Capo-Frau, eine typische Gehilfin.»

Zehn Monate lang habe Flores zugesehen, wie Perez und die Frau, die nach ihr kam, im Käfig litten, weinten, protestierten. Statt ihnen zu helfen oder kritisch nachzufragen, habe sie ihnen selbst Fesseln angelegt und eingesperrt. Als Landsfrau habe sie sich zudem Perez› Vertrauen erschlichen und ihr eingeredet, das alles sei normal.

Die Frau habe aus Egoismus gehandelt, sagt die Staatsanwältin. «Sie wollte die ‹dreckige Hausarbeit› nicht selbst machen.»

Sie habe in der Untersuchung zudem immer wieder ihre Aussage geändert. Dinge erst zugegeben, dann wieder abgestritten. Und dies, obwohl sie teilweise durch Chatnachrichten erwiesen seien.

Kommt es zum Landesverweis?

Eine bedingte Gefängnisstrafe von zehn Monaten fordert die Anklage für Sofia Flores. Sie soll ausserdem für fünf Jahre des Landes verwiesen werden – für sie die weitaus schlimmere Strafe.

Das Gericht folgt diesem Ansinnen grösstenteils und geht bei der Strafe noch darüber hinaus. Es verurteilt Flores wegen mehrfacher Gehilfenschaft zu Freiheitsberaubung und anderen Delikten zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten sowie einer Geldstrafe. Auch des Landes wird sie für fünf Jahre verwiesen.

Das Glück, das sie in der Schweiz suchte und fand – es ist damit auch für Sofia Flores vorbei.

Urteile DH220005 und DG220003 (noch nicht rechtskräftig).

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